Starker Wertverlust des Pflegegeldes, Personalsorgen und die ungelöste Finanzierung bereiten zunehmend Probleme. Bundeskanzler Kurz drückt nun bei Lösungen aufs Tempo.
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Wien. Knapp 510.000 Menschen werden im Jahr 2020 in Österreich leben, die 80 Jahre oder älter sind. 2024 werden es nach einer Prognose der Statistik Austria fast 584.000 in diesem Alter sein. So erfreulich es ist, dass immer mehr Menschen das 80. Lebensjahr erleben, so sehr steigen damit auch die Herausforderungen, weil bei dieser Bevölkerungsgruppe der Pflegebedarf zunimmt.
Schon jetzt wird Pflegepersonal gesucht. Die 24-Stunden-Betreuung daheim würde ohne ausländische Pflegekräfte - rund 80 Prozent von ihnen kommen aus der Slowakei und Rumänien - zusammenbrechen. Mit der Verlängerung des Pflegefonds aus Steuermitteln existiert bei der Finanzierung nur eine Übergangslösung bis 2021, um die stark steigenden Kosten der Länder und Gemeinden abzufangen.
Angesichts dieser Entwicklungen und Warnungen von Hilfsorganisationen vor einem "Pflegenotstand", drängt Bundeskanzler Sebastian Kurz jetzt zur Eile. Bis Ende dieses Jahres sollen die Koordinatoren, Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) und Verkehrsminister Norbert Hofer, mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) ein Pflegekonzept samt einer "nachhaltigen finanziellen Lösung" liefern, sagte Kurz am Samstag bei seiner Rede ein Jahr nach der Nationalratswahl.
Regierungspakt mit Bekenntnis zur Steuerfinanzierung
Im Regierungsprogramm ließ man sich viel mehr Zeit. Ein Modell sei "bis zum Ende der Legislaturperiode zu entwickeln", wurde vereinbart. Auf Nachfrage nach Details wurde am Montag koalitionsintern betont, dieses würde "bis Jahresende ausgearbeitet".
Entscheidungen über eine langfristige Finanzierung sind bisher stets aufgeschoben worden. Im türkis-blauen Regierungsabkommen wurde ein "klares Bekenntnis zur Steuerfinanzierung aus einer Hand" des Pflegesektors abgegeben. Damit wird höheren oder neuen Sozialbeiträgen eine Absage erteilt, denn dies würde entgegen der Regierungslinie die Lohnnebenkosten erhöhen. Aus dem Steuer- und Budgettopf werden schon jetzt Pflegegeld und der Pflegefonds bezahlt.
5,8 Milliarden Euro gibt der Staat insgesamt für die Altenpflege aus. Auf den Bund entfallen rund 2,2 Milliarden Euro für das Pflegegeld, das je nach Pflegebedarf in sieben Stufen an rund 450.000 Menschen ausbezahlt wird, sowie rund 200 Millionen auf die Förderung der 24-Stunden-Betreuung daheim.
Für die Länder wurde im Finanzausgleich eine steigende Dotierung des Pflegefonds bis auf 421 Millionen Euro im Jahr 2021 vereinbart. Der Fiskalrat hat in einer Studie aber schon gewarnt, bis dahin könnten Mehrkosten bis zu 685 Millionen Euro anfallen.
Nicht nur deswegen steigt der finanzielle Druck. Im Koalitionsabkommen ist lediglich eine Erhöhung des Pflegegeldes ab Pflegestufe 4, also für Menschen mit höherem Pflegebedarf, festgeschrieben. Weit mehr als die Hälfte der 450.000 Bezieher - die meisten sind in den Stufen 1 und 2 - würden damit bei einer Erhöhung leer ausgehen. Dazu kommt, dass es seit der Einführung des Pflegegeldes im Juli 1993 nur fünf Erhöhungen gegeben hat. Der Sozialrechtsexperte Martin Greifeneder hat in der österreichischen Zeitschrift für Pflegerecht errechnet, um den Werteverlust auszugleichen, müsste das Pflegegeld im Schnitt um knapp 35 Prozent angehoben werden.
Daher fordern etwa SPÖ und Caritas schon 2019 und nicht erst 2020 eine Anhebung. Und zwar für alle, nicht nur ab der Pflegestufe 4.
Seit der Abschaffung des Pflegeregresses Anfang 2018 ist der Zugriff auf Vermögen von Heimbewohnern nicht mehr erlaubt. Damit wird in den Bundesländern ein vermehrter Andrang auf Heimplätze registriert. Das geht zu Lasten der an sich günstigeren, weil billigeren Pflege daheim.
Mehr Unterstützung bei Pflege daheim und mobilen Diensten
Die Länder verlangen daher Maßnahmen, um die 24-Stunden-Betreuung und mobile Pflegedienste attraktiver zu machen. Erklärtes Ziel ist es auch, die Qualität der genützten Dienste zu erhöhen und länderweise Unterschiede auszugleichen.
Die Hauptlast der Pflege tragen nach wie vor Angehörige, in erster Linie Frauen. Denn mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut. Daher finden sich im Regierungspakt mehrere Punkte, um pflegenden Angehörigen unter die Arme zu greifen und eine Anlaufstelle für Förderungen und Unterstützung zu schaffen.
Rund 60.000 Personen waren im Vorjahr in der Pflege beschäftigt, davon rund 15.000 im mobilen Bereich. Der Bedarf steigt. Bis 2017 hat sich die Zahl der offenen Stellen für Pfleger laut Arbeitsmarktservice (AMS) verdoppelt. 10.000 Pflegekräfte wurden allein im Vorjahr gesucht.
Ende September 2018 waren 2600 Personen in Pflegeberufen arbeitslos gemeldet. Zugleich waren rund 1800 Stellen frei. Die Vermittlung läuft laut AMS sehr gut: Knapp die Hälfte der freien Pflegestellen konnte heuer in einem Monat besetzt werden.