Dass die Rating-Agenturen auch 18 Jahre nach der Einführung des Euro immer noch so schalten und walten können, wie sie es tun, offenbart ein Gestaltungsversagen der politisch Verantwortlichen.
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Manche Länder tun sich schon mit ihren eigenen Revisionsinstitutionen schwer, Österreich etwa mit dem Rechnungshof. Passt eine Aussage nicht, kommt gleich eine schroffe Antwort, manchmal mit Hinweis auf deren Theorie-Lastigkeit.
Das Down-Grading zahlreicher Euroländer - so auch Österreichs - durch Standard & Poor’s vor nunmehr fast vier Jahren macht das Klumpenrisiko der österreichischen Finanzbranche in Mittel-Osteuropa deutlich. Die Folgen der unprofessionellen Privatisierung der ehemaligen Wiener Zentralsparkasse und Creditanstalt/ Länderbank an bayrische und schlussendlich italienischen Bankkreise bringen auch eine zusätzliche Verknüpfung mit der notleidenden italienischen Finanzindustrie, die Bank Austria als Tochter der ins Gerede gekommenen Unicredit. Dass gerade über diese ehemals so stolze Wiener Bankengruppe im Herbst 2015 die Gefahr der endgültigen Filetierung droht, ist ein Ergebnis nicht wahrgenommener Führung trotz externer Mahnung.
2012 folgte der Aufschrei der Bundesregierung auf dem Fuß. Der vermeintliche Musterschüler gab seinem Verlustschmerz Ausdruck, nicht mehr ganz brav zu sein, und laut war der Ruf: "Wir wollen aber schnell wieder unser geliebtes Triple AAA zurück, das uns so lieb und teuer ist." Eine Annahme der dahinterstehenden Probleme erfolgt bei einer so unreifen Reaktion kaum. Dass der Spruch des vermeintlich strafenden Lehrers auch eine Orientierung sein kann, wurde völlig verdrängt.
Im August 2011 traf das erstmalige Downgrading der US-Staatsfinanzen die USA hart, massive Börse-Turbulenzen folgten, das Beeindruckende ist aber immer wieder, wie sich die USA aus solchen Krisen erholen. Die österreichische Börse hat ihren ATX-Spitzenwert vom Juli 2007 von etwa 5000 Punkten nicht wieder erreicht und dümpelt seit der Krise bei 50 Prozent dieses Wertes dahin.
Keineswegs soll den US-dominierten Rating-Agenturen hier ein Heiligenschein ausgestellt werden. Zu interessengebunden mag ihre Agenda sein im Wettbewerb von politico-ökonomischem Einfluss auf dieser Welt, US-Interessen zu unterstützen und die europäischen im handhabbaren Überblick zu belassen. Dass diese Rating-Agenturen aber 18 Jahre nach Einführung der Gemeinschaftswährung Euro nach wie vor so schalten und walten können, wie sie es tun, und die europäische Seite nach Jahren über das Argument, man sollte ein europäisches Pendant haben, nicht hinausgekommen ist, offenbart ein Gestaltungsversagen der politisch Verantwortlichen erster Ordnung. Naivität war noch nie ein guter Ratgeber bei der Gestaltung politischer Systeme.
Methodisch saubere Analysen als Ohrfeigen für die Regierung
Die Rating-Agenturen liefern aber auch beeindruckende und methodisch saubere Analysen. Im Falle Österreichs ist der Befund, das Land sei im Vergleich zu Deutschland verwundbarer geworden, weil die öffentlichen Finanzen in einer schwächeren Situation seien, eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung und die Koalitionsparteien; für die SPÖ als den stärkeren und bestimmenden Partner ebenso wie für die ÖVP, die seit mehr als einem Vierteljahrhundert in der Regierung sitzt und daher eine Generalverantwortung für den Niedergang Österreichs hat. Die ÖVP funktioniert offenbar nicht mehr in Partnerschaft mit der SPÖ - wurde doch vor 14 Jahren noch Österreich als das wirtschaftspolitische Vorbild (!) für das dahinsiechende rot-grün regierte Deutschland gesehen.
Der Verweis der Rating-Analysten auf die höheren möglichen Verbindlichkeiten durch das Bankensystem und der daraus ableitbare Auftrag an Österreich, an einer Lösung der europäischen Schuldenkrise mitzuarbeiten, "die über den Tag hinaus gelten kann", ist eine klare Empfehlung in Richtung konzeptiver Wirtschaftspolitik. Es zeugt nicht gerade von souveräner Politik-Fähigkeit, wenn die Rating-Agenturen belehrend bescheiden müssen, dass die Problemdiagnose nur teilweise gelungen sei, denn die Krise gehe über die öffentliche Verschuldung weit hinaus und betreffe auch den Privatsektor. Die Einschau durch die Rating-Experten bringt es auf den Punkt, wenn von einer Krise gesprochen wird, die dadurch entstanden sei, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Euroländer diametral auseinanderbewegt habe und sich dieses Problem durch Schuldenbremsen europaweit nicht eindämmen lasse.
Klumpen-Risiko durch expansionswütige Banken
Es ist für den politischen Diskurs in Österreich beschämend, dass es der US-dominierten Rating-Agenturen bedarf, um politische Allgemeinweisheiten einzubringen, die daran erinnern dass eindimensionales Sparen überall gefährlich ist, dass Koordination - von den EU-Granden immer wieder reklamiert - etwas anderes als Gleichschaltung der Politik ist, nämlich ganz im Gegenteil, und dass es notwendig ist, dass Politik sich auch um den Stimulus für neues Wachstum kümmert.
Österreich hat sich mit den expansionswütigen Wiener Banken ein Klumpen-Risiko in Mittel-Osteuropa eingehandelt, welches das Potenzial hat, eine gesunde Realwirtschaft mit vielversprechender Aufstellung im industriell-gewerblichen Bereich in den Abgrund zu ziehen.
Diesen Befund gilt es anzunehmen, und es ist bedauerlich, dass eine sich unkritisch gegenseitig stützende Elite außer der gebetsmühlenartigen Wiederkehr der selbstbegütigenden Argumentation der Erfolgsträchtigkeit des Geschäftsmodells Ost-Expansion keine Antworten kennt.
Österreich wäre gut beraten, den Verlust des Triple AAA nicht als strafenden Bannstrahl des Bösen zu sehen. Bei genauem Hinschauen zeigen sich Fehlentwicklungen auf, welche von der Politik Umkehr verlangen. Die Argumentation eines Wiener Top-Bankers, er glaube nicht, dass es für die Wiener Banken in Ungarn Probleme geben könnte, schließlich seien ja viele hundert österreichische Firmen in Ungarn vertreten, zeugt jedenfalls nicht von souveräner Problemanalyse.
Europa war auf den Euro schlecht vorbereitet
Europa soll nicht die Vereinigten Staaten von Europa werden. Europa ist reich an Wissen und politischen Erfahrungen. Europa hat auch schon gezeigt, dass gemeinsame Vorgangsweisen zum Vorteil aller sind, zum Vorteil der Mitgliedsstaaten, aber vor allem zum Vorteil der Menschen Europas. Die Jahre 1958 bis 1998 können als Goldene Jahre Europas ausgemacht werden: Zunehmende Bereitschaft zur Vergemeinschaftung von Politikfeldern und partnerschaftliches Umgehen selbstbewusster EG-Mitgliedsstaaten auf Augenhöhe schufen ein Erfolgsmodell, die Menschen partizipierten unter anderem mit ständig steigenden Realeinkommen.
Als Europa sich anschickte, sich im Zuge seines Integrationsprozesses eine Gemeinschaftswährung zu schaffen, wurde das in den USA natürlich aufmerksam verfolgt. Der Stärke der europäischen Realwirtschaft war und ist man sich bewusst, an die Verfügung über die bedeutendste Währung der Welt hat man sich in den USA allerdings schon gewöhnt, und die USA wollen das auch nicht aufgeben. Was Organisation und Institutionen für eine Gemeinschaftswährung anbelangt, so war Europa nicht vorbereitet.
Herabstufungen der Ratings lösen in vielen Fällen emotionale Reaktionen aus, ja oft wird den Rating-Agenturen vorgeworfen, dadurch Öl ins Feuer der Krise zu gießen. Dass Rating-Agenturen als Brandbeschleuniger fungieren, dürfte jedoch eher ins Reich der Mythen verwiesen werden. Am Beispiel Österreichs zeigt sich klar, dass sich die österreichische Wirtschaftspolitik seit 2006/07, dem Zeitpunkt der Wiederauflage der Koalition von SPÖ und ÖVP, auf eine "Reise in den Süden" begibt. Sämtliche internationale Rankings weisen einen stetigen Abstieg Österreichs aus, das gegenüber seinen Wettbewerbern laufend an Boden verliert.