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"Man kann auch feiern, wenn man nicht am Ziel ist"

Von Nina de Colle

Politik
Am "Geburtstagswochenende" gibt es Entspannungs-Yoga und Podiumsdiskussionen. Abends finden Workshops und dann Live-Konzerte bis in die späte Nacht statt.
© Nina de Colle

Im Lobau-Protestcamp wird dieses Wochenende das einjährige Bestehen gefeiert.


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Es ist ein sehr warmes Augustwochenende. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. In der Anfanggasse im 22. Bezirk ist es sehr ruhig. Vom weitem würde man gar nicht glauben, dass sich hinter den grünen Bäumen ein gesamtes Camp verbirgt. Beim Näherkommen werden aber kleine Zelte sichtbar, die zwischen Bäumen im Schatten stehen. Eine Gruppe von etwa 20 Leuten sitzt auf Holzbänken im Kreis. Jemand erzählt etwas und die Menge hört gebannt zu. Die Atmosphäre ist gelassen, kein lautes Gelächter, keine Musik und keine Party. Dabei hätten alle einen Grund zum Feiern: Das Lobau-bleibt-Camp steht trotz aller Hürden ein ganzes Jahr und zählt damit zum längsten, durchgehenden Klima-Protest Österreichs.

Ein Jahr Widerstand

Nach einer kurzen, begleiteten Führung durchs Camp erscheint Anna Kontriner. Die 25-jährige Klima-Aktivistin willigt zu einem Interview ein. Sie setzt sich auf eine der Holzbänke im Schatten. Dann erzählt sie von der Entstehung des Camps bis hin zur derzeitigen Situation. "Der 28. August letzten Jahres ist der erste Camp-Tag gewesen", so Kontriner. Sie habe sich damals mit weiteren Aktivisten der Organisationen Extinction Rebellion, der sie selbst angehört, Fridays for Future, dem Jugendrat und weiteren in der Anfanggasse neben den Baumaschinen und Baggern versammelt. Gemeinsam wollten sie Widerstand gegen den Bau der Stadtstraße und des Lobau-Tunnels leisten. Viele begannen, kleine Schlafplätze neben der Baustelle aufzubauen und blieben mehrere Tage am Stück. Als immer mehr Menschen dazustießen, dauert es nicht lange, bis sich ein größeres Lager entwickelte. Zelte wurden aufgebaut, Nachbarn brachten Wasser und Essen vorbei und wuschen die Schmutzwäsche der Camp-Teilnehmer. Später wurden Öko-Klos installiert und durch einen von Anrainern verlegten Kabel erhielten sie Strom zum Heizen. So musste in den Wintermonaten niemand frieren.

Klagsdrohungen

Nicht alle waren den Klimaschützern so entgegenkommend. Der Wiener SPÖ sei das Protest-Camp von Beginn an ein Dorn im Auge gewesen, erzählt Kontriner. Im Dezember wurden laut der Aktivistin Klagesdrohungen an rund 50 Personen geschickt - darunter auch an Minderjährige und auch an einen Verkehrswissenschafter, der sich öffentlich zum Projekt geäußert hatte. Allerdings sei es glücklicherweise nie zu Klagen gekommen.

Es folgten zwei illegale Baustellen-Besetzungen, um den Bau der Stadtstraße aufzuhalten. Die erste an bei der Hirschstetter Straße wurde im Februar von der Polizei geräumt. Die zweite Besetzung der Hausfeld-Straße lösten die Beamten Mitte April auf. Da die Besetzungen rechtswidrig waren, mussten die Aktivisten den Widerstand gezwungenermaßen aufgeben. Das Basis-Camp in der Anfanggasse blieb aber weiterhin bestehen. Es gelte als politische Versammlung und sei daher legal angemeldet, so Kontriner.

Bis 30. September

Vorerst haben die Umweltschützer bis zum 30. September eine Genehmigung für das Camp. Diese könnten sie aber jederzeit verlängern, meint sie. Die einzigen Gründe für eine Auflösung seien beispielsweise die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung.

Erst kürzlich habe die Stadt Wien erneut versucht, das Lager zu räumen. Als Grund hätten sie Baumpflegemaßnahmen genannt. Daraufhin hatten die Camp-Teilnehmer angeboten, mit dem Camp auf die nahe gelegene Wiese zu übersiedeln. Später hätten die Beamten behauptet, das Camp müsse aufgrund einer Rattenplage geräumt werden und die Campierenden verstößen gegen das Grillverbot, erläutert Kontriner. Doch die Aktivisten ließen sich dadurch allerdings nicht beeindrucken.

Aus den Philippinen angereist

Mitten im Gespräch nähert sich plötzlich ein Mann und spricht die "berühmte Anna" an. Er habe sie bei der Einweihung des neuen Pratersterns gesehen und wolle ihr zum mutigen Protest gratulieren. Kontriner bedankt sich und erklärt anschließend, dass sie bei der Veranstaltung gegen das dort stattfindende "Greenwashing" Widerstand geleistet hätten.

Es sei zudem keine Seltenheit, dass unbekannte Gesichter im Camp auftauchen und eine Zeit lang dort verweilen, meint sie. Manchmal kämen auch Menschen aus anderen Bundesländern für ein Wochenende vorbei, um den Klimaprotest zu unterstützen, sagt Kontriner. An diesem besonderen Wochenende seien sogar Klimaschützer aus den Philippinen angereist, um über den Klima-Kampf in ihrem Land zu erzählen. Der Austausch mit anderen Aktivisten sei allen besonders wichtig, da man viel voneinander lernen könne.

Zwei bis drei Tage in der Woche

Im Camp selbst sind Aktivisten von verschiedenen Organisationen vertreten. Dazu gehören Fridays for Future Wien, Extinction Rebellion - bei dessen Verein  Kontriner selbst Mitglied ist -, der Jugendrat und System Change not Climate Change. Die meisten verbringen nicht jeden Tag im Camp, sondern wie Kontriner zwei bis drei Tage in der Woche.

Beim Jubiläums-Tag versuchen allerdings so viele wie möglich dabei zu sein. An dem "Geburtstagswochenende" finden im Camp nämlich mehrere Aktivitäten statt. Es gibt Entspannungs-Yoga und Podiumsdiskussionen. Abends finden Workshops und dann Live-Konzerte bis in die späte Nacht statt.

Kontriner findet zwar, dass der Klima-Kampf noch ein langer Weg sei, aber das Camp trotzdem feiern darf. Schließlich wurde der Bau des Lobau-Tunnels von der Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gestoppt. "Man kann auch feiern, wenn man nicht am Ziel ist", sagt Kontriner. Für sie steht der Protest gegen das "schädliche Großprojekt", wie sie es nennt, stellvertretend für den Protest gegen die Klimakrise in Österreich und auf der ganzen Welt. Alle im Camp haben dasselbe Ziel: Klimagerechtigkeit. Um diese zu erreichen, will die Wienerin weiterhin kämpfen.