In der Sprache der Penan gibt es kein eigenes Wort für Wald. Denn der Wald ist ihr Universum, im Regenwald auf der Insel Borneo jagen und sammeln die Nomaden ihre Nahrung - ohne Wald gibt es für sie kein Leben. Doch diese Lebensgrundlage ist in Gefahr, seit Holz- und Palmölfirmen den Urwald immer weiter abholzen. "Es gibt einfach nicht mehr genug zu essen für uns", sagt Sagong, der Stammesführer einer kleinen Nomadengruppe. "Wir finden keine Wildschweine mehr, die wir jagen könnten."
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Sagong, ein durchtrainierter Mann Mitte 30, ist mit seinen Leuten, die Lendenschurz und Speere tragen, deshalb zu einer der Überlandstraßen gekommen, die im malaysischen Bundesstaat Sarawak in den Urwald führen. Aus Holzklötzen und Bambusrohren haben die Penan hier eine Straßenblockade errichtet. Insgesamt sieben Barrieren in der Region sollen verhindern, dass die Laster der Holzindustrie noch tiefer in ihren seit Jahrzehnten bedrohten Lebensraum eindringen.
"Das ganze Teakholz ist bereits weg", sagt Sagong. "Jetzt wollen sie das Land für Palmölplantagen roden. Wenn das passiert, werden wir nicht überleben." Rund 10.000 Penan soll es im malaysischen Teil der Insel Borneo noch geben, von denen die meisten unter dem Einfluss christlicher Missionare und der westlichen Zivilisation allerdings bereits sesshaft geworden sind und in Dörfern leben. Doch auch sie haben eine intensive Beziehung zum Urwald bewahrt, sammeln Rattan, medizinische Pflanzen und Früchte und jagen Wild mit präzisen Blasrohren, aus denen sie Pfeile mit natürlich gewonnenem Gift abschießen.
Weiter im Regenwald umherziehen wollen Sagong und seine Leute nicht. "Wir wollen unser eigenes Dorf gründen, als Farmer leben." Wichtig seien eine Schule und medizinische Versorgung, aber auch die Möglichkeit zum Jagen und Sammeln. "Natürlich ist es schade, das Nomadenleben aufzugeben", sagt Sagong, dessen nackte Brust mit Schlangen, einem Totenkopf und christlichen Symbolen tätowiert ist. "Aber welche Alternative haben wir? Vielleicht ist das unser Schicksal." Zu seinem violetten Lendenschurz trägt der junge Mann eine Baseballkappe. Traditionell wären ein Bambushut und eine Kette aus Affenzähnen um den Hals. "Das passt nicht zu mir", lacht Sagong. "Ich gehöre zu einer neuen Generation."
Der Kontakt mit Vertretern der Holzindustrie, Satellitenfernsehen und Internate, in die manche ihre Kinder bereits schicken, sei für viele Nomaden ein Kulturschock gewesen, sagt der Anthropologe Jayl Langub von der Universität in Sarawak. "Es wäre besser, wenn sie wirklich frei entscheiden und ihr eigenes Tempo wählen könnten."
Nur noch 300 bis 400 Penan lebten tatsächlich als umherziehende Nomaden, schätzt der Linguist Ian Mackenzie, der die Volksgruppe seit 1991 beobachtet. "Es lohnt sich nicht mehr, zu jagen und zu sammeln, wenn der Wald bereits dreimal gerodet worden ist", sagt er. "Das Ende dieser alten Lebensweise ist ein großer kultureller Verlust." Es sei äußerst brutal, die einstigen Nomaden binnen weniger Jahre zu sesshaften Bauern machen zu wollen, warnt Mackenzie. "Das ist, als würde man sie oder mich einfach im Dschungel aussetzen und alleinlassen."
Auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe der Straßenblockade haben Sagongs Stammesangehörige drei robuste Bambushütten errichtet. Dort harren sie aus, wenn wieder ein tropischer Regen über die Provinz hereinbricht - auch ein fünf Monate alter Säugling, der trotz der einfachen Behausung einen sehr gesunden und sauberen Eindruck macht. "Der Regenwald war unsere Bank, wir brauchten kein Geld", sagt ein alter Mann, Sagongs Schwiegervater. "Alles was wir brauchten, waren Palmen und wilde Tiere, so haben wir Generationen lang überlebt." Sagongs Tochter Nili spielt mit einem Babyaffen, den die Familie als Haustier hält. Ob ihr das Leben im Regenwald gefällt? Sie schüttelt den Kopf. "Ich würde lieber zur Schule gehen", sagt sie schüchtern. (Sarah Stewart/AFP)