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Tirana - Hoffnung auf einen neuen Anfang trotz Korruption, Müll und Armut will ein junger, bärtiger Künstler in der albanischen Hauptstadt Tirana verbreiten. Der 36-jährige Maler Edi Rama wurde im Oktober als Kandidat der regierenden Sozialisten zum Bürgermeister gewählt.
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Tiranas 600.000 Bewohner leben in einem Chaos aus verwahrlosten Häusern und unkontrollierter neuer Bautätigkeit. Die Infrastruktur erinnert an ein Entwicklungsland. Die ersten Zeichen von Veränderung setzte Rama schon in seinem früheren Job als Kulturminister. Er sammelte bei privaten Investoren Geld für ein Kino. Rama ließ auch die Bauwerke italienischen Stils im Zentrum renovieren. "Das ist psychologisch sehr wichtig", sagt er. "Es geht nicht darum, dass die Häuser schön sind - sie geben den Leuten Hoffnung. Wenn sie sie sehen, wissen sie, dass es vorangeht." Den Balkanstaat, der erst vor kurzem die zweifelhafte Ehre, der ärmste Staat Europas zu sein, an Moldawien abgetreten hat, halten viele für einen aussichtslosen Fall. Albaner wie Rama denken jedoch nicht daran, aufzugeben.
Kafkaesker Albtraum
Als Rama vor zwei Jahren das Amt des Kulturministers antrat, begann er in einem heruntergekommenen Gebäude, in dem alternde, demotivierte Bürokraten saßen. Es gab keinen einzigen Computer. Die Angestellten kochten ihre Mahlzeiten in den Büroräumen. "Als ich reinkam, fühlte ich mich wie in einem kafkaesken Albtraum", sagt Rama. Der Minister machte sich mit Hilfe junger Künstler ans Streichen und Neudekorieren.
Rama schrieb auf einer alten mechanischen Schreibmaschine an die Dresdner Bank und bat sie um die Ausstattung des Ministeriums mit Computern. "Zuerst dachten sie, ich bin ein albanischer Mafioso", erzählt er, doch dann hatte er Erfolg. Sein Ministerium stellte junge Leute ein und gab ihnen leitende Stellen. Anstatt nur Einrichtungen wie das Nationaltheater und die Nationalbibliothek zu verwalten, wurde das Ministerium zum Förderer unabhängiger Künstler, das Geldgeber aus dem Ausland vermittelt.
Nicht alle waren mit Ramas Modernisierungskurs zufrieden. Musiker des staatlichen Opernhauses gingen in den Hungerstreik, um gegen die Kürzung von Zuschüssen zu protestieren. Die Demokratische Partei, die nach zehn Jahren in der Stadtregierung jetzt auf der Oppositionsbank sitzt, kritisierte Rama als autoritär und unecht.
Politik als Konzeptkunst
Die Albaner hätten verstanden, "dass der Kapitalismus nicht das Paradies ist", sagt Rama. "Sie erwarten nicht mehr, dass die Regierung sie morgen reich macht". Als Bürgermeister habe er sich Ziele gesetzt, wie der Bevölkerung klar zu machen, dass jeder Geschäftsinhaber dafür sorgen solle, dass vor seinem Laden kein Müll rumliege. Wenn sich jeder daran halte, dann sei das Problem mit dem Müll gelöst, sagt Rama. Auch die Straßenbeleuchtung will er verbessern, damit Tirana nicht mehr so oft im Dunkeln liegt. Dass er nun nicht mehr zum Malen komme, mache ihm nichts aus. "Ich denke, Politik in Albanien ist die höchste Form von Konzeptkunst", sagt er.