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"Man kann immer etwas lernen"

Von Katharina Schmidt

Politik
© privat

Die neu gewählte Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE im Interview.


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Wiener Zeitung: Sie wurden am Dienstag zur Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE gewählt. Wo sehen Sie die Aufgabe dieses Gremiums?

Christine Muttonen: Die Aufgabe der parlamentarischen Versammlung ist wichtig, weil sie der OSZE ihre demokratische Legitimation gibt. Die Parlamentarier sind demokratisch gewählt und damit freier, ungebundener und näher an der Bevölkerung als die Regierungsseite. Dort gibt es auch das Konsensprinzip, da wird sehr oft blockiert. In der Parlamentarischen Versammlung haben wir Abstimmungen, da können wir anders entscheiden und Themen aufgreifen. Wichtig ist, dass wir im Bereich des Frühwarnsystems agieren können: Wenn wir erleben, dass es zu Konflikten kommen könnte, können wir versuchen, in einen Dialog mit den Konfliktparteien zu treten.

Wo werden Sie die Schwerpunkte in den nächsten zwei Jahren setzen?

Ein Schwerpunkt ist das Frühwarnsystem. Wir wollen auch den Kontakt mit dem jeweiligen Vorsitzenden der OSZE verstärken - aktuell ist das Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der Dialog zwischen den einzelnen OSZE-Institutionen hat bisher nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Ich glaube aber, dass wir gemeinsam mehr Möglichkeiten haben, daher will ich den Kontakt verstärken. Zudem müssen wir die Frauenförderung verstärken und Maßnahmen gegen die Radikalisierung von Jugendlichen setzen. Und natürlich sind viele Gespräche nötig.

Wurden Sie bei der Versammlung in Tiflis auf die österreichische Situation nach der Aufhebung der Präsidentenstichwahl durch den VfGH angesprochen?

Ja, man hat gefragt, wie die Situation in Österreich ist. Grundsätzlich sind alle der Meinung, dass das österreichische Wahlsystem sicher gut funktioniert und eines der besten der Welt ist. Die Kollegen haben honoriert, dass es in Österreich ein Rechtssystem gibt, in das die Menschen vertrauen und dessen Entscheidung anerkannt wird.

Erachten Sie es für sinnvoll, eine Wahlbeobachtungsmission zum Stichwahltermin am 2. Oktober einzuladen oder macht sich Österreich damit im Ausland lächerlich, wie es manche hierzulande vermuten?

Eine spezielle Einladung ist aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs weder notwendig noch angebracht. Eine Routine-Einladung ist aber bei jeder Wahl selbstverständlich und findet ohnehin automatisch statt. Wahlbeobachtungen sind ursprünglich für junge Demokratien gedacht, aber mittlerweile sind sie ein Instrument des gegenseitigen Unterstützens und Lernens. Man kann immer etwas lernen. Und abseits einer konkreten Mission kann die OSZE-Expertise sicherlich dabei helfen, das System der Briefwahl zu verbessern.

Der einzige umfassende Bericht einer Wahlbeobachtung durch das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) stammt von der Bundespräsidentenwahl 2010. Darin fanden sich einige Formulierungen, wie sie fast wortgleich vom VfGH kommen könnten. Warum wurde dieser Bericht so weitgehend ignoriert?

Das kann ich im Detail nicht sagen, aber grundsätzlich werden die ODIHR-Empfehlungen sehr wohl angeschaut, zur Kenntnis genommen und zumindest teilweise umgesetzt.

Österreich erlaubt auch keine zivilgesellschaftlichen Wahlbeobachter, was in jedem bisherigen ODIHR-Bericht bemängelt wurde.

Beobachter aus der Zivilbevölkerung sind in jenen Ländern sinnvoll, in denen die Regierungsebene versucht, die Zivilgesellschaft auszuschließen und die Wahlen selbständig durchzuführen. Das spielt in Österreich auch deswegen keine Rolle, weil ja bei uns Vertreter aller Parteien dabei sein sollten. Das ist nicht immer einfach, aber es ist wichtig für die Demokratie - und das ist jetzt durch das VfGH-Erkenntnis mal wieder bewusst geworden.

Die Umsetzung der ODIHR-Empfehlungen ist freiwillig, Strafen sind nicht vorgesehen. Ist das sinnvoll?

Dazu müsste es auf Regierungsebene einen Konsens geben - bei 56 Mitgliedstaaten eine schwierige Sache. Dass die alle an einem Tisch sitzen, ist aber etwas ganz Besonderes, da wären Sanktionen wohl nicht nur nicht möglich, sondern wahrscheinlich auch nicht gewünscht.

Neben offiziellen Missionen gibt es die Möglichkeit der individuellen Beobachtung - am 24. April und 22. Mai waren individuelle Beobachter da. Was passiert mit deren Wahrnehmungen?

Sie sind von ihren Regierungen entsandt und melden an diese zurück, da geht es vor allem um einen Lernprozess. Demokratie ist Work in Progress.

Christine Muttonen

Die Kärntnerin ist seit 1999 SPÖ-Nationalratsmandatarin. Sie studierte Geschichte und Anglistik, am Dienstag wurde sie in Tiflis als zweite Frau in 25 Jahren zur Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die nächsten zwei Jahre gewählt.