Rund um 1900 nutzte Kaiser Franz Joseph das Medium der Fotografie, um sein Image als tatkräftiger und umsichtiger Monarch zu kultivieren.
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Der mächtige schwarze Ring hebt sich scharf von den grauen Umrissen ab. Die Knochen treten dunkler hervor als die Fleischpartien, die im mehligen Grau des Hintergrundes nahezu verschwimmen. Diese Röntgenaufnahme - sie erschien 1904 in einer Wiener Illustrierten - wurde in der Öffentlichkeit als kleine Sensation angepriesen. Immerhin zeigt sie keine gewöhnliche Hand, sondern die des Kaisers Franz Joseph I.<p>Zufall war es gewiss keiner, dass der österreichische Monarch an der Wende zum 20. Jahrhundert in das aufhellende Licht der Wissenschaft trat. Sigmund Freud durchleuchtete in diesen Jahren das Innenleben der menschlichen Seele. Zugleich trat die Naturwissenschaft an, den physischen Körper des Menschen Stück für Stück zu entzaubern. Mit dem Bild der durchleuchteten Hand wurde nun sogar der Körper des Kaisers auf den Analysetisch der Wissenschaft gelegt.<p>
Strategiewechsel
<p>Dieses kleine, unscheinbare Röntgenbild illustriert aber auch einen grundlegenden Strategiewechsel Seiner Majestät in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Bis Mitte der 1890er Jahre waren fast alle Kaiserbilder sorgsam inszenierte Auftragsarbeiten gewesen. Sie zeigen den Kaiser häufig im repräsentativen, gezeichneten oder gemalten Porträt, oft auch als Feldherr auf dem Pferd oder auf Auslandsreisen. Auch die Fotografen, die ihn seit den 1850er Jahren ablichteten, folgten lange Zeit diesem Muster. Zunächst arbeiteten die Kaiserfotografen fast ausschließlich im Atelier. Zu dieser alte Garde der Lichtbildner gehören Ludwig Angerer, das Atelier Adéle, Rudolf Krziwanek, Josef Löwy, Carl Pietzner, Arthur Floeck, Fritz Luckhardt und andere.<p>
Den Kaiser und seine Familie fotografieren zu dürfen, galt als Privileg. Immerhin versprach der illustre Protagonist gute Geschäfte, etwa durch die Vervielfältigung und den Verkauf der Bilder. Aber noch wichtiger war der Glanz des Monarchen, der ein wenig auf den Fotografen und sein Atelier ausstrahlte. Und so ist es kaum verwunderlich, dass das Gedränge unter den Lichtbildnern, von Seiner Majestät in den Kreis der auserwählten Fotografen aufgenommen zu werden, erheblich war.<p>An der Wende zum 20. Jahrhundert änderte sich das Image des Kaisers in der Fotografie grundlegend. Erst in den massenhaft verbreiteten Zeitungsbildern, die um 1900 verstärkt auf die Fotografie setzten, wurde der Kaiser zum volksnahen Souverän, den wir heute kennen. Die neuen fotografischen Kaiserbilder, die seit etwa 1895 in der Presse erschienen, brachen die Statik der bisherigen Inszenierungen auf. Plötzlich bewegte sich der Kaiser, er schritt aus, er ritt und fuhr in der Kutsche und manchmal sogar im Auto.<p>Zwar gaben Kaiser und Kaiserhaus weiterhin repräsentative fotografische Bildnisse bei renommierten Atelierfotografen in Auftrag. Aber in der großen Öffentlichkeit setzen sich nun ganz andere Bilder durch. Sie zeigen den Monarchen bei allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Anlässen: auf Reisen, während der Kaisermanöver, bei der Jagd, in Bad Ischl, bei Staatsbesuchen, bei Eröffnungsfeiern, bei sportlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Veranstaltungen. Diese Bilder entstanden sehr oft im Freien, gelegentlich wurde der Kaiser im Umfeld seines Hofstaats gezeigt. Manchmal waren es auch Momentaufnahmen, die ein besonderes Detail - einen Handschlag, das Besteigen oder Verlassen der Kutsche, ein Winken, ein Grüßen - festhielten.<p>Als der Kaiser 1908 sein 60-jähriges Regierungsjubiläum feierte, verdichtete sich das fotografische Medienspektakel rund um den Kaiser zu einem wahren Feuerwerk. Zahlreiche Journalisten und Reporter, Fotografen und Filmkameraleute berichteten in großer Aufmachung über den monumentalen Umzug in Wien, immer und immer wieder im Blick: der Kaiser auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Bilder dieses Festtages vervielfältigten sich in ungeahnter Weise: in der illus-trierten Presse, in Sonderdrucken, Bildpostkarten, Sammelkarten, Leporellos und in vielen anderen Formen und Formaten. Zwei Wochen nach der Veranstaltung waren die Wochenschaubilder der Kaiserhuldigung auch in österreichischen Kinos zu sehen.<p>Nach 1910 zog sich der Kaiser langsam aus der Öffentlichkeit zurück. Der Zenit der fotografischen Kaisereuphorie war nun überschritten. Das vorgerückte Alter und die angegriffene Gesundheit machten dem Monarchen zu schaffen. Doch je seltener der Kaiser in der Öffentlichkeit auftauchte, desto deutlicher beschwor die Fotografie seine Agilität und Gesundheit. 1913 erschien anlässlich seines Geburtstages ein Foto in der Presse, das Kaiser Franz Joseph in Jagdkleidung zeigt.<p>Der über 80-Jährige ist flott gekleidet: Hut mit Feder, Jägerjoppe, kurze Hose, kniehohe Stutzen. In den Händen hält er eine Büchse, den Blick richtet er aus dem Bild hinaus in die Ferne - ganz so, als ob er noch imstande wäre, dem Hirsch über Stock und Stein zu folgen. Tatsächlich aber ist die Aufnahme im Atelier des Wiener Fotografen Charles Scolik entstanden.<p>In seinen letzten Lebensjahren bat der Kaiser keine Fotografen mehr zu sich, auch die Fotowünsche der Atelierfotografen werden nicht mehr erhört. Die Zeitungen druckten nun nicht mehr, wie gewohnt, Fotografien, sondern Zeichnungen zum Kaisergeburtstag. Als Franz Joseph am 21. November 1916 starb, waren die Fotografen aber wieder zur Stelle. Der verstorbene Monarch wurde auf dem Totenbett abgelichtet. Und der Trauerzug wurde zum Staatsakt der Superlative. Alles, was in der Monarchie Rang und Namen hatte, ließ sich beim Leichenbegängnis blicken. Kein Nachruf in der illustrierten Presse kam ohne fotografischen Rückblick auf das Leben des Monarchen aus.<p>
Im glänzenden Licht
<p>Der Kaiser ging als ruhiger, gütiger Monarch in die Geschichte ein. Dass er im Alter ein höchst subtiler und höchst aktiver Me-dienmanager war, der die Fotografie geschickt zur Kultivierung seines Image nutzte, geriet rasch in Vergessenheit. Ebenso, dass er nicht unwesentlich für den Flächenbrand des Ersten Weltkrieges verantwortlich war. Das schwere Erbe des Krieges und das trudelnde Schiff der Monarchie erbte sein Nachfolger, Karl I. Im historischen Nachhinein war er es, der scheiterte. Franz Joseph sonnt sich hundert Jahre nach seinem Tod noch immer im glänzenden Licht des großen Monarchen.
Anton Holzer, geboren 1964, Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", lebt in Wien. 2014 erschien im Primus Verlag, Darmstadt, sein Buch: "Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus".
www.anton-holzer.at