Der Verfassungsschutz ist zu einem Symbol geworden, wie eine Behörde ruiniert werden kann. Sie ist kein Einzelfall.
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Am 1. Dezember des Vorjahres hat eine neue Behörde das Licht der Welt erblickt: die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst, kurz DSN. Neuer Name, neue Struktur, ein neuer Chef und in Zukunft auch eine neue Adresse. Als Aufgabe hat die Behörde die Gefahrenerforschung und Gefahrenabwehr. Von ihrer Arbeit hängt also ganz wesentlich die Sicherheit des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger ab. Beim Beschluss im Nationalrat erhielt die DSN wohlwollende Worte auch von der Opposition.
Man muss aber auch erwähnen, warum es die DSN gibt. Die Vorgängerbehörde, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), war zwar erst 2002, als Teil einer groß angelegten Strukturreform, unter dem damaligen Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) gegründet worden. Aber nicht einmal zwei Jahrzehnte später lag das BVT in Trümmern, war international isoliert und ein Sicherheitsrisiko; mutmaßlich zerstört durch einen jahrelangen parteipolitischen Würgegriff.
Die Causa, die in einer später als rechtswidrig erkannten Hausdurchsuchung 2018 ihren Höhepunkt erlebte, wurde in einem Untersuchungsausschuss parlamentarisch aufgearbeitet, sie zieht sich aber bis heute. Jüngst öffentlich gewordene Handy-Kurznachrichten vom langjährigen Kabinettschef im Innenministerium, Michael Kloibmüller, sollen nämlich von ehemaligen Beamten des BVT an Medien gegangen sein. Die Chats offenbaren Postenschacher in all seinen Facetten, teilweise bis in untere Verwaltungsebenen. Kloibmüller, der unter Strasser ins Ministerium gekommen war, tauschte sich immer wieder mit ÖVP-Politikern aus, zum Beispiel auch, als eine intern als SPÖ-nahe firmierende Beamtin Wiener Vizelandespolizeidirektorin werden wollte. Wie aus den Chats hervorgeht, wurde das erfolgreich verhindert.
Wie diese Nachrichten aber an die Öffentlichkeit gelangten, erzählt auch eine eigene Geschichte. Oder eigentlich mehrere Geschichten. Sicher ist, dass es in der Behörde massive Intrigen gab, die eine Reihe von Ermittlungen auslösten. Und eben die bereits erwähnte Razzia, die auf einem Konvolut fußte, das zahlreiche angebliche Verfehlungen von Kloibmüller und anderen Beamten auflistete. Einige diese Vorwürfe konnten widerlegt, andere nicht nachgewiesen werden, wieder andere erwiesen sich als übertrieben oder fehlinterpretiert. Von den strafrechtlichen Vorwürfen blieb (bisher) nichts übrig.
Hinter diesen Anwürfen sollen jene drei ehemaligen BVT-Beamten stehen, durch die nun die Innenministeriums-Chats an die Öffentlichkeit gelangten. Unter ihnen auch der bereits öffentlich aufgetretene Egisto Ott. Dieser ist 2017 aus dem BVT hinaus versetzt worden, weil er mutmaßlich für Russland spioniert haben soll. Es wird seit damals ermittelt. Ott bestreitet das vehement und wittert seinerseits eine Intrige. Er beschuldigte öffentlich andere BVT-Beamte, illegale Aufträge erteilt zu haben, zum Beispiel illegale Observationen. Tatsächlich läuft derzeit noch ein Prozess gegen den ehemaligen Spionagechef des BVT wegen einer mutmaßlich unrechtmäßigen Überwachung einer nordkoreanischen Delegation.
Strukturreform mit Benefit
Das BVT war 2002 aus der ehemaligen Staatspolizei und der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus hervorgegangen. Erster Chef wurde ein Offizier des Heeres-Nachrichtenamtes. Ausgerechnet. Es war, als wäre ein Ur-Austrianer Rapid-Trainer geworden. Argumentiert wurde die Reform mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001, aber Organisationsreformen in der Verwaltung erfüllen meist auch einen anderen Zweck: Umfärbung. Manchmal auch nur diesen. Das Innenministerium war seit 1970 SPÖ-geführt.
Dass es im BVT Parteibuchwirtschaft und nicht sachlich nachvollziehbare Postenbesetzungen gab, ermittelte auch der U-Ausschuss. Zum Vorwurf eines "schwarzen Netzwerks", wie im Konvolut insinuiert, fand der U-Ausschuss laut Endbericht zwar keinen Nachweis, jedoch erkannte er ein "Gesamtbild, das für ein Netzwerk zwischen bestimmten ÖVP-nahen Personen in und um das BVT spricht". So hatte etwa ein hoher Beamter der Behörde intensive Kontakte mit ÖVP-Politikern und war in einem Verein engagiert, dessen einziger Zweck die Unterstützung der ÖVP bei Nationalratswahlen war. Auch die nun öffentlich gewordenen Chats untermauern den Vorwurf der Parteibuchwirtschaft.
Wie die Nachrichten von und an Kloibmüller öffentlich wurden, ist kurios, aber auch heikel. Bei einem Betriebsausflug war das Handy des Kabinettschefs ins Wasser gefallen. Das vermeintlich kaputte Handy gelangte zwecks Reparatur zu einem IT-Techniker des BVT, der die Daten abgesaugt haben soll. Der Techniker ist wiederum Teil einer kleinen Gruppe um Ott. Zu dieser gehört auch Martin W., ein ehemaliger Abteilungsleiter im Verfassungsschutz, der eher unsanft von seinem (hohen) Posten gedrängt worden sein soll.
Kloibmüller und Schmid als Manager der Macht
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen alle drei ehemalige Beamte, weil diese Informationen nach außen getragen bzw. verkauft haben sollen - was diese bestreiten. Ott hat, wie Chats belegen, Kontakte zu Oppositionspolitikern gehabt, weshalb es auch zu einer Hausdurchsuchung beim ehemaligen Fraktionsführer der FPÖ im BVT-U-Ausschuss, Hans-Jörg Jenewein, gekommen ist. Sowohl Otto als auch Jenewein bestreiten Zahlungen. Ging es um Geld? Um Rache? Um das Aufdecken von Missständen? Oder spielte alles eine Rolle?
Das BVT ist mit dieser durchaus wilden Geschichte zu einem Symbol geworden. Eine Behörde, die rasch zusammengebaut wurde, die von Beginn an dysfunktional war, in der es Konflikte und Intrigen gab sowie offenkundig Parteibuchwirtschaft und Revanchefouls. Die Chats von Kloibmüller deuten darauf hin, dass es sich beim BVT nur um die nun publik gewordene Spitze des Eisbergs im Innenministerium handelt, zumindest was Parteibuchwirtschaft und einen legeren Umgang mit Daten betrifft. Der langjährige Kabinettschef war dabei eine zentrale Schnittstelle, an ihn wandten sich ÖVP-Politiker mit Wünschen.
Kloibmüller managte aber nicht nur Personalfragen in seinem Ressort, sondern wurde auch involviert, als die Justiz die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien besetzen wollte und verhindert werden sollte, dass zwei unliebsame Staatsanwältinnen den Posten bekämen. Eine OGH-Richterin bewarb sich dann, wie Chats nahelegen, auf Bitte des damaligen ÖVP-Justizministers Wolfgang Brandstetter und erhielt den Job.
Eine umfassende Dokumentation von Handy-Nachrichten existiert auch von Thomas Schmid, dem früheren Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium. Diese Chats waren bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt worden, nachdem in einer anonymen Anzeige illegaler Postenschacher bei den Casinos Austria gewittert wurde. Das war der Anfang der mittlerweile sehr ausgedehnten Ermittlungen zu diversen Vorgängen unter Türkis-Blau. Wer die Anzeige verfasst hat, ist bis heute unklar, es muss sich allerdings um eine Person mit Insiderwissen zu den Casinos handeln. Ein im Postenkarussell der Parteien hinausgeschleuderter Mitarbeiter?
Aufarbeitung im U-Ausschuss
In einem von der Online-Plattform "zackzack.at" publizierten Artikel ist auch ein Kontakt zwischen Schmid und Kloibmüller dokumentiert. Ein Bekannter von Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling intervenierte bei diesem für seinen Schwager, einen Polizisten. Schelling leitete die Bitte an Generalsekretär Schmid weiter, der wiederum Kloibmüller in Bewegung setzte. Der BMI-Manager wurde auch sofort aktiv und schrieb einem Kabinettsmitarbeiter: "Bitte dringend umsetzen! Wunsch Schelling."
Die Chats werden in den kommenden Wochen und Monaten eine tragende Rolle im ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss spielen, für 2. März sind die ersten Befragungen geplant. Es geht dabei nicht nur, aber vor allem um Parteibuchwirtschaft in ihrer Vielgesichtigkeit, vom Postenschacher über Auftragsvergaben bis zur Einflussnahme auf staatliche Gesellschaften.
Dass die BVT-Affäre kurz vor Start des Ausschusses wiederkehrt, hat Symbolcharakter, weil diese Behörde mutmaßlich aus genau diesen Gründen so spektakulär zerbröselte, dass sie völlig neu aufgebaut werden musste. Diesmal passierte die Reform aber auch unter Mitwirkung der Opposition. Das sollte nicht unerwähnt bleiben, da es sich um eine wichtige Neuerung der Verwaltungsgestaltung handelt. Reformen auf breite Basis zu stellen, könnte ein Weg mit Vorbildfunktion sein.
Und diese wird es wohl benötigen. Auch wenn die Chats vieles öffentlich machen, gibt es längst genügend Hinweise, dass es auch in anderen Behörden und Ministerien erhebliche Missstände gibt. Seit vielen Jahren. Ein paar Beispiele: Aus dem Finanzministerium unter Ministerin Maria Fekter (ÖVP) hatte eine regelrechte Flucht von Spitzenbeamten eingesetzt. 2016 hatte sich nur eine Handvoll für die Leitung der Budget-Sektion beworben (nur eine Kandidatin blieb übrig), obwohl das einer der Tob-Jobs in der Verwaltung ist. Die Kommunikation innerhalb der Ministerialbeamtenschaft wurde erschwert und wird heute vorwiegend aus den Ministerkabinetten gesteuert, die immer größer wurden. Wer sich heute in der Beamtenschaft umhört, trifft oft auf Resignation und Demotivation. Vor allem seit 2006, wird berichtet, also noch unter Rot-Schwarz, habe sich dahingehend schleichend vieles zum Schlechten geändert. Meist ist es weit weniger spektakulär als die BVT-Affäre - aber nicht minder problematisch. Nicht zuletzt hat die Corona-Krise offenbart, dass Österreich kein gut verwaltetes Land mehr ist.