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"Malerei ist ein Ort der Freiheit"

Von Hermann Schlösser

Reflexionen

Der Maler Hermann Kremsmayer geht seinen eigenen künstlerischen Weg und lässt sich dabei nicht von Moden oder Vorschriften einschüchtern. Ein Besuch bei dem Künstler, der heuer 60 Jahre alt geworden ist.


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Kremsmayer in blau vor blauem Himmel . . .
© Foto: Kremsmayer

Ein Buch ist erschienen. Genauer gesagt: ein Band. Noch genauer (denn man darf sich nuanciert ausdrücken, wenn es um Kunst geht): Ein vielfarbiger Bildband ist erschienen, der eine Reihe von Gemälden des österreichischen Malers Hermann Kremsmayer reproduziert. Außerdem werden die Qualitäten dieses Künstlers darin essayistisch kommentiert. Eine Frau und vier Männer, nämlich Iris B. Mochar, Christoph W. Aigner, Johann Berger, Karl-Markus Gauß und Stefan Slupetzky betrachten und erklären Kremsmayers Kunst. Sie tun dies so einleuchtend, dass sich ein Rezensent guten Gewissens damit begnügen könnte, auf die Publikation hinzuweisen und seiner Leserschaft zu empfehlen: Schaut Euch die schönen Bilder an und lest die klugen Texte!

Aber je länger sich der Betrachter mit Kremsmayers Bildern beschäftigt - nein, das ist schon wieder nicht gut gesagt, es muss heißen: Je länger diese rätselhaften Bilder den Betrachter beschäftigen, desto klarer wird, dass sie mit einer lobenden Kurzbewertung nicht zu erledigen sind. Es geht von diesen Gemälden eine sanfte Gewalt aus, die zu gründlicherer Auseinandersetzung nötigt bzw. einlädt.

Was heißt "Malerei"?

Der Titel des Bildbands ist vielleicht bescheiden, vielleicht auch gerade nicht; er besteht jedenfalls aus dem einzigen Wort "Malerei". Das klingt einerseits leicht dahingesagt, wie "Spielerei" oder gar "Blödelei", bezeichnet aber andererseits die Königsdisziplin der bildenden Kunst, die von der allwissenden Wikipedia mit den Worten beschrieben wird: "Malerei ist das Festhalten von Gedanken des Malers".

Mag sein, dass diese Definition im berühmt-berüchtigten "Großen Ganzen" zutrifft. Aber dem Einzelfall Kremsmayer wird sie nicht gerecht. Er "hält" nichts "fest" - und am allerwenigsten seine "Gedanken". Wie manche anderen Kunstwerke auch, speisen sich Kremsmayers Bilder aus Gefühlen, Affekten und vor allem: aus Sinneseindrücken. Was der Maler sieht, ist für seine Arbeit mindestens so wichtig wie das, was er denkt. Und wahrscheinlich bleibt auch das, was er beim Malen in seinen Händen und seinem Körper spürt, nicht ohne Folgen für die Bildgestaltung.

Es ist jetzt an der Zeit, mitzuteilen, dass Hermann Kremsmayer beim Malen manchmal menschliche Figuren hervorbringt. Sie stehen oder sitzen in einer zwar leeren, aber bunten Umgebung und sind mit sich selbst beschäftigt. Oft genug scheinen sie sich zu bewegen, und zwar nach ganz und gar eigenwilligen Regeln.

Der gemalte Maler

Man schaue sich den "Maler" an, der hier abgebildet ist. Es könnte den Anschein haben, er male sich selbst, doch das wäre wohl nicht richtig gesehen. Er malt sich nämlich nicht, er übermalt sich, und zwar mit einer Farbe, die rechts neben seiner malenden Hand auf dem Bild schon vorhanden ist.

Mithin könnte man vermuten, dieser gemalte Maler bedecke seinen unbekleideten Körper, sodass er schließlich im Bild verschwunden sein wird. Dieses Unsichtbarwerden dürfte ihm nicht allzu schwerfallen, denn er hebt sich schon jetzt nicht allzu markant von seiner Bildumgebung ab.

So wie er werden auch die anderen Figuren aus der Serie - also etwa der "Traumwandler", der "Kopfmensch" oder "die sich Entgrenzende" - vom Ambiente beeinflusst. Sie sind dünnhäutig, also durchlässig und die Farben und Formen ihrer Umgebung strömen in sie hinein. Aber vielleicht rinnen die Figuren auch aus, und das chaotische Gemisch um sie herum ist ein Ausfluss ihres Innenlebens? Wer kann das schon entscheiden? Sicher ist jedenfalls, dass sich hier keine selbstgewissen Subjekte mit festen Ich-Grenzen präsentieren, sondern fragile Wesen, auf deren Individualität man nicht recht bauen könnte - wenn es nicht einen Fixpunkt gäbe. Denn so luftig und transparent die Körper dieser Figuren sind, so unverwechselbar deutlich sind doch meistens ihre Gesichter, die sich unverwechselbar im Spiel der Farben und Linien behaupten.

Der wahre Maler

Hermann Kremsmayer, 1954 in Salzburg geboren, hat einige Jahre in Barcelona und in anderen europäischen Städten verbracht, lebt aber schon seit langer Zeit in Wien. 2012 richtete er sich ein geräumiges Atelier in der ehemaligen Ankerbrot-Fabrik in Favoriten ein, und dort - wo vor nicht allzu langer Zeit noch Gebäck ausgeliefert wurde - kann er auch besucht und über seine Arbeit befragt werden.

Während man mit ihm ins sehr freundliche Gespräch kommt, schaut man, vom Maler geführt, die großformatigen Bilder an, die an den Wänden des geräumigen Ateliers hängen. In einer Ecke ist das Handwerkszeug versammelt, die Farbtöpfe und die vielen Pinsel, und der Maler erzählt, dass die Farbe am Anfang einer jeden Arbeit stehe. Wenn er ein neues Werk beginne, tobe er sich regelrecht aus; da tunke er seine breiten Pinsel tief in die Töpfe und verteile die dickflüssigen Substanzen lustvoll auf seinen meist großformatigen Leinwänden.

Je länger er jedoch an einem Bild arbeite, desto genauer zeichne sich dessen Endgestalt ab, und dann müsse sorgfältiger weitergearbeitet werden. "Erst ganz am Schluss erscheint das Gesicht", meint er im Hinblick auf seine Figuren, "es zeigt sich mir irgendwann, und so wie es sich zeigt, will es gemalt werden." Manchmal, wenn auch selten, stelle sich nach dem Malen allerdings heraus, dass er einem bestimmten Körper ein falsches Gesicht gegeben habe. Dann müsse es mit einem anderen übermalt werden.

Der Maler, 140 x 110 cm, Leinwand.
© Abbildung: faksimile digital, Markus Gradwohl, © Kremsmayer

Und was geschähe, wenn er bemerken müsste, dass das erste Gesicht doch überzeugender gewesen wäre? Gäbe es dann eine Korrektur der Korrektur? Nein, meint Kremsmayer, das komme nicht vor. Das zweite Gesicht sei auf jeden Fall das bessere, sonst hätte es über das erste nicht den Sieg davontragen können.

Kremsmayer arbeitet nicht nur mit Farben, sondern auch mit Sand und anderen rauen Materialien, was die Oberflächen seiner Bilder uneben macht. All das ahnte man schon beim Anschauen des sehr hochwertig gedruckten Bildbandes, aber nun, wo man den Originalen gegenübersteht, sieht man es mit eigenen Augen und denkt dabei: Der kunsttheoretische Lehrsatz, dass das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit seine Aura einbüße und damit vom Serienprodukt tendenziell nicht mehr zu unterscheiden sei, stimmt ja auch nicht ganz.

Nun ist Kremsmayer kein wortloser Bildschöpfer, sondern einer, der gut und gern über seine Arbeit redet. Seine Sprache ist wie seine Bilder: eigensinnig unterwegs im weiten Feld zwischen Anschauung und Begriff. So erzählt er unter anderem, er gehe gern ins Kunsthistorische Mu-seum, sei dort aber manchmal erschlagen von so viel dringlicher Körperlichkeit - etwa beim Anschauen von Rubens’ fleischigen Damen. Im Mumok und anderen zeitgenössischen Gemäldegalerien hingegen langweile ihn die asketische Gegenstandslosigkeit.

Deshalb versuche er, einen Weg zu finden, der weder in die üppige noch in die dürre Richtung führe. Er male also figurativ, verleugne aber nicht, dass er durch die Schule der ungegenständlichen Malerei gegangen sei. Und was sei das Resultat dieser Malweise? Ja, vielleicht so etwas wie eine "Figuration, die zuweilen auftaucht, und dann wieder verschwindet."

Damit lässt Kremsmayer souverän einen Streit hinter sich, der die Kunstwelt des 20. Jahrhunderts beschäftigt (und lahmgelegt) hat. Die Entscheidung, ob ein Maler "gegenständlich" oder "abstrakt" arbeiten solle, hatte alle Qualitäten eines Glaubenskriegs, und es galt eine Zeit lang als ausgemacht, dass die wahre Modernität nur bei der ungegenständlichen Partei zu finden sei.

Nun ist die Zeit solch rigider Parteinahmen schon länger vorüber. Die sogenannte "Postmoderne" hat die Wahlmöglichkeiten erweitert. Auch Kremsmayer arbeitet an dieser Erweiterung, ohne deshalb das Etikett "postmodern" für sich zu beanspruchen. Er sieht sich nicht als "Vertreter" dieser oder jener "Position", sondern als kreativen Menschen, der Kunstwerke herstellt - "das muss ja alles gemacht werden!", sagt er einmal mit großem Nachdruck.

Erst nach getaner Arbeit denkt er darüber nach, was er damit erreicht hat oder erreichen wollte. Denn nur in solch ungebundener Produktivität ist die Malerei das, was sie für Kremsmayer sein soll: "ein Ort der Freiheit".

Zum Schluss

Schauen wir noch einmal das "Maler"-Bild an: Haben wir es da mit einem Selbstbildnis zu tun? Besteht nicht eine vage Ähnlichkeit zwischen dem Maler-Gesicht auf dem Gemälde und dem fotografierten Porträt, das oben zu sehen ist? Es könnte sein. Aber allzu selbstsicher sollte man derartige Ähnlichkeiten nicht behaupten. Denn Kremsmayer zeigt seine Männer und Frauen zwar einerseits nackt, andererseits aber entblößt er sie nicht. Also sollte ein Betrachter auch nicht so unhöflich sein zu glauben, dass er diese Gestalten (oder ihren Maler) vollkommen durchschaut hätte.

Hermann Schlösser, geboren 1953, ist Literaturwissenschafter und Redakteur in der Beilage "extra" der "Wiener Zeitung" .

Buchhinweis:
Hermann Kremsmayer: Malerei. edition les.arten im Verlag new academic press, Wien 2014, 71 Seiten, 22,90 Euro.