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Mal koscher, mal halal

Von Hülya Tektas

Politik
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Yvonne Pichler ist im Inneren eine Jüdin.
© Ugur Atay

Yvonne Pichler erzählt vom Jonglieren zwischen allen spirituellen Welten.


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Wien. Yvonne Pichler ist gelungen, was Königen, Gelehrten und Literaten seit Jahrhunderten versagt bleibt. Sie hat alle drei Weltreligionen vereint. Und das mitten in ihrem Wohnzimmer im 6. Bezirk. An der Wand sind Bilder von christlichen Heiligen aufgehängt, auf dem Couchtisch steht die Menora, der jüdische Kerzenleuchter, und auf der Kommode ist ein Aschenbecher mit der Skyline von Istanbul und dem muslimischen Neumond zu erkennen. Stolz holt sie die zwei Anhänger ihrer Halskette unter der Bluse hervor: Der eine ist ein Davidstern, der andere ein Medaillon mit dem arabischem Wort Mashallah, das übersetzt "Allah schütze dich" bedeutet.

Yvonne Pichler ist Jüdin. Und Türkin. Und Wienerin. Geboren 1945 in Istanbul, als Tochter einer Wienerin, die vor den Nazis fliehen musste, und eines türkischen Juden. In Wien gibt es laut Schätzungen der türkischen Kulturgemeinde rund 20 türkische Juden. Die meisten von ihnen flüchteten während des Zweiten Weltkrieges in die USA oder eben in die Türkei, wie Pichlers Mutter.

Damals wurde ihre Mutter von einem österreichischen Kabarettisten vor den Nazis gerettet. Unter dem Vorwand, eine Tanzgruppe in Istanbul gründen zu wollen, brachte sie der Kabarettist in die Türkei. Dort lernte sie Pichlers Vater kennen. "Ich bin sozusagen ein Friedenskind", sagt die 68-Jährige. Ihre Mutter genoss das Leben in Istanbul, erinnert sich Pichler heute. Weil sie als Europäerin damals Ansehen genoss. Weil sie in erster Linie als Österreicherin wahrgenommen wurde, nicht als Jüdin. Im Hause Pichler war der Zweite Weltkrieg ein Tabu. Die Zeit vor der Flucht wurde verdrängt. Pichlers Mutter gab ihr stets den Rat, ihre jüdische Identität nicht öffentlich auszuleben. Weder in der Türkei noch in Österreich, wo sie ihre Schulferien bei der Großmutter in Wien verbrachte.

Obwohl ihre Eltern nicht religiös waren, feierten sie die großen jüdischen Feste wie Pessach, Jom Kippur und Chanukka. Und sie brachten ihrer Tochter "Spaniolisch" bei: eine Mischsprache aus Spanisch und Französisch mit Einflüssen aus dem Hebräischen, Aramäischen, Arabischen und Türkischen, die nur noch von wenigen Menschen gesprochen wird und vom Aussterben bedroht ist. Mit der islamischen Welt assoziiert Pichler Kindheitserinnerungen, die ihr ganzes Leben geprägt haben. So verwendet sie heute noch bei ihren Gesprächen arabische Begriffe und Ausdrücke. Und schließlich das Christentum, die Religion ihrer Oma mütterlicherseits und ihres Ehemannes. So werden im Hause Pichler die christliche Feste wie Weihnachten und Ostern auch gefeiert. "Ich bin zwar multikulturell und mehrsprachig aufgewachsen, tief im Inneren bin ich jedoch eine Jüdin", sagt Pichler.

Kein eigener Tempel für die kleine Community

Als junge Frau zog Pichler in die Heimat ihrer Mutter. Damals wegen einer unglücklichen Jugendliebe. Schnell vergaß sie den jungen Mann und konzentrierte sich auf ihr Wirtschaftsstudium. Auf dem Institut für "Welthandel" lernte sie dann ihren Ehemann kennen, mit dem sie nun seit 45 Jahren verheiratet ist.

Leute aus der jüdisch-türkischen Community kennt sie hier keine, ist diese doch mit 20 Männern und Frauen sehr klein. Die Wurzeln der Community reichen weit in die österreichische Geschichte zurück. 1735 wurde in Wien die türkisch-sephardische Gemeinde gegründet. Als Sepharden werden jene Juden aus Spanien und Portugal bezeichnet, die sich im 15. Jahrhundert im Osmanischen Reich niedergelassen hatten. Ein Friedensvertrag zwischen den Habsburgern und den osmanischen Herrschern ermöglichte einen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch ihrer Staatsbürger.

Damals kamen auch jüdische Türken nach Wien, wo sie vor allem das Recht auf freie Religionsausübung genossen. Die türkischen Juden bekamen im Gegensatz zu den Juden in der Habsburger Monarchie Sonderrechte. So entstand in Wien im 19. Jahrhundert eine weitgehende autonome Gemeinde der türkischen Juden. Diese wurde 1890 als "Verband der türkischen Israeliten" in die Israelitische Kultusgemeinde in Österreich aufgenommen, wodurch sie ihre Sonderrechte verlor. Als Gebetsort der türkischen Juden wurde im Jahr 1887 der Tempel mit maurischen und türkischen Bauelementen in der Zirkusgasse im 2. Bezirk eröffnet. Wie viele andere Synagogen und jüdische Einrichtungen wurde auch dieser Tempel 1938 während der Novemberpogrome zerstört.

Heute gibt es keinen Tempel für die jüdischen Türken. Das spielt für Pichler ohnehin keine Rolle. Wo sie betet, ist der betagten Dame egal. Es kann eine Moschee sein, eine Kirche oder eben ein jüdischer Tempel.