Vor 100 Jahren wurde der Maler Rudolf Hausner geboren. Seine introvertierten, technisch meisterhaften Bilder untersuchen die Stellung des Individuums in der modernen Welt.
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Als Mitbegründer der "Wiener Schule des Phantastischen Realismus" gehört der Maler Rudolf Hausner zu den herausragenden österreichischen Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Vor 100 Jahren, am 4. Dezember 1914, wurde der Künstler in Wien geboren, dessen Figur des "Adam", die er über Jahrzehnte immer wieder verbildlichte, vielen Kunstinteressierten ein Begriff ist.
Maler und Musiker
Schon als Kind kam der Sohn eines kaufmännischen Angestellten mit der Kunst in Berührung, denn sein Vater verstand es in seiner Freizeit als "Sonntagsmaler" verblüffend gut, die Alten Meister zu kopieren und zu imitieren.
Nach der Matura 1931 begann Rudolf Hausner mit dem Kunst-studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Carl Fahringer und Karl Sterrer, das er 1936 abschloss. In jenem Jahr reiste der studierte akademische Maler, der auch ein begabter Musiker war, als Klavierspieler des "Pinguin"-Jazzquartetts durch halb Europa und Nordafrika.
Die Malerei Hausners in der Zeit nach der Akademie, die in seinem ersten Atelier in Wien-Erdberg entstand, war noch stark von den französischen Impressionisten und vom Expressionismus beeinflusst. Besonders Paul Cézanne und Vincent van Gogh standen bei seinen ersten Stillleben, Landschaften und Portraits Pate. Aber schon in diesen frühen Gemälden tauchen die Prototypen jener Motive auf, die Hausner ab den 1950er Jahren lebenslang beschäftigen sollten: Der "Adam" im "Selbstportrait mit blauem Hut" (1936) und der "Narrenhut" in "Zwei Gassenbuben" (1937).
Die Reichskulturkammer stufte Hausner 1938 als "entarteten Künstler" ein und verhängte ein Ausstellungsverbot gegen ihn. 1941 wurde er zum Kriegsdienst in der Wehrmacht eingezogen. In einem engen Blockhaus in der slowakischen Tatra mit drei anderen Soldaten im Schneesturm eingeschlossen, machte Hausner 1942 erste Erfahrungen mit der "Projektion" des Unbewussten, die für ihn und sein späteres Werk entscheidend werden sollten.
Phantasiegebilde
In diesem Blockhaus, so schilderte er es später selbst, beobachtete er über vier Tage immer wieder eine Bretterwand, aus deren Holzmaserung sich für ihn wie in einem Kinofilm merkwürdige Landschaften mit Höhlen und Durchblicken auf hügelige Landschaften auftaten. Jedes Mal, wenn er diese Wand wieder anschaute, stellten sich diese Landschaften verändert für ihn dar.
Zurück in der Kaserne, malte er die erinnerten Landschaften im Kopf und projizierte dann bis zum Ende des Krieges seine Phantasiegebilde in alle Strukturen seiner Umgebung.
Nach Kriegsende und dem folgenden Wiederaufbau seines beschädigten Ateliers nahm Hausner seine noch vorhandenen Bilder und arbeitete sie in Anwendung dieser psychologischen Erfahrungen um, indem er nach seiner erprobten "Tatra-Methode" den Fluss der Assoziationen und Einfälle in Gang und dann malerisch auf die Leinwand brachte.
1946 war Rudolf Hausner gemeinsam mit Edgar Jené, Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter und Fritz Janschka Begründer einer surrealistischen Gruppe im Wiener "Art-Club". Aus der ersten Ausstellung dieser Gruppe im Foyer des Wiener Konzerthauses musste auf Grund von Besucherprotesten Hausners Bild "Aporisches Ballett" dreimal vorübergehend entfernt werden. Der "Art-Club"-Gruppe schlossen sich später die Maler Anton Lehmden und Arik Brauer an. Im Jahr 1959 ging aus ihr mit der ersten Gruppenausstellung im Schloss Belvedere die vom Kulturpublizisten Johann Muschik so betitelte "Wiener Schule des Phantastischen Realismus" hervor, eine Stilrichtung, die als spezifische Ausdrucksweise der österreichischen Nachkriegskunst bis in die 1970er Jahre weltweit Beachtung fand.
Die "Wiener Phantasten" strebten keine gemeinsame Programmatik an. Aber trotz der indivi- duell ausgeprägten Charaktere, Arbeitsweisen und Themen der Akteure waren stilbildende Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe vorhanden. So zeichneten sich die meisten ihrer Werke durch eine bis zum Äußersten getriebene technische Perfektion aus.
Altmeisterliche Technik
Durch eine altmeisterliche Lasurtechnik erzielte etwa Rudolf Hausner eine besondere Leuchtkraft und "Tiefe" in seinen Bildern. Der endgültige Farbeindruck seiner Gemälde ergab sich erst durch das Zusammenwirken mehrerer sorgsam übereinandergelegter, transparenter Farbschichten; daraus entstand eine absolut glatte Bildoberfläche mit einer illusionierenden Tiefenwirkung und einer großen Sinnlichkeit, die, so Alfred Schmeller, "in der Spektralglut der Farben zum Vorschein kommt, der Farbauftrag fesselt das Auge, das in lasierend aufgetragene Farbschichten dringt, es sind Farbenklänge, die der Schärfe makelloser Sonnenuntergänge über den Dächern von Wien in nichts nachstehen".
Thematisch sind die Werke Rudolf Hausners ganz aus der Introspektion, der Beobachtung der eigenen seelischen Vorgänge entwickelt, wobei, so interpretiert es der Künstler, "Inneres" und "Äußeres" nicht isoliert voneinander existieren und auch nicht getrennt gesehen werden können. Aus dem Krieg zurück, fand Hausner bald seine individuelle Ikonografie und die dazugehörige Methode der Entwicklung. Der wichtigste Bestandteil im Bildkosmos Hausners wurde dabei neben den Motiven der "Anima", des "Kindes im Matrosenanzug" und des "Narrenhutes" die Figur des "Adam". Hausner benutzte diese mythische Gestalt als Doppelgänger, um in ihr sein Selbst- und Weltverständnis, sein - wie er es nannte - "Adam-Bewusstsein" zu manifestieren.
Alter Ego des Malers
"Adam" ist sowohl der jedermann geläufige Name des biblischen ersten Menschen als auch das hebräische Wort für den Menschen schlechthin, mit dem sich Hausner identifizierte. "Adam" - das sind bei ihm alle. "Was immer im Bild geschieht", so der Künstler, "es muss jemand gegenwärtig sein, dem es widerfährt, kein bloßes Zentrum, sondern eine Gestalt, eine Physiognomie, ein Alter Ego des Malers, ein Versuchsobjekt als Subjekt des Bildes".
Nach Hausner sind deshalb alle Adam-Bilder auch Spiegelbilder - "und wollen wie ein Spiegel benützt werden". Der Blick auf die Bilder soll dem Betrachter erscheinen wie ein Blick in einen Spiegel, in dem er sich selber wiedererkennt; "die physiognomische Eigenart des beobachteten Individuums", also Rudolf "Adam" Hausner, bleibt stets präsent. Aber die Situation des Betrachters ist identisch mit der des Adam im Bild. Über die Selbsterfahrung des Künstlers hinaus sind, so Hausner, "alle dargestellten Adam-Situationen durchaus allgemeiner Natur".
Seine ab Mitte der 1950er Jahre über Jahrzehnte in verschiedensten Metamorphosen entstandene Serie der "Adam"-Bilder charakterisierte Hausner als "Entwicklungsroman in Fortsetzungen", der ihn "wie ein innerer Monolog" begleitete. So entstand mit diesen Gemälden, Grafiken und Plastiken ein faszinierendes System von Verweisen, in denen das "Selbst" in wechselnden Erscheinungsformen als Zentrum des Blickes auf eine rätselhafte, bedrohliche oder absurde äußere Welt und auf das eigene Innenleben eine besondere Bedeutung gewinnt.
Gemalte Psychoanalyse
"Ich kann die Welt nur durch mich selbst sehen!", beschrieb dieser Maler der Seelenlandschaften seine Arbeitsweise. Der Kunsthistoriker Wieland Schmied bezeichnete Hausner deshalb als "den einzigen psychoanalytischen Maler, weil in sein Werk Bewusstsein und Unterbewusstsein gleichwertig eingehen". Und sein Kollege Günter Engelhard sieht im Werk Rudolf Hausners eine durch "Malerei kontrollierte Lebensgeschichte".
Als "die andere Seite" Adams sah Rudolf Hausner seine Figur des "Narrenhut"-Trägers. Während Adam, stets die Gesichtszüge seines Schöpfers tragend, meist hartkantig, ungerührt, wenig teilnehmend als distanzierter Beobachter aus dem Bild blickt, kommt der "Narrenhut"-Träger eher melancholisch, in sich gekehrt, versunken und weltabgewandt daher. "Das Prinzip der Gleichzeitigkeit von Adam und Narrenhut (. . .) bezeichnet meine beiden äußersten, divergentesten Positionen. Wobei Adam die Aktivität, die rohe Kraft, die Ursprünglichkeit, den fortgesetzten Primatentyp, kurz: den Kämpfer verkörpert, während der Narrenhut die kontemplative, depressive, melancholische, feinfühlig-sensible, einfühlsame andere Seite darstellt", beschrieb Hausner diese beiden Pole seines Schaffens.
1966 folgte Hausner, der im Jahr 1959 auch an der Documenta II in Kassel teilgenommen hatte, der Berufung als Hochschulprofessor nach Hamburg, ab 1968 lehrte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo aus seiner Klasse zahlreiche Schüler hervorgingen, die heute selbst zu den renommiertesten Malern der internationalen Kunstszene zählen. Freundschaften verbanden ihn mit den Künstlerkollegen René Magritte, Paul Delvaux und Viktor Brauner.
Der eigene Weg
Während andere Vertreter der "Wiener Schule des Phantastischen Realismus" die internationale Bekanntheit dieser "Kunstmarke" nutzten, um einen immer kommerzieller werdenden Kunstmarkt zu bedienen, ging Hausner, der erst 1960 sein erstes Bild verkaufte, wenig beeindruckt von äußeren Einflüssen seinen künstlerischen Weg ruhig und konsequent weiter und schuf sein ganzes Malerleben lang seine oft in jahrelanger stiller Arbeit entstandenen "Adam"- und "Narrenhut"-Gemälde. Am 25. Februar 1995 starb dieser nachdenkliche und selbstkritische Künstler, dessen höchst eigenwilliges, in sich geschlossenes Lebenswerk in der Kunstgeschichte seinesgleichen sucht, in Mödling.
Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Germanist und Kulturpublizist in Speyer.
Retrospektive
Rudolf Hausner – Ich bin Es": Unter diesem Titel findet im Museum Würth in Künzelsau (Deutschland) bis 7. Juni 2015 eine große Retrospek-tive zum 100. Geburtstag des Künstlers statt. Der sammlungseigene Bestand wird dabei durch zahlreiche Leihgaben aus Privat- und Museumsbesitz ergänzt.
Der Katalog zur Ausstellung mit Texten von Carl Aigner, Matthias Marks und Dieter Ronte, ergänzt durch Erinnerungen von Anne Hausner und Xenia Hausner, erschien im Swiridoff Verlag. Weitere Informationen zur Ausstellung im Internet: http://kunst.wuerth.com
Literaturhinweis:
Einen hervorragenden Einblick in den künstlerischen Kosmos Rudolf Hausners bieten die beiden opulenten Prachtbände "Rudolf Hausner" von Hans Holländer und "Hausner: Neue Bilder 1982–1994" von Walter Schurian, die 1985 bzw. 1994 in der Edition Volker Huber erscheinen sind.