Der Ruf nach dem Auszählungsstopp, Wahlkarten, die von der Post nur langsam ausgeliefert werden: Die Republikaner drohen mit Klagen. Dagegen sträubt sich das europäische Rechtsempfinden, sagt Verfassungsexperte Ennöckl.
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Jetzt ist die Auszählung in Pennsylvania zumindest vorübergehend gestoppt worden. Die Republikaner wollen die Wahl juristisch beeinflussen - und haben das schon im Vorfeld so angekündigt. Donald Trump will entweder die Auszählung stoppen oder eine Neuauszählung in bereits entschiedenen Bundesstaaten. Etwa in Wisconsin - dort unterlag der Republikaner mit rund 20.000 Stimmen seinem Herausforderer Joe Biden. Der Swing State Wisconsin vergibt immerhin zehn Wahlmänner. Und es sind 270, die ein Sieger für das Weiße Haus braucht.
Außerdem spricht sich das juristische Team um Trump dafür aus, dass in Pennsylvania - wo die Auszählung theoretisch noch läuft, nicht nur gestoppt wird, sondern auch die Deadline, bis wann die Wahlkarten eingelangt sein müssen, vor dem Gericht bekämpft wird. Auch im Bundesstaat Georgia sollen später eingelangte Wahlkarten von den anderen Stimmen abgesondert werden.
Mehr Briefwähler als Wähler in Wahllokalen
Das ist alles hochproblematisch und äußerst kompliziert. Eigentlich liegt die Wahlprozessordnung in der Hand des jeweiligen Bundesstaates - und den Bundesgerichten. In Ausnahmefällen befasst sich auch der nationale Oberste Gerichtshof mit solchen Fragen.
Und es könnte heuer wieder soweit sein. Bei der aktuellen Wahl zum US-Präsidenten wurden mehr Briefwahlkarten abgegeben, als Menschen in den traditionellen Wahllokalen gewählt haben. Das hat die US-Post überlastet. Und so haben manche Bundesstaaten beschlossen, ihre Deadline beim Auszählen zu verlängern. In einer umstrittenen Entscheidung des konservativ dominierten nationalen Obersten Gerichtshofs erklärte etwa der von Trump ernannte Oberste Richter Brett Kavanaugh kurz vor der Wahl, dass der Swing State Wisconsin Briefwahlkarten, die nach dem Wahltag einlangen, nicht mehr zählen darf. Demokratische Wähler sind überproportional bei den Briefwahlkarten vertreten.
In Pennsylvania hat der Supreme Court in einem spätern Urteil knapp vor der Wahl entschieden, dass die Deadline für das Eintreffen von Wahlkarten - vorerst - nach hinten verlegt werden darf. Es war eine brandgefährliche Entscheidung, denn der Supreme Court hat sich die Tür für eine Anfechtung dieser Deadline offen gelassen. Einer der obersten Richter, Samuel Alito, merkte zu der Entscheidung an: Es sei nicht mehr genug Zeit vor der Wahl, um sich eingehender damit zu befassen. Will heißen: Falls jemand das Ergebnis aufgrund der Deadline in Pennsylvania anfechten will, dem bleibt diese Tür weit offen.
Ungewissheit über Urteil
Ein Richter des Obersten Gerichtshofs von Washington D.C., Emmet Sullivan, hat unterdessen dem von Trump eingesetzten Chef des US-Postsystems, Louis DeJoy, gedroht, ihn vorzuladen. Sullivan, ein moderater Konservativer, kritisierte, dass die US-Post Briefwahlkarten aus einigen Gemeinden besonders langsam austrage. Am Dienstag hatte der Richter schon beantragt, dass in zwölf Distrikten die Postgebäude durchsucht werden sollen. Es wurden dabei um die 300.000 Wahlkarten gefunden, die bisher nicht für die Auslieferung markiert worden waren. Sullivan äußerte sich besorgt um eine verspätete Zustellung in Pennsylvania - nachdem in Washington D.C. viele Menschen arbeiten, die im benachbarten Pennsylvania gemeldet sind.
Scheint es nicht logisch, dass Wahlkarten, die rechtzeitig aufgegeben werden, auch gezählt werden? "Nach europäischem Rechtsempfinden schon", meint dazu der Verfassungsexperte Daniel Ennöckl, stellvertretender Institutsleiter am Wiener Juridicum. "Wenn der Staat dem Bürger die Möglichkeit einräumt, so zu wählen, müsste das respektiert werden." Aber wie der Supreme Court schließlich urteilen könnte, wenn er das letzte Wort hat, speziell nach seiner Entscheidung von 2000 (Gore vs. Bush), sei laut Ennöckl schwer zu sagen.
Viele Wahlkarten ungültig
Den Unterschied zur heimischen Rechtslage verdeutlicht der Verfassungsexperte anhand der vergangenen österreichischen Bundespräsidentenwahl im Mai 2016. Da lag am Abend des Wahltags Norbert Hofer vorne, erst durch die Auszählung der Briefwahlkarten wurde Alexander Van der Bellen als Sieger ausgerufen.
Trotzdem zählt auch in Österreich nicht jede Wahlkarte. "Es sind auch hierzulande viele abgegebene Wahlkarten ungültig. Denn regelmäßig vergessen die Menschen etwa die eidesstattliche Unterschrift auf dem Kuvert", so Ennöckl. Bei der Wahl im Wahllokal können solche Formalfehler nicht passieren.
Auch Demokraten hätten Möglichkeit zur Anfechtung
Auch in den USA machen Formalfehler die Stimme ungültig - aber was genau der Form nicht genügt, ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich und zum Teil offen für Interpretation.
Für die Demokraten tut sich unterdessen vielleicht auch eine juristische Flanke auf, um die Wahl anzufechten: Denn das Justizministerium schickte am Mittwoch bewaffnete Bundespolizisten in die Wahllokale, um die Auszählung der Stimmen zu überwachen. Eigentlich ist es in den USA verboten, dass bewaffnete Polizisten am Wahltag in der Wahlbehörde patrouillieren. Viele Juristen würden den Gesetzestext allerdings so auslegen, dass der gesamte Wahlprozess inklusive der Auszählung unter besonderem Schutz steht - und nicht durch waffentragende Polizisten eingeschüchtert werden sollen.
Hickhack um Lochkarten
Das sich nun ankündigende juristische Hickhack freilich ist nicht das erste in Amerikas Geschichte. In Erinnerung bleibt bis heute das lange Ringen, das sich Vizepräsident Al Gore und George W. Bush um die Präsidentschaft im Jahr 2000 lieferten. Der zunächst unterlegene demokratische Kandidat Gore hatte seinem republikanischen Konkurrenten Bush bereits zum Wahlsieg gratuliert. Doch dann verstärkten sich die Zweifel am äußerst knappen Wahlergebnis in Florida, das das Gesamtergebnis noch drehen hätte können. Es betrug weniger als 0,5 Prozent der Stimmen. Der Vizepräsident zog das Eingeständnis seiner Niederlage zurück, eine Nachauszählung begann, Bushs Vorsprung schmolz - auf nur noch 327 Stimmen. Die Demokraten beantragten daraufhin, in vier Bezirken in Florida Handauszählungen vornehmen zu lassen.
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Grund dafür war das fehleranfällige maschinelle Wahlsystem in Florida. Im Bezirk Palm Beach wurden Lochkarten als Stimmzettel verwendet, die mittels Zählmaschinen ausgezählt wurden. Die Zählmaschinen zählten aber nur vollständig ausgestanzte Löcher als gültige Stimmen. "Hanging chads", also Löcher, die unvollständig ausgestanzt waren, wurden von der Maschine nicht als gültig gewertet. Gore drängte deshalb auf eine händische Auszählung.
Gleichheitsgrundsatz verletzt
Bush klagte. Ein über einen Monat dauerndes juristisches Ringen begann, die sowohl das Oberste Gericht Floridas als auch den Supreme Court beschäftigte. Letzterer war es, der die Hängepartie schließlich beendete - mit einem umstrittenen Urteil: Am 12. Dezember, dem letzten dafür möglichen Termin, verfügte das Höchstgericht, die Handauszählung der über 60.000 maschinell nicht erfassten Stimmzettel sei verfassungsrechtlich problematisch. In Florida gebe es keine einheitlichen Standards, was die Auswertung der Stimmen betrifft - damit werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Weiters entschieden die Richter mit knapper Mehrheit, dass für eine Neuauszählung schlicht keine Zeit mehr sei. Bush wurde Präsident.
Ansehen der USA litt schwer
Trump ist heute aber in einer schwierigeren Lage als Gore 2000. Denn es geht um eine ganze Reihe von Staaten, in denen Trump das Ergebnis anzweifelt, und es ist ungewiss, ob das Oberste Gericht in sechs bis acht Staaten eingreifen kann.
Das umstrittene Urteil wie das fehleranfällige Lochkartensystem schädigten im Jahr 2000 das Ansehen der USA. Die Supermacht, eine Lehrmeisterin der Demokratie in der Welt, stand plötzlich wie ein Staat da, der selbst in Sachen Demokratie Lektionen bedarf. Auch das Ansehen des Höchstgerichts erhielt einen schweren Dämpfer. Das Urteil vertiefte jene Spaltung der US-Gesellschaft, die heute stärker denn je ist.