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Maltesisches Domino

Politik

Mehr als zwei Jahre nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia fallen in Malta bisher unantastbare Politiker und Geschäftsleute wie die Dominosteine. Die Ermittlungen bringen auch Premier Muscat in Bedrängnis.


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Der 16. Oktober 2017 war ein Tag, den wohl alle Malteser nicht vergessen werden. Ein sonniger Tag, der zunächst nicht vermuten ließ, dass dieser Tag die Einwohner der Mittelmeerinsel ähnlich erschüttern würde wie die Terrorangriffe vom 11. September 2001 oder die Ermordung von Präsident John F. Kennedy die US-Bürger. "Dieser Gauner Schembri war heute vor Gericht und behauptete, er sei kein Gauner", übertitelte die maltesische Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia an diesem Tag ihren Artikel.

Es sollte ihr letzter werden: Zwanzig Minuten später setzte sich die 53-Jährige in ihr Auto. Der Knall einer Explosion zerriss die Luft, er war kilometerweit zu hören. Matthew, einer der drei Söhne der Journalistin, stürzte aus dem Haus. Das Auto war durch einen Sprengsatz unter dem Fahrersitz in ein Feld geschleudert worden. Matthew fand von seiner Mutter nur noch Körperteile.

Die Ermordung Caruana Galizias lässt den kleinen Mittelmeerstaat bis heute nicht zur Ruhe kommen. Die Enthüllungsjournalistin hatte mit ihren Artikeln für Aufsehen und Ärger in Maltas Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesorgt. Ihre Recherchen richteten sich gegen Untersuchungsrichter, Geschäftsleute und auch Regierungsmitglieder. Oder eben Politiker wie Keith Schembri, den Büroleiter von Premierminister Joseph Muscat. Der ist am Dienstag von seinem Amt zurückgetreten und auch gleich von der Polizei vernommen worden.

Büroleiter des Premiers verhaftet

Mittlerweile befindet sich Muscats ehemaliger Stabschef in Polizeigewahrsam. Schembri und der frühere Energie- und Tourismusminister Konrad Mizzi waren von Caruana Galizia bezichtigt worden, Schmiergelder von einem Geschäftsmann angenommen zu haben. Dabei ging es um den Bau eines Gaskraftwerks. Mizzi trat inzwischen ebenfalls zurück, und auch Wirtschaftsminister Chris Cardona ließ mitteilen, dass er sich vom Amt suspendiert habe. Auch über ihn hatte die Journalistin seinerzeit berichtet. Schembri, Mizzi und Cardona weisen alle Vorwürfe zurück.

Der Geschäftsmann, der die Schmiergelder gezahlt haben soll, soll Yorgen Fenech sein - einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Wirtschaftsbosse von Malta. Er wurde vorige Woche festgenommen. Und zwar auf filmreife Art und Weise: Fenech hatte versucht, noch im morgendlichen Dunkel mit seiner Jacht "Gio" die Insel zu verlassen - offenbar, um Ermittlungen zu entkommen. Die Polizei fing das Boot ab und verhaftete den Oligarchen. Noch vor dessen Festnahme hatte ein Taxifahrer, ein der Geldwäsche Verdächtigter aus der maltesischen Halbwelt, ausgesagt, er wisse, wer hinter dem Mord an Caruana Galizia stecke. Sein Wissen würde er auch preisgeben - vorausgesetzt, er würde nicht wegen Geldwäsche belangt.

Premier Muscat ließ sich auf den Deal ein - seither fallen in Malta die bislang Unantastbaren wie Dominosteine. Denn auch Fenech will nun seine eigene Haut retten und einen Deal mit den Behörden machen: Straffreiheit gegen Informationen über die wahren Hintermänner des Verbrechens. Die sind nämlich bis heute unbekannt. Nur jene Männer, die das Killer-Kommando gebildet haben sollen, wurden wenige Wochen nach der Tat festgenommen. Verurteilt wurde bis dato aber niemand, und über die Auftraggeber des Mordes an der lästigen Journalistin, die auch im Zuge der Panama- und der Malta-Papers recherchierte, wird in maltesischen Medien viel spekuliert.

Unter Beschuss gerät spätestens nach den Rücktritten seiner Minister natürlich auch Premier Muscat. Der Sozialdemokrat, der Malta seit 2013 regiert, hat zwar am Wochenende bereits angekündigt, sich nicht mehr der Wiederwahl als Ministerpräsident zu stellen. Seinen Rücktritt schließt der Chef der Partei der Arbeit aber bisher aus - es sei denn, es gäbe "irgendeinen Zusammenhang zwischen mir und dem Mord."

Muscat kämpft um sein Amt

Den Eindruck, dass es einen solchen gäbe, sucht Muscat durch Aktivismus zu zerstreuen. Seit zwei Wochen zeigt sich der maltesische Premier alle paar Stunden in der Öffentlichkeit, inszeniert sich als brutalstmöglicher Aufklärer, ja als eine Art Untersuchungsrichter. Beobachter bezweifeln allerdings, dass Muscats Taktik aufgeht. Denn die Popularität des Premiers hat durch die Enthüllungen gelitten: In den vergangenen Tagen wurde in der Hauptstadt Valletta immer wieder gegen den 45-Jährigen demonstriert. Im strömenden Regen forderten hunderte Menschen wütend "Gerechtigkeit", skandierten "Mafia, Mafia", "Schämt Euch" und verlangten Rücktritte. Der Slogan "Daphne hatte recht" machte in sozialen Netzwerken die Runde.

Dabei schien Muscats Popularität lange unerschütterlich. Als Caruana Galizia in den Malta Papers Korruptionsvorwürfe auch gegen Muscat und seine Frau erhob, ließ der studierte Betriebswirt und Politologe sogleich Neuwahlen ansetzen - mit dem Ergebnis, dass seine Partei die absolute Mehrheit mit 55 Prozent der Stimmen verteidigen konnte. Viele Malteser hielten Muscat zugute, dass er dem Land eine lange Phase des wirtschaftlichen Wachstums beschert hat. Bei Korruption drückte man ein Auge zu. Das scheint sich nun drastisch zu ändern - viele sind der Meinung, dass Muscats Rücktritt nur noch eine Frage von Tagen ist.(leg)