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Malaria-Wirkstoff gegen Diabetes

Von Eva Stanzl

Wissen
Menschliche Langerhans Inseln, die Steuerzentralen für den Blutzuckerspiegel, hier mit Artemisinin behandelt und gefärbt.
© Cell Press

Eine Pille könnte künftig die Erzeugung von Insulin-produzierenden Betazellen im Körper anregen.


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Wien. 15 Prozent der Zuckerkranken leiden an Diabetes Typ1. Bei der Autoimmunerkrankung zerstört das körpereigene System die Insulin-produzierenden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Das Hormon Insulin hat die Aufgabe, mit der Nahrung aufgenommenen Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen, die die Energie benötigen. Bei Insulinmangel sammelt sich der Zucker allerdings im Blut und der Blutzuckerspiegel steigt. Patienten mit Typ-1-Diabetes müssen ihr Leben lang Insulin spritzen, um akute Stoffwechselentgleisungen und die Schädigung von Blutgefäßen, Nerven oder Organen zu verhindern.

An sich könnten Stammzellen in Beta-Zellen verwandelt werden. Jedoch haben diesbezügliche Versuche bisher zu keiner Behandlungsform geführt. Wiener Forscher verfolgen nun einen anderen Ansatz: Sie wollen die Bildung von Beta-Zellen im Körper anregen und die neuen Insulin-bildenden Zellen vor dem Immunsystem schützen. Dadurch könnte Diabetes Typ1 eines Tages geheilt werden, stellt das Team um Stefan Kubicek vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Aussicht. Der Schlüssel ist ein Medikament gegen Malaria namens Artemisinin.

Der Pflanzenstoff aus den Blättern und Blüten des Einjährigen Beifußes (Artemisia annua) wird zur Behandlung gegen Malaria eingesetzt. Die chinesische Wissenschafterin Tu Youyou isolierte Artemisinin in den 1970er Jahren und wurde dafür 2015 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Das Team vom CeMM berichtet nun mit internationalen Kollegen im Fachblatt "Cell", dass die Wirkstoffgruppe das genetische Programm der Glukagon-erzeugenden Zellen der Bauchspeicheldrüse verändert und sie in insulinproduzierende Beta-Zellen verwandelt. Das erfolgt über einen "Schalter" der Alpha-Zellen, das Arx-Gen. Wird es blockiert, verwandeln sich Alpha-Zellen in Beta-Zellen. Die Ergebnisse liefern laut den Forschern "eine vielversprechende Grundlage für neue Therapien".

Alpha- und Beta-Zellen bilden, zusammen mit drei weiteren spezialisierten Zelltypen, die Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse. Sie sind die Steuerzentralen für den Blutzuckerspiegel: Insulin aus Beta-Zellen senkt ihn, Glukagon aus Alpha-Zellen lässt ihn ansteigen. Doch die Zellen sind flexibel, wie zuvor französische Forscher an Modellorganismen zeigen konnten. Bei einem extremen Verlust von Beta-Zellen konnten sie den Schaden ausgleichen, indem sie Arx abschalteten und die Alpha- zu Betazellen wurden.

Um die Umwandlungsmechanismen im Detail zu beobachten, nutzen Kubicek und sein Team isolierte Zelllinien. Darin zeigte sich, dass die Zellen ihre "Identität" auch ohne körperliche Einflüsse wechselten. Nun konnte die Gruppe ihre Wirkstoffsammlung, ein repräsentatives Set zugelassener Medikamente, testen. Artemisinin erwies sich als Treffer.

Die Forscher des CeMM und der Medizinuniversität Wien konnten den exakten molekularen Mechanismus aufklären, mit dem der Malaria-Wirkstoff die Alpha-Zellen umgestaltet: Er bindet an ein Protein namens Gephyrin, das zentrale Schaltstellen der zellulären Signalwege (Gaba-Rezeptoren) aktiviert. Unzählige biochemische Prozesse in der Zelle verändern sich und führen zur Insulinproduktion.

Nebenwirkungen

Reicht all das, um Diabetes Typ1 zu heilen? "Wir haben ein Zellkulturmodell, in dem wir zeigen konnten, dass Artemisinine die Alpha-Zellen-Eigenschaften beeinflussen, sodass sie Insulin erzeugen. Und wir konnten in Zebrafischen, Ratten und Mäusen nachweisen, dass das positive Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel hat", sagt Kubicek. Genau das hätte man gerne von einem Diabetes-Medikament. Vor einer klinischen Anwendung sind allerdings noch Fragen zu klären. Artemisinine werden kurzfristig für vier Tage verabreicht, Beta-Zellen in Massen zu regenerieren dauert aber einige Monate. Welche Nebenwirkungen eine längerfristige Einnahme haben könnte, ist offen. "Weiters waren zwar im Tiermodell immer genug Alpha-Zellen vorhanden, weil sie sich laufend bilden und regenerieren, aber wir wissen nicht, ob es auch beim Menschen so ist", sagt Kubicek. Zudem müsse ein Weg gefunden werden, die neuen Beta-Zellen vor den Angriffen des Immunsystems zu schützen.

Dennoch: "Die Entdeckung, dass die Umwandlung nicht nur genetisch, sondern auch mit kleinen Wirkstoff-Molekülen ausgelöst werden kann, die man nicht injizieren muss, sondern einfach einnehmen kann, ist ein Fortschritt und ein völlig neuer Ansatz", erklärt der Chemiker.