Bei Umstrukturierung "nicht wie der Teufel hineinfahren". | Guter Sanierer muss ganzheitlichen Blick haben. | "Sanierungen sind umfassender und politischer geworden".
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"Wiener Zeitung":Sie übernehmen immer wieder Sanierungsaufgaben. Was zeichnet eigentlicheinen guten Sanierer aus?Klaus Woltron: Ich führte kürzlich ein Gespräch mit einem Chirurgen und habe ihn gefragt, was seiner Meinung nach einen guten Chirurgen auszeichnet. Er antwortete, das wäre zum einen schon ein bisschen die Fingerfertigkeit, aber das Entscheidende ist, in einer bestimmten Situation, oft unter Zeitdruck, einen ganzheitlichen Blick zu haben - eine Situation realistisch, schnell, richtig und auch ganzheitlich einschätzen zu können. Für einen, der Unternehmen saniert, gilt Ähnliches. Ein Unternehmen ist immer ein hochkomplexes Ding, und die Informationen, die Sie über einen solchen Patienten bekommen, sind immer unvollständig und auch gefärbt.
Es gilt also, möglichst rasch einen Überblick zu gewinnen?
Die Kunst besteht darin, einen ganzheitlichen Blick für einen lebenden Organismus zu haben, um herauszufinden, wo der Wurm drin ist. Der ist meistens nicht nur an einem Ort, sondern an mehreren Stellen, in verschiedener Tiefe. Dazu braucht man natürlich eine gewisse Ursprungsbegabung und möglichst viel Erfahrung.
Zweitens muss man dann in der Lage sein, einen über der Zeitachse sinnvoll gestaffelten Plan mit einer strukturierten Abfolge von Maßnahmen zu entwickeln: Nicht zu früh, nicht zu spät, nicht alles auf einmal. Zu Beginn einmal Erste Hilfe leisten und die Blutungen stillen, dann beruhigen und den Kreislauf stabilisieren und schließlich die einzelnen Leiden sukzessive ausmerzen. Dazu ist es notwendig, dass man auch einen guten Blick für Menschen hat. Man kann das nie alleine machen. Und man braucht jemanden an der Unternehmensspitze, der die Fahne voran trägt, der die Motivation und den Glauben an die Zukunft des Ladens wieder stärkt.
Die grobe Holzhackerei - Kostenreduktionen, die Organisation sauber strukturieren, den Produktmix entflechten - ist, wenn man ein bisschen Glück hat, meist in einem halben Jahr erledigt. Das Ganze dann zu pflegen, ausheilen zu lassen und die Motivation wieder zu steigern, dafür braucht man allerdings Geduld.
Muss ein Sanierer heute, in einer sich globalisierenden Wirtschaft mit viel rascherem Informationsfluss, andere Qualitäten haben als vor 20 oder 25 Jahren?
Man muss heute wesentlich mehr soziale Intelligenz haben als früher, weil der Faktor Mensch für die Unternehmen wesentlich wichtiger geworden ist. Früher steckte das Kapital in den Maschinen, in den Fabrikgebäuden. Heutzutage muss man viel stärker darauf schauen, die richtigen Leute auszusuchen, diese richtig zu motivieren, ihnen die Zielsetzungen glaubwürdig zu präsentieren.
Wenn man früher ein größeres Unternehmen sanieren musste, ging es darum, dass man ein oder zwei Produktionsstandorte zusperrt und die Politiker und Betriebsräte halbwegs besänftigt. Das war auch schwierig, aber heute hängen die Unternehmen in der Regel viel stärker am Know-how wichtiger Mitarbeiter, da kann man nicht mehr wie der Teufel hineinfahren. Da muss man schauen, dass die Leute mitspielen, dass man die Schlüsselkräfte bei der Stange hält, dass das nach innen und außen entsprechend kommuniziert wird.
Das deckt sich allerdings nicht ganz mit dem Eindruck, dass viele Konzerne europäische Produktionsstandorte beinahe schon routinemäßig schließen, um die Fertigung in Niedriglohnländer zu verlagern.
Das ist nur ein Teil einer Sanierung, der natürlich manchmal auch notwendig ist, um die Kosten zu senken. Aber Sie müssen auch schauen, dass Sie nächstes Jahr schon wieder das nächste Handy- oder Notebookmodell fertig haben.
Sie müssen schauen, dass der Wirbel, wenn Sie eine Fabrik zusperren, nicht so groß wird, wie das Nokia kürzlich in Bochum passiert ist. Man muss schauen, dass man die Kunden nicht vertreibt oder dass man dann nicht Scherereien mit Regierungen bekommt.
Das heißt, Sanierungen sind wesentlich umfassender und erheblich politischer geworden, und Sie brauchen viel mehr soziale Intelligenz dazu.
Sie schreiben gelegentlich Bücher und veröffentlichen regelmäßig Kommentare und Essays zu gesellschaftspolitischen und ökologischen Themen. Ein eher ungewöhnliches Hobby für einen Unternehmer.
Da habe ich verschiedene Rollen. Als Familienvater und Geschäftsmann bin ich überzeugt, dass die Menschheit kollektiv völlig idiotisch ist und setze die denkbar negativsten Entwicklungen voraus. Ich gehe davon aus, dass die sechs Milliarden Menschen beziehungsweise ihre Anführer einfach zu unintelligent sind, sich friedlich über die in nächster Zeit immer virulenter werdenden Krisen drüberzuretten.
Und als politisch interessierter Zeitgenosse?
Als Mitdenker, der nach Lösungswegen sucht, muss ich natürlich optimistischer sein. Da bin ich ein skeptischer Zweckoptimist. Wenn ich irgendwelche Tipps geben will oder Veröffentlichungen mache, die gesellschaftspolitisch relevant sein sollen, dann müssen die auch so sein, dass sie auf dem jetzt vorhandenen gesellschaftlichen Humus keimen können. Daher halte ich auch nichts davon, den sogenannten ökologischen Fußabdruck zum Maßstab für die künftige Steuerpolitik zu machen.
Was wäre so übel daran?
Es würde zu einer Art ökologischem Kommunismus führen, wenn Menschen in Industriestaaten in ihrer materiellen Entfaltung und ihrem Energieverbrauch auf das gleiche Niveau wie die Bewohner von Entwicklungsländern reduziert würden.
Den ökologischen Fußabdruck als eine von mehreren Besteuerungsgrundlagen heranzuziehen würde doch bloß dazu führen, dass es ein bisschen teurer würde, große Autos zu fahren und die Klimaanlage den ganzen Tag laufen zu haben.
Letztendlich könnten Sie es sich dann nicht mehr leisten, Auto zu fahren und müssten aufs Fahrrad umsteigen. Am Anfang zahlt man Strafe für den größeren Fußabdruck, aber damit reduziert man natürlich sein ökonomisches Potenzial immer mehr, und zu Ende gedacht, führt das zu energiepolitischem und materiellem Kommunismus.
Aber ich bin durchaus damit einverstanden, besonders energieintensive Auswirkungen der ökonomischen Tätigkeit zu besteuern.
Anders ausgedrückt: Sie wollen weiterhin mit einem S-Klasse Mercedes fahren?
Ich besitze keinen S-Klasse Mercedes, sondern ein sehr emissionsarmes Fahrzeug. Aber mit einem winzigen Spuckerl mag ich auch nicht fahren.
Was für einen besonders schadstoffarmen Pkw benutzen Sie?
Einen 5er BMW Diesel, der braucht 8,4 Liter. Das ist nicht so schlimm, aber natürlich gibt es umweltfreundlichere Geräte. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich sagen: Ich habe dabei kein schlechtes Gewissen. Dafür habe ich nicht mein ganzes Leben geschuftet, dass ich dann auf die Früchte meiner Arbeit zur Gänze verzichte.
Sie haben in Ihrer Jugend am Bau von Atomkraftwerken mitgewirkt. Seit einigen Jahren investieren Sie in Unternehmen, die sich mit alternativer Energiegewinnung befassen. Ein bemerkenswerter Wandel.
Ich war tatsächlich Projektleiter der Kerneinbauten für das Atomkraftwerk Zwentendorf und stolz darauf. Dann war ich zweieinhalb Jahre in Brasilien und habe dort am Bau eines Atomkraftwerks mitgearbeitet. Das heißt, ich weiß, wovon ich rede. Jetzt bin ich aber schon lange ein Skeptiker der Atomwirtschaft. Vor allem aus zwei Gründen. Der erste Grund ist, dass die vorhandenen Reserven an Uran relativ gering sind. Der zweite Grund ist, dass der nukleare Kreislauf letztendlich unsicher ist.
Sie befürchten ein zweites Tschernobyl?
Diesen entsetzlichen Ofen in Tschernobyl hätte man nie bauen dürfen, aber die Reaktoren an sich fürchte ich noch am wenigsten. Doch der ganze nukleare Kreislauf übersteigt letztendlich die menschliche Organisationskraft. In der Kernenergie darf man aber keinen Pfusch machen, da muss das Null-Fehler-Prinzip herrschen. Doch irgendwann passieren immer Fehler. Daher halte ich die gegenwärtige Renaissance der Kernenergie für den falschen Weg.
Man muss schauen, dass man den Energieverbrauch reduziert, dass man mit allen vorhandenen Primär-Energieträgern so effizient wie möglich umgeht und die Möglichkeiten alternativer Energieerzeugung ausbaut.
Ein Zyniker würde sagen, dass jemand, der an Unternehmen beteiligt ist, die sich mit alternativer Energieerzeugung befassen, schon deshalb kein Atomenergiebefürworter sein kann, weil das seinen Geschäftsinteressen zuwiderläuft.
Sie können es auch umgekehrt betrachten. Ich hätte ja mit diesen Dingen nicht begonnen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre. Mir geht es ja nicht so sehr ums Geld, denn das, was ich brauche, habe ich schon. Ich beschäftige mich mit Investitionen in den Bereich alternativer Energieerzeugung, weil es Spaß macht. Weil ich gemeinsam mit Partnern und Idealisten etwas Vernünftiges machen kann, das sich natürlich auch rechnen soll.
Zur Person
Klaus Woltron, der 1945 in Wels geboren wurde und sein Studium an der Montanuniversität in Leoben absolvierte, war zu Beginn seiner Karriere in der Nukleartechnik tätig.
Später wurde er Vorstand und Generaldirektor der verstaatlichten Simmering Graz Pauker AG, von 1989 bis 1994 war er Chef der Österreich-Tochter des schweizerisch-schwedischen Anlagenbaukonzerns ABB. In der Folge gründete Woltron eine Beteiligungsholding. In den vergangenen Jahren hat er den Schwerpunkt seiner unternehmerischen Aktivitäten zunehmend auf Investments im Bereich alternativer Energieerzeugung verlagert.
Zudem fungiert er als Verwaltungsrat der Sustainable Performance Group, eines in der Schweiz börsenotierten Investmentfonds, der sich an Kriterien der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit orientiert.