Die Mehrheit der Venezolaner lehnt die von Präsident Maduro angeordnete verfassungsgebende Versammlung am Sonntag ab.
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Caracas. "Niemand dürfe verpflichtet werden, am Sonntag wählen zu gehen", erklärten zur Lage in Venezuela die Vereinten Nationen am Freitag. Die Tageszeitung "El Universal" hievte die Meldung ganz oben auf ihre Homepage. Am Sonntag soll nach dem Willen des linkspopulistischen Präsidenten Nicolás Maduro Venezuela eine verfassungsgebende Versammlung wählen. Eine Versammlung, die aus regierungstreuen Maduro-Anhängern besteht und die die Verfassung Richtung Ausweitung der Macht des Präsidenten ändern soll. Und der Grund, weshalb Venezuela seit vier Monaten von blutigen Protesten heimgesucht wird, die bereits über 100 Menschen das Leben gekostet haben. Mit Sonntag droht die nächste Stufe der Eskalation.
Die Hoffnung stirbt aber auch in Venezuela zuletzt: Vielleicht, hieß es am Freitag, könnte Großbritannien "konstruktive Gespräche" zwischen Regierung und Opposition unterstützen. Der Haken dabei: Die gab es schon einmal. Vermittelt von Papst Franziskus und dem Vatikan. Zum Jahreswechsel hatten sich die tief verfeindeten politischen Lager schon einmal die Hände gereicht und sich sogar auf ein paar Eckpfeiler verständigt: Die Freilassung der politischen Gefangenen, die Durchführung der seit Monaten ausstehenden Regionalwahlen, ein humanitärer Korridor für Hilfslieferungen zur Bekämpfung der Krise, die es nach offizieller Lesart gar nicht gibt. Doch der Vatikan zog sich frustriert zurück: Die Regierung Maduro hielt die gegebenen Zusagen nicht ein.
Am Sonntag werden nun insgesamt rund 500 Volksvertreter für eine verfassungsgebende Versammlung gesucht, die trotz wütender Proteste die Machtarchitektur des ölreichsten Landes der Welt in Maduros Sinne neu ordnen soll. Die linientreue Besetzung der "Constituyente" gilt als gesichert, eine Verfassung ganz nach dem Geschmack der durch das Volk bei den Parlamentswahlen 2015 eigentlich abgewählten Sozialisten gesichert.
Gewalt auf beiden Seiten
Maduro regiert seitdem mit Sonderdekreten und Ausnahmezustand am Parlament vorbei. Vor gut vier Monaten erfolgte der erste Versuch, die frei gewählte Volksvertretung auszuhebeln. Doch mit einem entsprechenden Gerichtsurteil einer linientreuen Justiz brachte Maduro das Fass zum Überlaufen: Die Proteste begannen. Das Urteil nahm die Justiz angesichts der Proteste aus dem In- und Ausland zurück. Es nützte nichts. Maduro drohte: "Was wir nicht mit Stimmen schaffen, machen wir mit Waffen." Seitdem wird nahezu täglich gestorben auf Venezuelas Straßen. Das Gros der Opfer stammt aus der Anhängerschaft des inzwischen breitgefächerten Oppositionsbündnis "Tisch der Einheit" (MUD), das sich aus rechtskonservativen aber auch Mitte-Links-Kräften zusammensetzt. Die Gewalt auf beiden Seiten eskaliert, regierungsnahe paramilitärische Banden, die von den Sozialisten bewaffneten gefürchteten "Colectivos", machen wie völlig außer Kontrolle geratene Sicherheitskräfte Jagd auf oppositionelle Demonstranten. Aber auch auf Seiten der Regierungsgegner gibt es brutale Gegenreaktionen, die in mörderischer Lynchjustiz gipfeln. Von Freitag an untersagte die Regierung nun alle weiteren Proteste bis zur Wahl der "Constituyente". Allerdings hat Opposition zu weiteren Protesten aufgerufen.
Maduro gibt sich nach außen hin diplomatisch, ruft die Opposition in der Nacht zum Freitag zum Dialog auf. Seine Sicherheitskräfte schossen zeitgleich weiter aufs Volk. Allein am Donnerstag kamen zum Auftakt eines zweitägigen Generalstreiks der Opposition laut Staatsanwaltschaft wohl mindestens sieben Menschen ums Leben. Regierungskritische Medien stellen brutale Jagdszenen von Polizisten in Netz, die auf am Boden liegende Oppositionelle schießen. Es sind die seit Ende der rechten Militärdiktaturen blutigsten und tödlichsten Polizeiaktionen in Lateinamerika.
All das sorgt für massive Fluchtbewegungen. Zuletzt passierten zehntausende Venezolaner die Grenzen nach Kolumbien und Brasilien und sorgen in der Grenzregion für eine humanitäre Krise. Für Panik sorgt die Nachricht, dass die kolumbianische Fluglinie Avianca mit sofortiger Wirkung ihre stark frequentierten Strecke in das Nachbarland eingestellt hat. Mit den Avianca-Flügen nach Bogotá und Lima wird eine der letzten Luftbrücken aus Caracas in den Rest Südamerikas geschlossen. Die Sicherheitslage und ausstehende Zahlungen hatten bereits fast ein Dutzend Fluglinien zum gleichen Schritt gezwungen.
Derweil droht auch der Konflikt mit den USA zu eskalieren. US-Präsident Donald Trump hatte zuletzt scharfe Sanktionen gegen das Maduro-Regime angekündigt, sollte Caracas auf der von Menschenrechtsorganisationen und der katholischen Kirche als illegal verurteilten verfassungsgebenden Versammlung bestehen. Das wertet Caracas als Einmischung in innere Angelegenheiten: "Ich sage dem Imperator Trump, in Venezuela befiehlt das Volk", sagte Maduro. Das US-Außenministerium gab den Familienangehörigen des diplomatischen Corps die Anweisung, das Land sofort zu verlassen.