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Malikis politisches Rückzugsgefecht

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Iraks Noch-Premier Nuri al-Maliki steht beim Kampf um die Macht zusehends auf verlorenem Posten.


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Bagdad. Mit erhobenem Zeigefinger erschien der noch amtierende irakische Premierminister Nuri al-Maliki kürzlich im Staatsfernsehen und wetterte gegen alle. Gegen den frisch gewählten Staatspräsidenten Fuad Masum, der nicht ihn, sondern einen anderen, Haider al-Abadi, mit der Bildung der nächsten Regierung beauftragte. Gegen die Amerikaner, die diesen "Verfassungsbruch" unterstützten. Gegen die höchste religiöse Autorität im Irak, den schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani in Nadjaf, der von einem dringenden Machtwechsel sprach und unmissverständlich ihn, Maliki, meinte.

Nur einen wichtigen Spieler im irakischen Politzirkus ließ der Premier unerwähnt: den Iran. In Teheran war es seltsam ruhig, seitdem sich in Bagdad immer deutlicher abzeichnete, dass der 63-jährige Schiit keine weitere Amtszeit bekommen wird. "Iran macht den Regierungschef, die Amerikaner das Kabinett", verrät ein Insider der politischen Szene in Bagdad. Gestern, Dienstag, kam das offizielle Statement vom höchsten iranischen Sicherheitsrat: Teheran unterstütze das Mandat Abadis.

Doch Maliki will nicht aufgeben. Er habe den Auftrag der Wähler erhalten und bleibe Premierminister, sagt er im Fernsehen. Martialisch lässt er Panzer in Bagdad auffahren, bringt ihm loyal gesinnte Spezialtruppen an die Kontrollpunkte zur Grünen Zone, dem Regierungsviertel. Von dort sollen viele schon das Weite gesucht haben. Zur anberaumten Sitzung des alten Kabinetts gestern kam kaum jemand. Maliki war allein zu Hause.

Dass das Regierungsviertel verwaist ist, hat seinen Grund. Maliki sei derzeit alles zuzutrauen, mutmaßen selbst seine engsten Mitarbeiter. So wäre es durchaus denkbar, dass er diejenigen, die in der Grünen Zone verbleiben, als Geiseln nähme, um sie zu erpressen. Sein Stellvertreter kann davon ein Lied singen. Neun Monate lang war Saleh al-Mutlaq praktisch im Regierungsviertel eingesperrt, die Ausweise für ihn und seine Mitarbeiter zum Eintritt und Verlassen der Grünen Zone waren ihnen abgenommen worden. Sogar Lebensmittellieferungen waren zeitweise unterbrochen. Der Grund: Mutlaq nannte seinen Chef einen Diktator. Maliki konterte mit Rausschmiss aus der Regierung und ordnete den sunnitischen Politiker seiner Willkür unter.

Der Premier riskierte den Zerfall des Landes

Unterdessen nimmt die Unterstützung für Malikis Gegenspieler, Haider al-Abadi, zu. Obwohl der 62-jährige in Bagdad geborene Ingenieur ebenfalls ein Schiit ist, hat er doch gute Kontakte zu den Sunniten. Auch die Kurden wären mit Abadi als Premier einverstanden. Eine Regierung der Einheit, wie die US-Regierung immer wieder verlangte, ist mit ihm also möglich.

Die Schiiten bilden mit etwa 60 Prozent der 33 Millionen Einwohner des Iraks die größte Gruppe, Sunniten und Kurden werden auf je 18 Prozent geschätzt. Der Rest sind Minderheiten wie Christen, Jesiden und Schabak. Seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten 2003 hat es immer Regierungen unter Einbeziehung aller Volksgruppen gegeben. Die Amerikaner führten gar einen entsprechenden Proporz ein. Ein kurdischer Präsident hatte immer einen sunnitischen und schiitischen Stellvertreter, der schiitische Premier je einen kurdischen und einen sunnitischen Vize. Diese Tradition wollte Maliki durchbrechen und forderte eine Mehrheitsregierung, je nach Stimmenanteil bei der Wahl. Auch nach der Blitzinvasion durch die Terrortruppe IS - Islamischer Staat - wollte er nicht von seinem Ansinnen lassen und riskierte damit den Zerfall des Landes.

Nun pokert er um sein politisches Überleben. Wie der sunnitische Parlamentsabgeordnete Mithal al-Alusi verrät, hat Maliki Bedingungen gestellt, damit er von seinem Anspruch einer dritten Amtszeit ablässt. Aus Angst vor gerichtlichen Auseinandersetzungen fordert er Immunität für sich und seine Leute - 2600 Personen. Außerdem will er das Innenministerium weiter mit einem Mitglied seiner Dawa-Partei besetzen und somit die Kontrolle über die Sicherheitskräfte behalten. Und schließlich will er Chef der Anti-Korruptionsbehörde werden.

Unterdessen gehen die Kämpfe mit den IS-Terroristen weiter, werden im Norden Iraks weiter Menschen getötet und in die Flucht getrieben - so sind etwa laut UN-Flüchtlingshochkommissariat noch immer 20.000 bis 30.000 Jesiden ohne Lebensmittel im Sinjar-Gebirge eingeschlossen. Für den Machtpoker in Bagdad haben viele Iraker daher kein Verständnis.

Das irakische Politsystem
Es steht zwar nicht in der Verfassung, ist im Irak aber gängige Praxis: Die Vergabe der wichtigsten politischen Ämter verläuft entlang konfessioneller und ethnischer Linien. So erhält ein Sunnit das Amt des Parlamentspräsidenten (derzeit Salim al-Dschaburi), Präsident ist ein Kurde (derzeit Fuad Masoum) und Premier ein Schiit (derzeit Nuri al-Maliki).

Auch die 328 Sitze im Parlament sind großteils zwischen diesen Blöcken aufgeteilt. Dann sind noch säkulare Parteien vertreten (aber mit nur 29 Sitzen), zudem werden acht Sitze von Minderheitsvertretern eingenommen. Innerhalb der Schiiten, Sunniten und Kurden gibt es wiederum die verschiedensten Parteien, die ständig ihre Allianzen wechseln.

Was bedeutet das nun für den aktuellen Machtkampf? Sowohl Nuri al-Mailiki, der den Anspruch auf die Regierungsführung erhebt, als auch Haidar al-Abadi, der von Präsident Masum mit der Regierungsbildung beauftragt worden ist, sind Schiiten. Sie gehören auch beide der Dawa-Partei an, die wiederum Teil der schiitischen Fraktion "Allianz für den Rechtsstaat" ist. Diese stellt sich offiziell hinter Maliki. Abadi genießt aber offenbar die Unterstützung des zweiten großen schiitischen Bündnisses, der "Nationalen Allianz".

Die schiitischen Parteien verfügen zwar mit 176 der 328 Sitze über eine Mehrheit im Parlament, sind aber untereinander zerstritten. Deshalb benötigen sowohl Maliki als auch sein Gegenspieler Abadi Stimmen aus den anderen Blöcken, um eine Mehrheit für eine Regierungsbildung zusammenzubekommen. Hier hat Abadi bessere Chancen. Denn Maliki betrieb während seiner Amtszeit eine Politik, die Nicht-Schiiten an den Rand drängen sollte.