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Ein Optimist kauft Gold und Silber, ein Pessimist Konserven, lautet eine alte Anlegerweisheit. Das klingt nach gnadenlosem Pragmatismus, wenn nicht nach Zynismus. Einerlei: Wer die Wertbeständigkeit von Gold relativiert, untergräbt ein Dogma. Und verstört. Ganz besonders in Zeiten tiefer Wirtschafts- und Finanzkrisen, wie sie heute die Welt erschüttern. Spekulationsblasen platzen, Banken krachen, Staaten stehen vor dem Bankrott. Das Vertrauen in die Finanzmärkte schwindet dahin. Auf Euphorie und Gier folgt nicht Demut, sondern Angst. Die deregulierte kapitalistische Gesellschaft ändert die Losung: Risiko ist passé, das neue Mantra heißt Sicherheit. Und tatsächlich regnet es heute "sicherheitsorientierte" Anlageformen. Nicht alle sind neu.
Ein stabiles Angebot
Gold gilt Investoren seit Jahrhunderten als sicherer Hafen. Und dies aus gutem Grunde. Hinter dem physischen Gold stehen weder Unternehmen, noch Staaten oder Banken, die bankrott gehen könnten. Gold hat Inflationen, Währungsreformen, Kriege überdauert. Analysten betonen seinen "intrinsischen", also ihm innewohnenden Wert, und erklären diesen mit den begrenzten Vorkommen des Edelmetalls, der teuren Förderung und dem stabilen Angebot: Papiergeldwährungen lassen sich aus dem Nichts schöpfen, Gold nicht. Gewiss. Das haben selbst die Alchemisten erkannt. Und doch bleibt manche Frage offen: Der intrinsische Wert des Goldes müsste doch relativ konstant sein. Wie lässt er sich beziffern, wer legt ihn fest?
Dass der Marktpreis des Goldes schwankt, leuchtet ein. Aber: Wird sich die Hausse der letzten Jahre als Blase entpuppen? Als Preistreiber werden die Nachfrage der Schwellenländer oder politische Instabilität angeführt, auch die Negativzinsen auf Bankguthaben oder die anziehende Kauflaune der Notenbanken. Was immer den Goldpreis steuern mag: Erst wenn alles kracht, erweist sich der praktische Wert des Metalls (immer vorausgesetzt, dass privater Goldbesitz dann erlaubt ist - was keineswegs verbürgt ist). Denn was bekommt man im Notfall für sein Gold? Barren oder Anlagemünzen lassen sich nicht stückeln. Wie viel Brot, Milch und Fleisch gibt der Bauer für einen "Philharmoniker", "Maple Leaf" oder "Krugerrand"?
Midas und Krösus
Werte sind nur Übereinkünfte, subjektive Größen und sohin höchst relativ. Wie ambivalent die Wertigkeit von Gold ist, veranschaulicht die berühmte Geschichte von Midas. Der historische Phrygierkönig ging nicht eben als Weiser in die Sagenwelt ein: Midas schuldete Dionysos einen Gefallen, dafür stellte der Gott ihm einen Wunsch frei. Der König verzockte die Chance: Zu Gold möge werden, was immer er berühre, erbat er sich. Und wurde erhört. Als selbst Speis und Trank zu Gold erstarrten, flehte Midas um Erlösung. Und bekam ein hellenisches Läuterungsbad im Paktolos verordnet. Seine vermaledeite Gabe glitt von ihm ab, blieb am Gott des Flusses haften.
Und schon war ein neues Goldkapitel aufgeschlagen. Denn das (reale) Gold des Paktolos trug zum Reichtum des nicht minder legendären Krösus bei. Der Lyderkönig ließ das erste Münzgold prägen. Die Münzen bestanden nicht aus purem Gold, sondern aus Elektron, einer in der Natur vorkommenden Legierung aus Gold und Silber. Selig wurde auch dieser Goldkönig nicht. Eitelkeit, Verblendung und Hybris entkoppelten ihn der Wirklichkeit. Sein Angriff auf den übermächtigen Gegner Persien besiegelte den Untergang Lydiens.
Ob im alten Ägypten, im Reich der Römer oder der Inka, in Kolumbien oder Südafrika: Wo Gold in Massen funkelte, beschwor es Exzesse oder Unheil herauf und machte kaum jene reich, die es zutage förderten. Sein magischer Glanz wird dennoch nie verblassen: Gold rostet nicht, läuft nicht an. Es symbolisiert die Macht, die Sonne, das göttliche Licht, die Ewigkeit.
"Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen!", seufzt Goethes Gretchen im "Faust I". Nun, lichtvolle Abhilfe kommt auch in diesem Fall aus dem Osten. Die Firma "Ex Oriente Lux" stellt seit 2009 "Gold-to-go"-Automaten auf. Dass das überirdisch glänzende Metall kein irdischer Glücksgarant ist, liegt weniger an seiner Beschaffenheit, denn an Charakter und Weisheit seines Besitzers. Faustens und Midas Sorgengold sind freilich nur Fiktion. Die weitaus besseren (Lehr-)Geschichten schreibt das Leben selbst.
Suter, der Glücksritter
Eine davon handelt vom Aufstieg und Fall des Schweizers Johann August Suter. Sein Landsmann Frédérik Louis Sauser, alias Blaise Cendrars, hat ihn 1925 mit der großartigen Erzählung "Gold" gewürdigt. Diese setzt mit dem präzisen Datum 6. Mai 1834 ein. Blende auf: Ein alpines Dorfidyll. Die Bauern kehren von den Feldern heim, die Kinder singen, die Alten rauchen und stricken. Da kreuzt ein Fremder auf, und alles erstarrt. Der Unbekannte sucht den Bürgermeister auf und zieht wortlos wieder ab. Den beantragten Pass hat er nicht erhalten. Johann August Suter überschreitet die Schweizer Grenze illegal. Hohe Schulden machten den Textilhändler zum Gejagten der Gläubiger. Suter lässt seine Frau und vier Kinder im Stich, schlägt sich mit Gaunereien bis Le Havre durch, geht an Bord der Espérance. Destination New York. "Er trägt den Kopf hoch und entkorkt eine Flasche Wein." In der Schweiz verliert sich seine Spur.
Suter bringt sich in New York erst mit allen möglichen und unmöglichen Jobs durch, dann wird er Wirt. Und hört seine Gäste erzählen, vom Hinterland, vom Westen. Er verkauft seinen Laden, zieht ins geschäftige St. Louis am Missouri, wird Bauer. Gern bittet er Schiffsreisende in sein Haus, um die immer gleichen Geschichten zu hören: vom Westen, vom Glücksland Kaliforniern. 1838 erreicht Suter das Fort Vancouver. Da die Apachen den Landweg nach Kalifornien sabotieren, wählt er den Seeweg, kommt bis Honolulu. Dort gründet er eine Handelscompagnie, spekuliert sich mit Copra und Perlmutt reich, rekrutiert Eingeborene für seine künftigen Plantagen in Kalifornien.
Das Küstenland gehört damals noch zu Mexiko und weist viele Brachen auf. San Francisco ist eine ärmliche Mission der Franziskaner. Die Ordensleute schaffen Basisstrukturen, bilden Indianer zu Handwerkern aus und alphabetisieren sie. Doch Mexiko verstaatlicht ihre Siedlungen und verjagt die Indianer. Die Missionen verfallen.
Reichtum und Absturz
"In diesem Augenblick kommt Suter ins Land. Und greift ein." Der Pionier entdeckt das fruchtbare Tal des Sacramento. Er macht das Land urbar und legt mit seiner Festung am Fluss den Grundstein für die Stadt Sacramento. Sein "Neu Helvetien" nimmt Gestalt an, wächst unaufhörlich. Die Indianer reagieren mit Hirtenmord, Viehraub und Brandschatzung. Suters "geordneter Reichtum" reizt auch heulende Banden, sein Besitz wird wiederholt geplündert. Doch er pariert alle Angriffe, alle Rückschläge. Seine Kreditwürdigkeit bei den Großbanken ist hoch, sein Kontakt zur Washingtoner Regierung eng. Mexiko ernennt ihn zum Hauptmann des Grenzschutzes, dann zum General - und schenkt ihm Land dazu. 1848 muss Mexiko Kalifornien an die USA abtreten.
Da ist Suter 45, Amerikas größter Grundbesitzer und Multimillionär. Er pflanzt auch Baumwolle, Indigo und Wein. Im Hinterland entsteht sein hübsches Refugium, die "Ermitage". Nun ist der Zeitpunkt gekommen, alte Schulden zu begleichen und die Familie nachzuholen. Für die Tochter kauft er ein Klavier, bei Pleyel, in Paris. Und für Neu-Helvetien eine Dampfmühle.
Als Suter in den Bergen ein weiteres Sägewerk bauen lässt, macht der beauftragte Zimmermann einen so epochalen wie fatalen Fund: Nuggets. Nachdem Suter alles "riskiert, alles unternommen und sich ein neues Leben geschaffen hat, ruiniert ihn die Entdeckung von Goldminen auf seinem Boden. Es sind die reichsten Minen der Welt. . . Es ist das Goldene Vlies."
Der Schatz lässt sich nicht geheim halten. Schon stehen die Räder Neu-Helvetiens still, Suters Arbeiter erliegen dem Goldrausch. Bald strömen Karawanen von Glücksrittern von der West-, dann von der Ostküste herbei, schließlich aus allen Kontinenten. Eldorado bringt seine eigene Infrastruktur hervor: Zeltlager, Destillierbuden, Spelunken. Nuggets gegen Schnaps, Sex und Pokerkarten. "Unten in der Bai entsteht eine unbekannte Stadt, die schnell wächst." San Francisco.
Suter zieht sich ins Landhaus zurück; die Goldsucher nehmen sein Land in Beschlag, urkundlich. Kaliforniens neue Regierung versagt. Die Ordnung bricht zusammen.
Als Frau Suter mit ihren Kindern an die Tür der Ermitage klopft, verlassen sie die Lebenskräfte. Der Witwer baut noch einmal auf und lässt Sohn Emil Jus studieren. Er soll den großen Prozess führen: Suter fordert das Bodenrecht an San Francisco, Sacramento und anderen Städten; er verklagt 17.221 Einzelpersonen, die seine Plantagen in Besitz nahmen; vom Staat Kalifornien will er Abgeltung für unterlassene Hilfeleistung, auch für die von ihm errichtete Infrastruktur. Und er fordert seinen Anteil am Gold. Der Goldrush währt 15 Jahre - und zieht einen Prozess-Rush nach sich.
Das tragische Ende
Endlich wendet sich Suters Blatt. San Francisco würdigt seinen Ahnherrn mit einem Bankett, ein Richter erkennt seine Forderungen als rechtmäßig an. Suter will die letztinstanzliche Urteilsbestätigung persönlich einholen und reist nach Washington. Er kommt nicht weit. Dasselbe Volk, das ihm gerade noch "eine in der Geschichte der Vereinigten Staaten einzigartige Apotheose bereitet hat", brennt seine Ermitage nieder, verwüstet Betriebe und Kulturen, löscht die Marke Suter aus. Einer seiner Söhne wird getötet, der Anwalt begeht Selbstmord, der dritte erleidet Schiffbruch. Nur die Tochter überlebt und rettet sich in eine Ehe. Der Vater Kaliforniens verliert allmählich den Verstand. Anstatt dem ihm wohl gesonnenen Richter zu folgen und mit Kalifornien einen gangbaren Ausgleich zu verhandeln, kämpft Suter in Washington um die absolute Gerechtigkeit. Er wird zum Gespött der Beamten, zur Beute durchtriebener Juristen. Am 17. Juni 1880 stirbt er auf den Stufen vor dem Kongress. Ein letztes Urteil wurde nie gesprochen, Suters Erbfolge blieb offen.
Blaise Cendrars erzählt die Geschichte in schnellen Cuts, lässt Naheinstellungen und große Prospekte aufeinander folgen. Der Autor war auch ein erfahrener Filmemacher. Sein Suter-Epos sollte die Filmindustrie locken, doch nicht nur Sergej Eisenzein kapitulierte. Dass Luis Trenker die Story 1936 zum Nazi-Propagandastreifen verdrehte ("Der Kaiser von Kalifornien"), lag gewiss nicht im Sinne des Erfinders. Stefan Zweig griff das Suter-Drama ebenfalls auf. Seine äußerst dicht an Cenrdars Vorlage entlanggeschriebene Version "Die Entdeckung Eldorados" zählt zu den "Sternstunden der Menschheit".
Der neue Goldrausch
Mit dem Prädikat Sternstunden könnten Brigitte Reisenberger und Thomas Seifert wohl wenig anfangen, wenn es um das edle Metall geht. Die österreichischen Journalisten sind dem Mythos Gold nachgegangen, haben Minen rund um den Erdball besucht, Analysten und Spezialisten zum neuen Goldrausch befragt. Die Ergebnisse liegen in dem so umfassenden wie spannenden "Schwarzbuch Gold" vor, das heuer im Verlag Deuticke erschien. Die Autoren rekapitulieren die Geschichte der Goldwährungen und Gold-Haussen; sie diskutieren das Thema Goldstandard (Deckung der Banknoten einer Währung durch Gold, wobei der Goldpreis festgelegt wird; das System wurde in verschiedenen Ländern und Formen umgesetzt. Im Bretton-Woods-Abkommen von 1944 etwa, welches das internationale Währungssystem und den Welthandel stabilisieren sollte, wurde der US-Dollar zur Leitwährung bestimmt, sein Wert gegenüber Gold fixiert und die US-Zentralbank verpflichtet, Dollarbanknoten auf Verlangen jederzeit in Gold umzutauschen. Das Bretton-Woods-System wurde zu Beginn der 1970er Jahre aufgegeben).
Das "Schwarzbuch Gold" bietet eine Fülle von Daten und Zahlen, die keineswegs ermüden, sondern zentrale Größenordnungen des Goldkosmos verdeutlichen. Nur einige Beispiele: Das gesamte, bis 2009 geförderte Gold der Welt ergäbe einen Würfel von 20 Metern Kantenlänge. Die Fördermenge des Jahres 2010 (2543 Tonnen) verlängerte die Kanten um 10 Zentimeter. Die Förderkosten für eine Feinunze Gold (31,1035 Gramm) belaufen sich derzeit auf 850 - 950 Dollar (der Marktpreis auf 1576,55 US-Dollar, Stand 14. Dezember 2011). Die "Münze Österreich AG" firmiert unter den drei größten Münzprägeanstalten der Welt. Nur fünf Prozent des gesamten Goldvorrats der Welt werden auf dem Markt gehandelt, zarte drei Prozent des globalen Vermögens in Gold veranlagt. Und: Die ergiebigste Goldmine der Erde liegt in Hoboken, einem Stadtteil von Antwerpen: Dort recycelt man Industrie- und Elektronikabfälle und holt aus einer Tonne Leiterplatten 200 Gramm, aus einer Tonne Handys 300 - 350 Gramm Gold heraus. Zum Vergleich: Im weltweiten Durchschnitt lassen sich aus einer Tonne Erz fünf Gramm Gold gewinnen.
Reportagen aus Südafrika, Ghana, Asien und Rumänien beleuchten Risiko, Gewinn und Umweltfolgen der Goldförderung; die oft katastrophalen Arbeitsbedingungen der Mineure und ihre durch freigesetztes Zyanid oder Quecksilber verursachten Krankheiten; die Goldpiraterie. Darüber hinaus rückt das Buch wenig bekannte Kapitel der Goldchronik in den Fokus. Etwa über Ghanas Ashanti, die Meister im Aufspüren von Gold waren und mit ihrem üppigen Goldschmuck das Goldfieber der portugiesischen Eroberer entfachten; auch vom "Öko-Gold" aus Kolumbien oder der Zertifizierung Fairtrade/Fairmined wissen wohl nur wenige.
Was immer Mythen, Chroniken und Schwarzbücher erzählen: Noch immer schlummert reichlich Gold im Flussschlamm, im Quarzgestein und in den Ozeanen dieser Welt, nur ein winziger Bruchteil davon ist ökonomisch zu holen. Der Umfang der Goldgewinnung bleibt also eine Frage der Technik und der Kosten, nicht der Moral. Und der magische Glanz des Metalls wird weiterhin verzaubern, verblenden - oder Metaphoriker und Werbetexter beflügeln: Golden Girls werden den Golden Handshake entgegennehmen, die Golden Card zücken, eine Schale Mocca Gold schlürfen. Auch Künstler lieben das Spiel mit dem Gold: Damien Hirst warf just im Krisenseptember 2008 (Insolvenz der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers) seine Skulptur "Goldenes Kalb" auf den Markt. Bei Sotheby’s London. Das Werk erzielte einen Verkaufspreis von 10,3 Millionen Pfund. Das Goldene Zeitalter ist längst angebrochen.
Blaise Cendrars: Gold.Erzählung. Aus dem Französischen von Yvan Goll. Nagel & Kimche, München 2011, 151 Seiten, 19,40 Euro.Brigitte Reisenberger, Thomas Seifert:Schwarzbuch Gold.Deuticke, Wien 2011, 240 Seiten, 18,40 Euro.
Fortsetzung auf Seite 2
Ingeborg Waldinger geboren 1956, lebt als freie Journalistin in Wien und schreibt regelmäßig Reportagen und kulturhistorische Beiträge fürs "extra" und fürs "Wiener Journal".