Die Berichterstattung vieler deutschsprachiger Medien in der Flüchtlingskrise ist eine ganz eigene Krise.
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Ein Journalist "darf sich nicht gemein machen. Auch nicht mit etwas Gutem", formulierte einst Hans-Joachim Friedrichs, eine Ikone des deutschen Journalismus, punktgenau eines der ganz zentralen Dogmen dieses Berufsstandes.
Nimmt man dieses Dogma so ernst, wie man es ernst nehmen sollte, dann haben ziemlich viele Medien des deutschen Sprachraumes in den vergangenen Monaten einen ziemlich schlechten Job gemacht. Denn "gemein gemacht" mit jener Sache, die sie je nach persönlichem Gusto im Migrationsdrama der vergangenen Wochen für die gute hielten, haben sich Medienleute über Gebühr. Und zwar auf beiden Seiten dieses Kulturkampfes, bei den zahlenmäßig dominierenden "Welcome"-Journalisten genauso wie bei der Minderheitsfraktion der publizistischen Freunde des Zauns.
So musste erst dieser Tage ARD-Chefredakteur Kai Gniffke einräumen, was sich viele TV-Zuseher schon seit längerer Zeit gedacht haben: "Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus." Tatsache sei aber, so der Chefredakteur, dass "80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind". Ein Phänomen, das auch dem österreichischen TV-Konsumenten nicht ganz unbekannt sein dürfte.
Es war nicht die einzige Manipulation im Sinne der vermeintlich guten Sache im deutschen Staats-TV. Fast zeitgleich flog auf, dass die ARD einen Bericht über eine von der SPD organisierte Lichterkette für Asylwerber in Berlin, die eher mau besucht war, mit Videomaterial einer Großdemo gegen den Irakkrieg 2003 aufmotzte. Und plötzlich eine beeindruckende Kundgebung zu besichtigen war, bei der in der Realität nur ein schmaler Zug von Demonstranten existierte.
Gemein gemacht mit dem, was er für das Gute hielt, hat sich in diesem Kulturkampf, diesfalls freilich im anderen Camp, auch ein leitender Journalist der "Kronen Zeitung", indem er seinen Lesern vermeintliche Vergehen von Migranten präsentierte, die einer Recherche nicht wirklich standhielten. (Dass der Mann sich danach für seinen Kommentar entschuldigte und seinen Fehler öffentlich einbekannte, ist freilich auch bemerkenswert.)
Man braucht angesichts dieser und zahlloser anderer, weniger spektakulärer Beispiele nicht sehr viel Pessimismus, um zu vermuten, dass das ohnehin angeschlagene Vertrauensverhältnis zwischen Medien und Medienkonsumenten darob weiter erodiert. Der Verdacht, von den Medien nicht korrekt informiert zu werden, greift um sich wie die Masern in einer ungeimpften Volksschulklasse.
Wie stark dieser Vertrauensverlust in Österreich ist, wissen wir nicht; für Deutschland hat erst jüngst das "Forsa"-Institut eine repräsentative Umfrage veröffentlicht. Fast jeder Zweite (44 Prozent) der Befragten stimmte dem bösen Begriff von der "Lügenpresse" zu, laut dem die Medien in Deutschland "von ganz oben gesteuert" würden und deshalb "geschönte und unzutreffende Meldungen" verbreiteten.
Das ist natürlich grotesk übertrieben - aber keine große Überraschung, wenn Medien und Medienmacher darauf vergessen, dass sie sich "nicht gemein machen dürfen, auch nicht mit etwas Gutem".