Knalligbunte Prospekte locken alljährlich rund 400.000 Touristen aus aller Welt auf die Malediven, die oft als "paradiesische Trauminseln" offeriert werden. Dabei liegen düstere Schatten über der | vom Massentourismus und Naturgewalten bedrohten "Inselwelt der Glückseligkeit".
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Daß der Islam auf den Malediven Staatsreligion ist, merkt man gleich bei der Ankunft auf dem Internationalen Airport Hulule, der 1982 mit Hilfe Saudi-Arabiens errichtet wurde: Die nicht immer
freundlichen Zollbeamten fragen nämlich nicht nur nach eventuell mitgebrachten Waffen und Drogen, sondern vor allem nach Alkohol, Sexmagazinen und Götterfiguren; die Verehrung christlicher Heiliger
ist nämlich genauso verboten, wie von Hindugöttern oder Buddha. Solche Figuren werden vor allem von den rund 20.000 Gastarbeitern aus Sri Lanka und Indien, ohne die der Tourismus über Nacht
zusammenbrechen würde, mitgebracht. Alkoholische Getränke werden abgenommen.
Wer auf eine Quittung besteht, hat die Chance, die Flasche Wein oder Whisky beim Abflug wiederzuerhalten, sofern man nicht in Eile ist. In den Touristenzentren muß man allerdings weder auf Alkohol
noch auf Schweinsbraten verzichten.
Separate Inseln für Touristen
Auch Prostitution soll es dort, allerdings sehr versteckt, geben. Man drückt oft beide Augen zu, um die 400.000 Touristen, die alljährlich die 73 Ferien-Ressorts besuchen, nicht zu vergrämen.
Immerhin bringen sie 70 Prozent der Deviseneinnahmen und finanzieren 40 Prozent des Staatsbudgets.
Um die "Wahrung der islamischen Kultur" nicht zu gefährden, dürfen Touristenzentren nur auf Inseln, die nicht von Einheimischen bewohnt sind, errichtet werden. Das islamische Recht, die Scharia, wird
nicht so strikt ausgelegt, wie in Saudi-Arabien; es gibt beispielsweise keine Todesstrafe. Für Frauen besteht kein Schleierzwang. Trotzdem religiöse Diskriminierung von der Regierung abgestritten
wird, wurden 1998 einige evangelische Christen nach Missionierungsversuchen ausgewiesen.
Wettlauf um Stützpunkte
Persische und arabische Händler brachten den Islam schon im 12. Jahrhundert auf die Inseln. Die Sprache der Malediver, "Dhivehi" genannt, wird mit arabischen Schriftzeichen geschrieben. Im 16. und
17. Jahrhundert wurden die Inseln vorwiegend von portugiesischen und holländischen Entdeckern und Piraten angelaufen, in den vergangenen zwei Jahrhunderten von den Briten. Obwohl die Malediven ab
1887 britisches Protektorat wurden, ließen sie die einheimischen Sultane bis 1932 autokratisch schalten und walten. Doch 1941 begann die Royal Airforce auf dem Addu Atoll im äußersten Süden, genau
gesagt auf der Insel Gan, mit dem Bau eines Luftstützpunktes.
Kalter Krieg an der "Tanker-Straße"
Während des kalten Krieges kreuzten fast ständig je 30 Kriegsschiffe der Amerikaner und der Sowjets im Indischen Ozean. Da 80 Prozent der strategischen Rohstoffe, inklusive Erdöl, ihren Weg durch
dieses Weltmeer nehmen, begann ein Wettlauf um Stützpunkte. Die Inselwelt der Malediven schien den Westmächten besonders geeignet, denn dort liegt das günstigste Abschußgebiet für interkontinentale
Raketen, die ihre Ziele in der Sowjetunion und China finden sollten. Unweit Sri Lankas gibt es außerdem im Meeresboden tiefe Kavernen, in denen sich raketentragende Unterseeboote verbergen können.
Schah und Gadaffi als Rivalen
Weil die Regierung der Malediven (bis 1957 dem Namen nach Sultanat, dann Republik) den USA die kalte Schulter zeigte, bewarb sich der damalige Schah von Persien um die Luftwaffenbasis auf der
Insel Gan. Die Sowjetunion bot einen jährlichen Pachtzins von 1 Mill. Dollar. Schließlich bewarb sich sogar Libyens Staatschef Muammar al Gadaffi (als Strohmann der Russen) um die Insel. Obwohl die
Inselrepublik die Dollarinjektionen dringend gebraucht hätte, hielt sie sich an die Prinzipien der "Bündnisfreien", die den Indischen Ozean als "Zone der Sicherheit und des Friedens" ohne Supermächte
und Atomwaffen sehen möchten. 1976 gaben die Briten die Insel vorzeitig auf. In den Gebäuden der RAF sind heute u. a. Textilfabriken untergebracht.
Bizarre Einmanndemokratie
Recht bizarr verlief seit der Ausschaltung des Sultans die politische Entwicklung auf den Inseln. Präsident und "Architekt der modernen Malediven" wurde Ibrahim Nasir. Nach 21jähriger Herrschaft
mußte er 1978 seinem Rivalen Maumoon Abdul Gayoom (geb. 1938) weichen und ins Exil gehen. Er begann im November 1998 seine fünfte Amtszeit und ist daher einer der am längsten regierenden Politiker
der Welt. Durch eine maßgeschneiderte Verfassung ist er gleichzeitig Ministerpräsident und Präsident der Inselrepublik. Bei den letzten Wahlen wählte ihn das Parlament als einzigen Kandidaten aus.
Die anderen vier Kandidaten waren ein Schneider, ein Discjockey, ein Baupolier und ein Taucher. Sein schärfster Rivale war sein Schwager Ilyas Ibrahim; er wurde angeklagt, die Abgeordneten durch
"schwarze Magie" zu beeinflussen und des Landes verwiesen. Zurückgekehrt, wurde er Minister für Transport und Zivilluftfahrt.
Putsch im "Paradies"
Langzeit-Präsident Gayoom überlebte nicht weniger als drei Putschversuche. Am 3. November 1988 landeten 62 tamilische Söldner aus Sri Lanka in der Hauptstadt Male. Dem Vernehmen nach waren ihre
Hintermänner Geschäftsleute, die mit der Regierung unzufrieden waren. Indiens Rajiv Gandhi entsandte Fallschirmjäger und Kriegsschiffe, die den Putschversuch binnen 24 Stunden niederschlugen. Denn
Indien fühlt sich heute als "Schutzmacht" der Malediven, auch wenn die Anwesenheit indischen Militärs auf den Inseln kaum spürbar ist.
Platznot in der Hauptstadt
In der Hauptstadt Male lebten 1985 zirka 46.000 Menschen, heute drängen sich fast 75.000, davon viele Ausländer, auf einer Fläche von nur 2 km²! Dazu kommen 1.000 Autos und 1.500 Motor-Rikschas.
Die künstliche Landgewinnung hat bereits die Riffe erreicht und stößt auf große Schwierigkeiten. Weil das Grundwasser verschmutzt ist, muß man sich mit teurem entsalztem Meereswasser und
gespeichertem Regenwasser begnügen.
Der rastlose Gigant
Nach jüngsten Statistiken leben auf den Malediven, deren Landfläche knappe 300 km² beträgt, rund 300.000 Menschen, wegen des rapiden Bevölkerungszuwachses und der erhöhten Lebenserwartung (zirka
70 Jahre) Tendenz steigend. Nur 200 der 2.000 Inseln · die über eine Fläche größer als Österreich · verstreut im Indischen Ozean liegen, sind bewohnt. Die Verbindung zwischen den Inseln wird
hauptsächlich durch Boote verschiedener Größe und Bauart, aber auch durch Wasserflugzeuge bewältigt. Zwar sind die Malediver erfahrene Seefahrer, doch bekommt man auf den oft drei und vier Stunden
dauernden Fahrten bei rauher See manchesmal ein mulmiges Gefühl. Der Indische Ozean gilt nämlich, besonders zur Monsunzeit, als "rastloser Gigant" mit bis zu 30 m hohen Wellen.
Sterbende Inselwelt
Frägt man die Malediver, ob sie auf "Inseln der Glückseligkeit" leben, so lautet die Antwort sicher "Nein". Sie denken dabei vor allem an die Gefahr von Naturkatastrophen. Die meisten Inseln ragen
höchstens 2 m aus dem Wasser, viele auch weniger. Bei Sturmfluten werden manche schon heute überschwemmt. Sollten die unheilvollen Voraussagen von Experten eintreffen, daß der Meeresspiegel in den
nächsten Jahren rapid ansteigt, so würde dies den Untergang zahlreicher Malediven-Inseln bedeuten. "El Nino" hat bereits die Meerestemperatur um für Korallen tödliche 2 bis 3 Grad erhöht und nicht
auf den Malediven, sondern auch in anderen Ozeanen abgestorbene, farblose Korallenriffe zurückgelassen. Die pompös abgehaltenen internationalen Umweltkonferenzen aber reagieren auf diese brennenden
Probleme nur mit hilflosen Resolutionen.