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Main Street gegen Wall Street

Von Franz-Stefan Gady

Politik

Neben seiner Kritik an der Einwanderung punktet Donald Trump auch mit scharfer Rhetorik gegenüber den Finanzeliten. Die Vermischung von Identitätspolitik mit antikapitalistischen Positionen hat in den USA eine erstaunlich lange Tradition.


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Die "Wall Street wird bei mir nicht davonkommen!" Donald Trump schien während seines Wahlkampfes 2015 und 2016 eine klare Botschaft an die den größten und wichtigsten Finanzplatz der Welt und dessen Profitgier zu schicken. "Die Wall Street hat enorme Problem verursacht," mahnte er etwa im Jänner 2016 in einer Rede in Iowa und versprach: "Wir werden die Wall Street besteuern." Wiederholt unterstrich der New Yorker Milliardär, dass er die Rettung der Mittelklasse vor der Habgier der Financiers als eine seiner Hauptaufgaben als Präsident sehe. Im Endspurt des Wahlkampfs im Oktober 2016 beschuldigte er Hillary Clinton, mit den internationalen Banken unter einer Decke zu stecken und die "Zerstörung" der amerikanischen Souveränität zu planen, "um die Finanzmächte dieser Welt reicher zu machen".

Die Wall Street, die sich auf Kosten der Main Street bereichert - seit Jahrzehnten ist das eines der Leitmotive amerikanischer Wahlkämpfe. Trump war hier keine Ausnahme. Was ihn aber von moderateren Kandidaten im Jahr 2016 unterschied, war seine gekonnte Verknüpfung von Systemkritik und Kulturkampf. Anstelle von bekannten Patentrezepten wie der weiteren Deregulierung der Finanzmärkte (beliebt unter Republikanern) oder härteren Finanzkontrollen und Compliance-Regeln (favorisiert von Demokraten), versprach Trump die Globalisierung selbst zu unterbinden. Seine Mauer ("The Wall") an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sollte nämlich nicht nur illegale Einwanderer stoppen, sondern gleichzeitig auch Firmenabwanderungen und die Einfuhr von Billiggütern verhindern.

Wirtschafts- und Identitätspolitik verschmolzen bei ihm. Trump erkannte, dass viele Wähler weniger die steigende wirtschaftliche Ungleichheit in den USA störte als vielmehr das globalisierte Wirtschaftssystem, das der amerikanischen Arbeiterklasse und unteren Mittelschicht nach und nach die Identität zu rauben schien.

Hauptgegner Globalisierung

Auf diese sogenannten "Verlierer" der Globalisierung war seine politische Botschaft zugeschnitten. Ihre Anzahl ist in den letzten Jahren, vor allem seit der Finanzkrise von 2008, die die Arbeiterklasse ("Blue-Collar Class") besonders hart traf, stetig angestiegen. Durch die von der Wall Street verursachte Rezession gingen alleine über fünf Millionen Blue-Collar Jobs verloren, die nicht mehr zurückkamen. Die ganze Krise kostete die USA laut Schätzungen sagenhafte 25 Billionen Dollar. Insgesamt verschwanden zwischen 1998 und 2018 dem Economic Policy Institute zufolge allein 5 Millionen Arbeitsplätze im Produktionssektor. 91.000 Fabriken mussten zusperren.

Im Wahlkampf machte Trump dafür Freihandelsabkommen wie Nafta verantwortlich. Das 1994 verabschiedete Wirtschaftsabkommen bildete eine Freihandelszone zwischen Mexiko, Kanada, und den USA. Die Auswirkung auf die amerikanische Wirtschaft war dem Congressional Research Service nach jedoch- vor allem, was den Produktionssektor betraf - moderat. Viele amerikanische Betriebe verlagerten in den letzten Jahrzehnten ihre Produktion in andere Billiglohnländer. Nach Angaben des Economic Policy Institute ging die Mehrheit der Arbeitsplätze in der Produktion an China verloren: Seit 2001 waren es 3,7 Millionen. Das Nafta-Abkommen und die Wall Street waren jedoch 2015 und 2016 für Trump die effektiveren Sündenböcke als China, obwohl er oft auch gegen Peking wetterte. Nafta war das perfekte Sinnbild für eine ausufernde Globalisierung, die amerikanische Arbeiter nicht nur wirtschaftlich schadet, sondern auch ihre Identität dem freien Verkehr von Menschen und Waren opfert.

Trump knüpfte mit seiner Antiglobalisierungskampagne und seiner Kritik an der Wall Street 2016 an die Tradition amerikanischer Populisten aus dem späten 19. Jahrhundert an, die im sogenannten "Vergoldeten Zeitalter" ("The Gilded Age") die steigende wirtschaftliche Ungleichheit und die Finanzpolitik der Washingtoner Regierung kritisierten. Der Ausdruck "Vergoldetes Zeitalter" (1870-1900) geht auf den Schriftsteller Mark Twain zurück, der unter dem Motto "Es ist nicht alles Gold, was glänzt" die Oberflächlichkeit des wirtschaftlichen und technologischen Aufschwungs kritisierte, der mit enormer sozialer Ungleichheit und steigender Armut vor allem unter der stetig wachsenden Arbeiterschicht einherging. Das Silicon Valley dieser Zeit waren Eisenbahnen sowie die Stahl- und Erdölindustrie, finanziert von mächtigen Privatbankiers.

Die Mark Zuckerbergs und Jeff Bezos des "Vergoldeten Zeitalters" waren John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbildt und J.P. Morgan, aufgrund ihres astronomischen Reichtums und der monopolistischen Stellung ihrer Unternehmen spöttisch auch "Räuberbarone" ("Robber Barons") genannt. Der wachsende Reichtum und die Macht dieser neuen Elite gingen einher mit einer neuen Einwanderungswelle, die in den letzten 30 Jahren des 19. Jahrhunderts 20 Millionen Immigranten in die USA brachte, was zu erheblichen sozialen Spannungen führte.

"Chinese Exclusion Act"

Populisten - der Begriff bezog sich in den USA bis in die 1950er Jahre hauptsächlich auf linke Politik - versuchten, diese gesellschaftlichen Umbrüche auszunutzen. So gab es zwischen 1874 und 1884 die Greenback-Arbeiterpartei, die sich gegen die Monopolisten und die restriktive Geldpolitik der Regierung in Washington stellte, welche, so der Vorwurf, vor allem den Landwirten in den westlichen Bundesstaaten schadete.

Sie sprach sich 1880 offen für einen Einwanderungsstopp von Chinesen aus. Die Greenback-Arbeiterpartei ging letztlich in der Populistenpartei ("Populist Party"), auch Volkspartei ("People’s Party") genannt, auf, die sich strikt gegen den Goldstandard und den ausufernden Kapitalismus an der Ostküste auflehnte.

Obwohl ihnen auch Afroamerikaner angehörten und sie unter anderem das Frauenwahlrecht forderten, waren die Populisten ebenfalls für eine restriktivere Einwanderungspolitik. Ihre Kritik an der amerikanischen Finanz- und Wirtschaftspolitik glitt im Laufe der Jahre immer mehr ins Verschwörungstheoretische ab. Kandidaten der Partei spekulierten offen damit, dass es ein Komplott der Regierung in Washington mit der Hochfinanz in New York gebe, um Massenbankrotte von Landwirten im Westen der USA zu verursachen. Mehrere Parteimitglieder wurden in den Kongress gewählt. Auch stellten die Populisten eigene Präsidentschaftskandidaten auf. 1909 löste sich die Partei dann jedoch auf.

Die diversen populistischen Kreuzzüge im 19. Jahrhundert führten schließlich dazu, dass man den Zustrom aus dem Ausland massiv einzuschränken begann. 1882 gab es den "Chinese Exclusion Act", das Gesetz zum Ausschluss der Chinesen, das die Einwanderung von Chinesen suspendierte. 25 Jahre später galt eine ähnliche Regelung für japanische Immigranten.

1924 wurde dann ein Quotensystem eingeführt, das primär auf westeuropäische Einwanderer zugeschnitten wurde. Selbst wenn die wirtschaftliche Ungleichheit weiter existieren würde, so würde damit, so die Hoffnung, zumindest die Identität der amerikanischen Landwirte und der Arbeiterklasse bewahrt. Gleichzeitig stärkte es auch unter Politikern die Bestrebungen, die monopolistischen Machtstrukturen der Räuberbarone zu brechen, was schließlich unter Präsident Theodore Roosevelt (1901-1909) und dessen "Square Deal" ("ehrliches Geschäft") Realität wurde. Dabei handelte es sich um ein fortschrittliches Programm zum Schutz der Mittelklasse, das mit einer Reihe von gesetzlichen Maßnahmen unter anderem die Macht von Monopolen einschränkte.

Republikaner als Protestpartei

Das Erbe der Populisten aus dem 19. Jahrhundert trat nach der Finanzkrise 2008 die "Tea-Party"-Bewegung an. Die Bewegung, deren Name angelehnt an die Bostoner Tea-Party von 1773 ist, stellte sich anfangs hauptsächlich gegen die Wall Street und die interventionistische Wirtschaftspolitik von Barack Obama. Insbesondere die staatlich finanzierten Rettungsschirme für die großen Banken wurden von ihr heftig kritisiert.

Schon bald aber driftete die Tea-Party in verschwörungstheoretische Gefilde und Identitätspolitik ab und verdammte Zuwanderung und Homosexualität. Einige Tea-Party-Aktivisten schafften es 2010 in den Kongress, wo sie eine Zeitlang eine einflussreiche Fraktion bildeten. Bis heute hält sich der Einfluss einiger Tea-Party-Politiker wie etwa Ted Cruz oder Marco Rubio, die sich auch 2016 für die republikanische Nominierung für das Präsidentenamt bewarben, in der Republikanischen Partei.

Durchsetzen konnte sich 2016 am Ende aber Donald Trump, der die gesamte Partei in den letzten Jahren mehr und mehr in eine populistische Protestbewegung verwandelt hat. Deren Hauptfeind ist jedoch nicht länger die Wall Street: Trump tritt seit seinem Wahlsieg als der große Champion des Aktienmarktes auf und vertritt eine klassisch republikanische Wirtschaftspolitik. Die Hauptsorge gilt vielmehr der eigenen erodierenden Identität, und das ist, wie ein Blick zurück auf das 19. Jahrhundert zeigt, ein integraler Teil der amerikanischen Tradition.