Sektionschef Christian Pilnacek im Interview über aktuelle Gesetzesvorhaben und Kritik an der Justiz.
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Wien. Als "Superman, der auch nachts wacht" wurde Christian Pilnacek von einer österreichischen Tageszeitung einmal porträtiert. Der Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium hat eine Schüsselstelle im Ressort inne. Nicht nur bei legistischen Vorhaben hält er die Fäden mit in der Hand. Der äußerst medienaffine Pilnacek ist auch zur Stelle, wenn die Justiz von Politik und Medien kritisiert wird.
Zuletzt war der Sektionschef insbesondere mit der Strafgesetznovelle 2017 beschäftigt. Mit der Novelle soll unter anderem der neue Tatbestand der "Staatsfeindlichen Bewegungen" in das Strafgesetzbuch eingeführt werden. Vergangene Woche wurde sie vom Justizausschuss verabschiedet. Am diesjährigen Staatsanwaltschaftsforum am Walchsee präsentierte Pilnacek die Novelle und andere Gesetzesvorhaben.
"WienerZeitung":Herr Pilnacek, in Ihrem Vortrag haben Sie gesagt: "Man glaubt immer mehr, gesellschaftliche Probleme mit dem Strafrecht lösen zu können". Können Sie darauf näher eingehen?ChristianPilnacek:Nachdem ein Problem erkannt wird, folgt sehr rasch die Forderung nach Schaffung eines Straftatbestandes für dieses Problem. Das zeigt sich auf vielen Gebieten. Nicht nur bei den Staatsverweigerern, sondern auch bei den - sicherlich verwerflichen - Vorfällen im Bereich der sexuellen Belästigung durch Gruppen. Ebenso zeigt es sich bei den vermehrten Angriffen auf Überwachungsorgane in öffentlichen Verkehrsmitteln. Für all diese Probleme, die auch tatsächlich auftreten, greift man sehr schnell zur scheinbaren Lösung des Strafrechts.
Man sollte also nicht nur auf das Strafrecht, sondern auch auf andere Lösungen zurückgreifen?
Es gibt Strafbestimmungen und Strafverschärfungen, die unabwendbar notwendig sind. So wie etwa die Strafverschärfungen im Suchmittelbereich, um den überbordenden und aggressiven Handel auf öffentlichen Plätzen zu bekämpfen. Auch die Bestimmung gegen die Staatsverweigerer ist notwendig. Sie ist ein Zeichen für eine selbstbewusste Demokratie, die gegen Randgruppen und deren Ablehnung des Staates auftritt. In anderen Bereichen sollte man durchaus versuchen, ob es nicht zielführendere Maßnahmen gibt.
Unlängst haben Sie den Obersten Gerichtshofes (OGH) wegen eines umstrittenen Urteils verteidigt. Der OGH hatte die Strafe für einen jungen Erwachsenen, der einen zehnjährigen Buben in einem Wiener Hallenbad vergewaltigt hat, von sieben auf vier Jahre reduziert. Die Entscheidung sorgte für heftige Kritik - auch vonseiten der Politik. In Deutschland gibt es Stimmen, welche über den zunehmenden Autoritätsverlust der Justiz klagen. Würden Sie das für Österreich in diesem Zusammenhang auch konstatieren?
Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und Integrität hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Schwierigkeit ist es, an Einzelurteilen eine allgemein gültige Kritik abzuleiten. Ich wage zu behaupten: Hätte das Ersturteil eine fünfjährige Strafe ausgesprochen und hätte der OGH aufgrund eines Fehlers in der Strafzumessung sie um ein Jahr reduziert, wäre die Kritik nicht so stark gewesen. Eine vierjährige Freiheitsstrafe bei einem jungen Erwachsenen ist allgemein ein gravierendes Strafausmaß.
Fanden Sie die Kritik für überzogen?
Ich finde es wichtig, dass eine Kritik stattfindet und die Justiz nicht im Glashaus sitzt. Man soll sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Ich bin nur dagegen auftreten, weil die Kritik das sachliche Ausmaß verlassen hat. Wenn man den OGH als "Schande der Justiz" bezeichnet, dient das nur der Diffamierung, aber nicht der sachlichen Auseinandersetzung.
Kann die Kritik auch auf die Begründung und Wortwahl des Richters zurückzuführen sein? Hinsichtlich der von der Erstinstanz herangezogenen möglichen zukünftigen Folgen für den vergewaltigten Buben meinte der Senatspräsident, es könne sein, "dass es sie überhaupt nicht gibt". Müssen Richter vorsichtiger formulieren?
Gerade bei der Justiz sind die Wortwahl und der Begründungsstil entscheidend. Durch ihre Begründungen rechtfertigen sich die Gerichte gegenüber der Öffentlichkeit. Die Begründung muss klar, nachvollziehbar und möglichst wenig angreifbar sein.
Wie schon vielfach zuvor wurde zuletzt wieder über eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit diskutiert. Mittlerweile scheint die Debatte jedoch wieder abzuklingen. Wie wahrscheinlich ist denn eine solche Reform überhaupt noch?
Eine sinnvolle Reform kann nur in der neuen Legislaturperiode begonnen und umgesetzt werden. In Zeiten politischer Nervosität und gegenseitigen Misstrauens sollte man nicht grundlegende Reformschritte unternehmen.
Jüngst wurde in Medienbeiträgen auch über eventuelle Änderungen des Verbotsgesetzes debattiert. So wurde unter anderem vorgeschlagen, die Zuständigkeit von den Geschworenen- zu den Schöffengerichten zu übertragen. Gibt es da konkrete Planungen, von denen Sie berichten können?
Das sind Diskussionsäußerungen. Wir haben nichts Konkretes geplant. Ich finde es nicht richtig, dass man den Geschworenengerichten - weil man einer Reform derselben scheitert - bestimmte Tatbestände entzieht.
Zur Person
Christian
Pilnacek
ist Sektionschef der Sektion 4 "Strafrecht" im österreichischen Justizministerium und ehemaliger Richter und Oberstaatsanwalt.