Viele entlassene Bergleute verdingen sich in Rumänien als Alteisensammler - und riskieren für ein paar Euro ihr Leben.
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Rumänien/Petrila. Kurz vor dem Ortsschild von Petrila hält der Kleinbus aus Petroşani an einem Bahnübergang. Täglich fahren hier nur noch zwei Züge, also nehmen die Fußgänger den Bahntunnel als Abkürzung. Es ist dunkel, und die Menschen laufen im Gänsemarsch über die Schwellen oder durch den Kohlenstaub, zwischen Schienen und Wand. Die Züge bringen die Steinkohle von den Minen in Petrila und Lonea erst zum Bahnhof in Petroşani, und dann weiter zu den Abnehmern. Jenseits des Hügels, am anderen Ende des Tunnels, wird gearbeitet. Vor der Wende gehörten die Bauten hier dem Bergwerk.
Vorne steht ein gelbliches, vierstöckiges Gebäude, das früher als Lagerraum diente. Aus einem Fenster werfen zwei Jungen mit Kapuzenpullis einen vier Meter langen Metallträger, der mit einem dumpfen Geräusch im Schutt landet. Drei weitere Jungen übernehmen und schmeißen ihn neben die anderen fünf Balken, in den kleinen Anhänger eines gelben Dacia. Aus dem Gebäude dröhnt das monotone Aufschlagen der Hammer auf Beton, und ab und an auf Metall. Durch die Öffnung, die einst der Eingang war, steigen Staubwolken auf, die zwischen den Zähnen knirschen. Drinnen arbeiten 15 bis 20 Menschen. Sie sind Alteisensammler, "Magneten", wie die Einheimischen sie nennen. Sie kommen früh, um acht oder neun, und bleiben hier, bis es dunkel wird und die Recyclinghöfe zumachen.
Die Geschäfte machen andere
An Recyclinghöfen mangelt es in Petrila nicht: Allein auf dem Weg von der Mine hierher liegen drei oder vier. Alle kaufen Altmetall an, vor allem Eisen und Kupfer, aber auch Plastikbehälter, "Kanister", wie die Einheimischen sagen. So kommt es, dass der sich andernorts in Rumänien am Stadtrand, in Bächen und auf ehemaligen Industriegeländen aufhäufende Plastikmüll hier im Schiltal nur selten vorkommt. Nichts bleibt ungesammelt in Petrila. Diese Aneignung ist nicht ohne Ironie: Die Arbeitskräfte, die Rumänien in den neunziger Jahren entsorgte, haben sich selber an die Arbeit gemacht und sammeln alles, was noch verwertbar ist. Die Recyclinghöfe übernehmen die Ware, ohne viele Fragen zu stellen. Letztes Jahr hat die Regierung die Auflagen für solche Unternehmen verschärft, nachdem an mehreren Orten der Zugverkehr immer wieder wegen geklauter Kabel, Einfahrtssignale und anderer Metallteile lahmgelegt worden war.
Ob groß oder klein, die rumänischen Alteisengeschäfte scheuen die Öffentlichkeit. Der Grund liegt nicht nur darin, dass die Herkunft des Materials nicht immer legal ist, sondern vor allem in der seit Jahren belegten Tatsache, dass die ganze Branche massive Steuerhinterziehung betreibt. Doch die Regierung und die Mainstream-Medien zeigen immer wieder mit dem Finger auf die Magneten, das letzte Glied in der Kette.
Das in Rumänien gesammelte Alteisen wird zum größten Teil exportiert. Für jedes angekaufte Kilo zahlen die Recyclinghöfe im Schiltal zwischen 13 und 16 Cent und sie verkaufen das Metall doppelt so teuer an Großhändler. Der Schrott wechselt dann mehrmals die Hände, bevor es auf Schiffe geladen wird und bei den Schmelzwerken in der Türkei und Deutschland ankommt. Das Geschäft ist sehr lukrativ vor allem für den größten Spieler auf diesem Markt, die schwäbische Scholz AG, die in Rumänien tausend Menschen beschäftigt und 75 Filialen unter den Namen Remat Holding und Remat Invest betreibt. In Siebenbürgen, wo historisch der Industrialisierungsgrad höher war und es deshalb heute nicht an Alteisen mangelt, genießt der Konzern eine Monopolstellung.
Das gelbliche Gebäude, das die Magneten abreißen, hat die Mine nach der Wende veräußert, es gehört jetzt einem insolventen Unternehmen. Der Hauptgläubiger, die rumänische Sparkasse, hat vor kurzem eine Vertreterin vor Ort geschickt. Sie musste feststellen, was mit den Werten aus der Insolvenzmasse passiert. Sie hat die Polizei gerufen, aber die Beamten erklärten, dass der magere Haushalt der Kommune keine Dauereinsätze ermöglicht. Das Phänomen sei unbeherrschbar.
Brüllen vor Schmerzen
Vorne wartet der gelbe Dacia, dass die Jungen mit Kapuzenpullis die letzten Träger für heute Abend herunterwerfen. Drinnen knallen weiter die Hämmer. Eine Betonplatte, breit wie ein Zimmer, gibt nach, und ein dumpfes Grollen hallt nach. Die ersten Staubkörnchen schießen empor und stechen wie Splitter. Zur Not organisieren die Kollegen eine Säge, doch das Gros der Arbeit wird mit dem Hammer erledigt. Wenn der Balken fällt, klopfen sie den Beton ab, bis das Metallskelett frei liegt. Helm oder Handschuhe trägt keiner, zu teuer für ein Magnetenleben.
Ein Magnet kann täglich 20 bis 30 Kilo Alteisen auf den Recyclinghof bringen. Dafür bekommt er höchstens fünf Euro. Einige Meter weiter arbeiten drei Männer mit Spitzhacken in einem Graben. Heute haben sie nichts gefunden. "Wir schuften hier wie die Zuchthäusler", sagt der Älteste. "Ich grabe hier nach Alteisen, seitdem ich bei der Restrukturierung entlassen wurde. Das war 1997." Er heißt Dorel Ciuci, trägt eine dunkelrote Arbeitshose und eine schwarze Mütze, die seine Halbglatze versteckt. Geboren ist er in Petroşani, aufgewachsen hier, in Petrila. Er hat eine Maurerausbildung. Lange war er bei der Mine angestellt, wo er die Schachtwände befestigte. Nach der Kündigung war seine Abfindung schnell weg - ebenso wie seine Frau mit den Kindern. Seit der Entlassung hat er keine ordentliche Stelle gefunden. Für Ciuci blieb also nur noch die Alternative, auf eigene Faust Alteisen zu sammeln. Ihm fehlte das Geld für Miete und Nebenkosten, so ging auch seine Einzimmerwohnung in Petrila den Bach runter. Seitdem wohnt er bei einer Frau, die ihn "nach Hause mitnahm". Jeden Tag steht er früh auf und geht seiner Beschäftigung nach, selbst sonntags und an Feiertagen wird gegraben und geklopft.
Gegenüber dem gelblichen Gebäude klopfte Dorel Ciuci an einer Baracke aus Backstein, als sein Glück ihn verließ. Er hatte einen zwölf Meter langen Betonbalken gefunden und versuchte, das Eisen herauszubekommen. Knapp einen halben Meter war es noch bis zum Ende des Trägers, als das Betonstück plötzlich nachgab und auf ihn fiel. Sein Arm, seine Rippen und Beine sind stecken geblieben. Er brüllte vor Schmerzen. Die anderen Magneten sind weggelaufen, aus Angst, dass jemand kommen und Fragen stellen würde. Einige Jungen haben ihn herausgezogen und brachten ihn ins Krankenhaus, wo er drei Tage später operiert wurde. Er bekam eine Metallstange in den Arm implantiert und eine andere oberhalb des Knies, das andere Bein wurde in Gips gelegt. Die Frau klopfte mit den Jungen das Eisen aus dem Balken frei, fand dort noch ein Kabel aus Kupfer und brachte alles zum Recyclinghof, wo sie für 80 Kilo Metall knapp 11 Euro bekam.
Unterm Rad
Nach der OP, als Ciuci wieder wach war, fragten der Arzt und die Chefkrankenschwester, ob er eine Versicherung hätte. Er habe keine und auch kein Geld für die Behandlung. Er müsse das Krankenhaus verlassen, wenn er nicht zahlen könne. "Wie soll ich gehen, wenn ich nicht aufstehen kann?", fragte er. "Ihr hättet ein Implantat aus Alteisen nehmen sollen, da wäre es billiger gewesen." Schließlich gewährten sie ihm einen zweiwöchigen Aufenthalt. Seine Schwester besorgte ihm einen Rollstuhl, in dem er schließlich entlassen wurde. "Sie werden mich wahrscheinlich in den Knast stecken, weil ich den Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen kann", befürchtet der Mann. "Vielleicht ist es auch besser so, aus dem Knast kann man nicht rausgeschmissen werden."