Um den Konflikt in Mali langfristig zu lösen, sollte man sich auf das soziale Kapital der Gesellschaft mit ihrer hochentwickelten Dialogkultur besinnen.
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Dankbar hat die internationale Presse bei der Kriegsberichterstattung den schön zu bebildernden Jubel über den Einsatz der französischen Truppen in Mali aufgenommen. Diese Begeisterung mag kurzfristig Erleichterung verschaffen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mali im vorigen Jahr in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Zehn Monate ist es her, dass über Nacht ein paar Dutzend junger Offiziere die Regierung in Bamako gestürzt haben. Warum gab es nicht mehr Widerstand, die demokratischen Institutionen zu verteidigen? Und bis heute war die Übergangsregierung nicht in der Lage, handlungsfähig zu werden, nicht einmal angesichts der De-facto-Zweiteilung des Landes.
Lange, zu lange haben dem Westen die äußeren Zeichen einer Demokratie - freie Presse, regelmäßige Wahlen - genügt, sie wurde sogar als vorbildlich für die gesamte Region dargestellt. Dahinter hatte sich eine Tradition antidemokratischer Praktiken etabliert: Nepotismus, Misswirtschaft und Korruption grassierten, die Geber tolerierten. In Mali selbst war das Misstrauen in die staatlichen Institutionen allgegenwärtig. Für einen Großteil der Bevölkerung waren die Rede von der Demokratie hohl und die Wahlen leere Rituale. Im vergangenen Jahrzehnt lag die Wahlbeteiligung bei 30 Prozent, die niedrigste Rate in ganz Westafrika. Ohne das verlorene Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit - eine Polizei, die schützt und kein Schmiergeld erpresst, eine unbestechliche Justiz - hätte das Zerfallen des Staates nicht so mühelos geschehen können.
Ein Ende des Kriegs, in den bereits lokale, regionale und internationale Truppen involviert sind, ist nicht so bald in Sicht, und die Herausforderungen sind enorm. Wie können Stabilität und Sicherheit in diesem weiträumigen, armen und dünn besiedelten Land gewährleistet werden? Auch nach einer Wiedereroberung der Zentren im Norden werden die islamistischen Kämpfer nicht so rasch die Waffen strecken. Zudem ist die Ablehnung der Grenzen und der auf dem Reißbrett entworfenen Staaten so alt wie die Grenzen selbst, die Interessen der nomadischen Völker wurden dabei nie berücksichtigt. Wie kann aus diesem Prozess ein Staat entstehen, dem sich die ganze Bevölkerung, im Norden und im Süden zugehörig fühlt? Wie können die Konflikte und Entfremdungen zwischen den Bevölkerungsgruppen ausgesöhnt werden?
Bisher noch kaum genutzt wurde das reiche soziale Kapital der malischen Gesellschaft mit ihrer hochentwickelten Kultur des Dialogs und der Konfliktlösung zwischen den Ethnien. Der starke Wunsch nach dem Wiederaufbau eines demokratischen und säkularen Staates und der Stolz auf die friedfertigen Traditionen sind hoffnungsvolle Zeichen. Diesen politischen Prozess, inklusive einer Aushandlung von Selbstbestimmungsrechten, sollte die internationale Gemeinschaft klug und sachkundig unter-
stützen. Werden Malis tiefe institutionelle Probleme nicht angegangen, mag die Militär-Intervention im Norden zwar den Krieg gewinnen, aber einen weiteren dauerhaften Krisenherd hinterlassen.