Die rot-schwarze Koalition kann sich beruhigt zurücklehnen: Alle unfairen Vorwürfe demonstrativer Inaktivität sind hinfällig. Ein philosophisches Paradoxon.
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Zum 100. Ministerrat kein neues Gesetz: Für wen ist das jetzt eine gute, für wen eine schlechte Nachricht: Für die Bürger, die sich in ihrem tiefsten Innern doch nur nach dem Fortbestand des Status quo sehnen? Oder für die rot-schwarze Bundesregierung, die, ginge es allein nach ihr, nichts lieber täte, als dieses träge Land gründlich zu reformieren? Und woran erkennt man eigentlich, dass eine Regierung gute Arbeit ableistet?
Wie fast alles im Leben hängt die Antwort auf diese Fragen vom Standpunkt ab. Wenn man bedenkt, dass praktisch die gesamte Ministerialbürokratie dieses kleinen Landes dafür lebt, sich über neue, mitunter sogar bessere Gesetze und Verordnungen den Kopf zu zerbrechen, so war der 100. Ministerrat für diese wahrscheinlich kein Feiertag. Schließlich ist der immanente Daseinszweck jeder Bürokratie, sich selbst Beschäftigung zu verschaffen.
Aus Sicht aller anderen ist die Sache mit der schaumgebremsten Aktivität der Koalition zumindest zwiespältig: Da sind auf der einen Seite all jene Berufszyniker und Politikskeptiker, die überzeugt sind, je weniger eine Regierung herumfuhrwerkt, desto besser. Hier kommt jener Charaktertypus zum Vorschein, der zwar nichts mehr hasst als die nackte Anarchie, gleichzeitig aber auch "denen da oben" in aufrichtiger Abneigung gegenübersteht. Menschen dieses Schlags haben den archetypischen US-Amerikaner im Mitteleuropäer bewahrt.
Auf der anderen Seite stehen all jene Lobbying- und Pressuregroups sowie simplen Betroffenen, die von einer Veränderung des Status quo profitieren würden, egal, ob nun von niedrigeren oder höheren Steuern, von lockereren oder restriktiveren Datenschutzrichtlinien etc..
So gesehen eine wirkliche Tragödie: Nicht einmal diese österreichische Bundesregierung kann nicht nicht regieren. Da kann sie sich bemühen, wie sie will.
Was zur interessanten Frage führt, woran sich denn die Qualität von Regierungsarbeit erkennen lässt. Nach dem bisher Gesagten ist klar, dass quantitative Maßstäbe wie die Zahl verabschiedeter Gesetze und Vorlagen ausfallen.
Externe Parameter sind ebenfalls nicht immer die verlässlichsten Zeugen. Tatsächlich sollte gutes Regieren früher oder später in den sozio-ökonomischen Kennzahlen Niederschlag finden. Es gibt aber auch bezeichnende Ausnahmen.
Niemand würde etwa auf die Idee kommen, die beachtliche Exportstärke der norditalienischen Industrie der weisen Voraussicht der ungefähr 60 römischen Regierungen seit Gründung der Republik 1946 zuzuschreiben. Auch die schiere Existenz des belgischen Königreichs grenzt an ein weltliches Wunder, wenn man bedenkt, dass dessen gewählte Politiker ausschließlich mit sich selbst beschäftigt sind. Und in den USA hat sich eine ganze politische Philosophie, die Libertären, dem erstaunlich ehrgeizigen Ziel verschrieben, die Befugnisse einer als feindselig den bürgerlichen Interessen gegenüberstehenden Zentralregierung so weit wie nur irgend möglich zu beschränken.
Radikalismus dieser Art liegt Europäern generell fern - und ganz sicher keinem ferner als uns Österreichern. Rettung von allen Übeln verspricht hier einzig und allein das segensreiche Wirken unserer Regierenden. Und diese selbst lassen nichts unversucht, uns Bürger in diesem Glauben zu belassen.
Alles spricht deshalb dafür, dass der gestrige gesetzeslose Jubiläumsministerrat eine Ausnahme war, die sich nicht allzu oft wiederholen sollte. Die Bürger könnten schließlich Gefallen daran finden.