Drei österreichische Journalisten schildern ihre Erfahrungen im syrischen Krisengebiet.
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Wien/Damaskus. Tote bei Gefechten, Überläufer zur Opposition oder Ränkespiele zwischen Russland und westlichen Staaten im UNO-Sicherheitsrat: Im Minutentakt laufen Meldungen zu Syrien über das weltweite Netz der Nachrichtendienste; mehr als 7000 steuerte alleine die Austria Presse Agentur seit Ausbruch der Krise im März 2011 bei. In diesem Zeitraum wurden Schätzungen zufolge bereits mehr als 15.000 Personen getötet.
Abstrakte Zahlen, doch welche Situationen haben jene Journalisten erlebt, die tatsächlich vor Ort waren? Drei österreichische Journalisten schildern im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ihre Erfahrungen. "Mir schien, es ist eine soziale Revolution zwischen Arm und Reich in Gang, nicht ein Krieg zwischen Sunniten und Alawiten", erzählt Petra Ramsauer. Die gebürtige Vöcklabruckerin ist für die "Zeit" und die "Neue Zürcher Zeitung" tätig und verbrachte Ende April zehn Tage in Syrien. Damals bestand noch Hoffnung auf eine Umsetzung des Friedensplans des mittlerweile zurückgetretenen UNO-Vermittlers Kofi Annan - der auch Bewegungsfreiheit für Journalisten vorsah. "Das Regime behandelte mich daher wie ein rohes Ei", sagt Ramsauer.
"Rote Linie" Assad
Überrascht war die Journalistin von der Offenheit, mit der sogar Mitarbeiter des syrischen Informationsministeriums Missstände im Land ansprachen. Machthaber Bashar al-Assad wurde von der Kritik zwar ausgenommen, nicht aber dessen Bruder Maher und der im Juli bei einem Attentat getötete Schwager Assef Schawkat.
Kritik an ausufernder Korruption wurde auch Wieland Schneider bei seinem Aufenthalt im Juli ausführlich geschildert. "Doch niemand wagte, Assad offen zu kritisieren, das war eine rote Linie", berichtet der Außenpolitik-Redakteur der "Presse". "Man merkt auch schnell, welche Erzählungen authentisch sind." So wurden Schneider vom Informationsministerium Interviewpartner angeboten; er führte auch ein Gespräch mit dem Leiter des Militärkrankenhauses. Bei ihm war für Schneider "klar, dass er Anhänger des Regimes ist". Auch unter Christen finde Syriens Präsident noch immer viele Anhänger: In der von Orthodoxen bewohnten Altstadt von Damaskus herrsche Angst vor den Islamisten, so Schneider.
Eine Erfahrung, die auch "Profil"-Redakteur Martin Staudinger im Juni machte. Für ihn sei auch noch nicht sicher, auf welcher Seite die obere Mittelschicht stehe. Trotz der konfessionellen Muster des Konflikts warnt Ramsauer vor der "sozialromantischen Darstellung", alle Alawiten, die nur etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung stellen, stünden hinter dem Alawiten Assad und liebten den Präsidenten. Die Journalistin veröffentlicht im Herbst ihr Buch "Mit Allah an die Macht" (Verlag Ueberreuter), in dem sie sich mit der Rolle islamischer Bewegungen in der arabischen Welt sowie global auseinandersetzt.
Smartphone daheim gelassen
Nicht treffen wollten sich Staudinger und Schneider während ihres Aufenthalts mit Oppositionellen: "Ich möchte niemanden gefährden", sagt der "Presse"-Journalist. Außerdem habe er versucht, nicht zu viele Informationen bei sich zu tragen. Staudinger verzichtete gar auf sein Smartphone und reiste mit einem Wertkartenhandy nach Syrien. Im Land selbst hatte er mit dem Mobiltelefon Empfang, im Hotel bestand eine drahtlose Internetverbindung. Auch das Programm der BBC wurde dort nicht zensiert.
Die sprichwörtliche "Schere im Kopf" hätten hingegen Lokalbesitzer, wenn deren TV-Geräte laufen, schildert Ramsauer. Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes würden in Cafés kontrollieren, ob der in Katar beheimatete Sender Al-Jazeera über die Bildschirme flimmere. Das kleine Emirat zählt zu den erbittertsten Gegnern des Assad-Regimes und versorgt die Aufständischen mit Waffen.
Geschlossen sind die Lokale in der Hauptstadt trotz des Abdriftens in den Bürgerkrieg dennoch nicht: "Im Zentrum von Damaskus, das von den Kämpfen nicht betroffen war, sind die Leute im Café gesessen und haben als Hintergrundmusik die Einschläge gehört. Es war eine bizarre Situation", berichtet Schneider.
Groteske Szenen spielten sich auch während der UNO-Beobachtermission in Syrien ab, die aufgrund der verschärften Lage unterbrochen werden musste. "Journalisten warteten im Damaszener Hotel. Als die Beobachter losfuhren, ist eine Traube von Taxis, besetzt mit Medienvertretern nachgefahren", erzählt Staudinger mit einem Schmunzeln. Denn durch die Inspektionen konnten sich die Journalisten relativ frei bewegen und recherchieren.
Keine Angst, aber Vorsicht
Angst hat keiner der drei Befragten bei seinem Aufenthalt in Syrien verspürt. "Ich war fünfmal in Afghanistan, in Libyen, im Tschad und im Kongo", kalmiert "Profil"-Krisenberichterstatter Staudinger. Wichtig sei, das Risiko zu kalkulieren; so wählte er ein Hotel in der Innenstadt von Damaskus, die als vergleichsweise sicher galt. "Bedenke jeden Schritt dreimal", rät Ramsauer. Ein Journalist müsse immer überlegen, wie weit er gehen kann und wo die Grenzen liegen. Ramsauer ist eine erfahrene Reporterin und arbeitet nun als freie Journalistin. Gerade für diese - manchmal unerfahrenen Kollegen - sieht sie Gefahren: "Bei den großen internationalen Medien dürfen freie Journalisten nur in Krisengebiete, wenn sie ein Sicherheitstraining absolviert haben. Diese Kultur der Sicherheit scheint mir bei österreichischen Medien nicht so ausgeprägt."
Entsprechende Ausrüstung und Körperschutz zählen für sie zum Standard - auch wenn sie diesen bei ihrem Syrien-Aufenthalt nicht tragen musste. Aufgrund der möglichen Gefahr eines Giftgas-Angriffs durch das Regime hätte die Oberösterreicherin nun aber jedenfalls einen Schutzanzug mit im Gepäck.