Zunächst schien es so, als wolle die SPÖ den Kanzler nicht aufgeben. Nun ist sie in einer schwächeren Position als 2000.
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Wien. Eigentlich war doch alles von Anfang an ausgesprochen. Die Wahl hat Christian Kern klar verloren, die SPÖ gewann verschwindend geringe 0,04 Prozentpunkte dazu, und hat die FPÖ arg im Rücken. Wer Kern beim Wort nahm, durfte ahnen: es geht in die Opposition. So hat es der Chef der Sozialdemokraten im ORF-"Sommergespräch" angekündigt. Das sei ein Missverständnis gewesen, sagen die Roten heute. So aber wurde es bei der Feier am Wahlabend angenommen. Rehabilitation in der Opposition lautet seither das Mantra. Mit Kern - denn ohne ihn hätte die SPÖ wohl noch schlechter abgeschnitten.
Doch wieder einmal ist die SPÖ einig darin, uneinig zu sein. Wie in der Frage einer Koalition mit der FPÖ oder in der Migrationsfrage zwischen Bundespartei und Wien (auch wenn die Wiener SPÖ selbst gespalten ist). Was nun den Chefsessel der Republik angeht, wollten einige nach der Wahl doch wieder mitreden. Auch wenn sie stets betonten, das Schwarz-Blau praktisch fix sei.
Eine Woche nach der Wahl und dem offiziellen Sondierungsgespräch mit Kurz zeigt sich Kern wieder geläutert. Im Vorfeld der Parteigremien sagte er, die SPÖ bereite sich auf die Oppositionsrolle vor. Er tat die Gerüchte um eine Zusammenarbeit mit der FPÖ als abstruse Gerüchte ab, die vor Schwarz-Blau ablenken sollen. Es war die klarste Oppositionsansage der SPÖ bisher.
SPÖ ohne Sperrminorität
Das lange Herumlavieren dürfte vielleicht auch darin begründet sein, dass die Oppositionsrolle für die SPÖ in einem wesentlichen Punkt unattraktiver als im Jahr 2000 ist. Sie verfügt mittlerweile über weniger als ein Drittel der Abgeordneten und hat keine Sperrminorität bei Verfassungsgesetzen mehr. Dieses faktische Vetorecht für so manch große Reform ging zwar bereits 2008 verloren (die ÖVP verlor sie bereits in den 90er Jahren zweimal), doch bisher kam dann immer eine rot-schwarze Regierung heraus. Sollte es nun zu einer Koalition aus ÖVP und FPÖ kommen, würde die Zweite Republik ein Novum erleben. Erstmals könnte eine der beiden Großparteien, wenn sie in der Opposition sitzt, Verfassungsänderungen nicht mehr verhindern.
Das ist deshalb so bedeutsam, da zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen über die Jahre auch aus der Überlegung heraus in den Verfassungsrang gehoben wurden, im Oppositionsfall immer zumindest eine Sperrminorität für diese Gesetze zu haben.
Dass das dafür nötige Drittel an Mandaten auch verloren gehen könnte, hatten die Großparteien freilich lange nicht auf der Rechnung. Schwarz-Blau ab 2000 brauchte jedenfalls noch die SPÖ für Zwei-Drittel-Materien, diesmal reichen die Neos. Vielleicht holte sich Kern auch deshalb zuerst die Zustimmung des Parteivorstandes, Gespräche mit ÖVP und FPÖ führen zu dürfen. Durch das unterkühlte Verhältnis zwischen Kurz und Kern blieb für den roten Chef nur noch der Kulturbruch-Variante mit Blau.
Wiens Bürgermeister Michael Häupl warnte Kern vor einer "Parteispaltung" und verwies auf die Beschlusslage in der SPÖ, die eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene untersagt. Der Gewerkschaftschef Erich Foglar drängte hingegen darauf, die Chance auf eine Koalition zu wahren. Auch Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske richtete seinen Parteifreunden im "profil" aus: "Ich bin jemand, der sich gern alle Optionen offen hält." Mit Geleitschutz von so machen Genossen aus dem Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und auch Kärnten. Aus dem äußersten Westen kam Gegenwind.
Kalmierend auf eine mitunter durch einen verkorksten Wahlkampf geschundene Partei zu wirken, sieht anders aus. Und warum all das? In der SPÖ erzählt man sich, dass man die FPÖ durch die gemeinsamen Gespräche für ihre Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP stärken wollte. Um den Preis, den Kurz dafür zu zahlen hat, in die Höhe zu treiben. Womit sich aber auch die Frage stellt, was die SPÖ in der Opposition davon hat, wenn die Blauen einflussreichere Ministerien bekommen.
Es gibt aber auch die banaleren Erzählungen. Nämlich, dass es schlecht gewesen wäre, sofort in die Oppositionsrolle zu schlüpfen und Schwarz-Blau unausweichlich zu machen. Oder, dass Gewerkschaft und Arbeiterkammer, die vom Regieren der SPÖ profitieren, ein großes Interesse daran hätten, weiter einen Einfluss auf die Geschicke Österreichs zu haben.
Unüberwindbare Differenzen
Diese Gedankenspiele dürften sich aber erübrigen. Schwarz-Blau gilt als die wahrscheinlichste Koalitionsvariante. Und die SPÖ stellte sich nach dem Parteivorstand offensiv auf ihre Oppositionsrolle ein. Was die künftige Ausrichtung der SPÖ angeht, sagte Kern, eine klare Gegenansage zum Rechtspopulismus und der "Brot- und Spiele-Politik" von ÖVP und FPÖ sein zu wollen. Er habe Gespräche mit Schwarz und Blau geführt. Inhaltlich gebe es aber unüberwindbare Differenzen in der Steuer-, Wohn-, Sozial- und Umweltpolitik.
Doch nur gegen Rechtspopulismus zu sein, könnte zu wenig sein. Kommt es zum Bündnis zwischen FPÖ und ÖVP, ergibt sich mit den Neos eine Zweidrittelmehrheit mit wirtschaftliberaler Prägung. Damit ließe sich die Rolle der Sozialpartner beschneiden und eine "Schuldenbremse" in die Verfassung schreiben. Durch die fehlende Sperrminorität wären der SPÖ nicht nur hier die Hände gebunden.
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