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Wien. Der deutsche Volkswirt Rudolf Zwiener vergleicht Sozialstaaten - auch Deutschland mit Österreich. Im Interview erklärt er, warum er von einer Kopie des deutschen Systems abrät.
"Wiener Zeitung":Wenn sich Österreich in den vergangenen Jahren an Deutschland orientiert hätte, stünden wir dann besser da?
Rudolf Zwiener: Wir haben kaum Binnennachfrage, nur noch vom Export gelebt und hatten Jahre Reallohnrückgänge. Österreich ist vernünftig gewachsen. Deshalb würde ich sagen, die Agenda 2010 mit Rentenkürzungen und Hartz-IV-Reform hat uns mehr geschadet als genützt. Das hat die Leute verunsichert und das Wirtschaftswachstum gedämpft.
Renten sind ein großer Teil im Sozialstaat. Wie wirken die Reformen?
Wir haben in Deutschland sowohl eine Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf 67 als auch eine schrittweise Reduktion der Rente. Die Leute, die heute in Rente gehen, bekommen weniger als die Menschen, die im Jahr davor gegangen sind. Das wird bei uns nennenswert Altersarmut auslösen. Das beunruhigt die Politik jetzt noch nicht, aber das wird noch kommen. Der Unterschied ist aber auch jetzt schon dramatisch groß: Jene, die in Österreich nach einem ganzen Leben Vollzeitarbeit 1800 Euro erhalten, bekommen in Deutschland 1000.
Sind die deutschen Pensionen besser für die Zukunft abgesichert?
Nach Berechnungen internationaler Organisationen wie der EU-Kommission ist das nicht der Fall. Österreich gilt als besser abgesichert, Deutschland hat über die nächsten Jahrzehnte Lücken.
Was hat Hartz IV bewirkt?
Dass der Niedriglohnsektor noch weiter expandiert ist. Wenn der Arbeitsmarkt nicht genügend Stellen zur Verfügung hat, dann finden geringer Qualifizierte nur sehr, sehr schwer Arbeit. Die jetzt noch weiter runterzudrücken, Hartz IV heißt 409 Euro für eine alleinstehende Person. Davon zu leben ist absolut unmöglich. Das ist ein Drohpotenzial jegliche beliebige Arbeit anzunehmen.
Der Sozialstaat kostet aber auch. Österreich hat 43 Prozent Abgaben, Deutschland 40 Prozent.
Die Länder mit dem meisten Wohlstand sind auch jene mit den höchsten Abgabenquoten. Man darf sich nicht in die Falle locken lassen, nur auf Quoten zu schielen. Dann werden Sozialleistungen zusammengekürzt, das steht zur Wahl in Österreich.