Um die Wintersaison zu retten und deutsche Gäste nach Österreich zu locken, plädiert Ökonom Eric Heymann dafür, nicht pauschale Corona-Reisewarnungen für ganze Bundesländer auszusprechen, sondern kleinräumiger zu denken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Was bedeutet eine deutsche Reisewarnung für österreichische Skigebiete für den heurigen Winterurlaub der Deutschen?
Eric Heymann: Sollte es bei der Reisewarnung bleiben, käme das für manche Tourismusregionen in Österreich einem Lockdown gleich. Die momentane Regelung sieht vor, dass man fünf Tage in Quarantäne bleiben muss, wenn man aus einem Risikogebiet zurückkommt. Das werden nur wenige Urlauber in Kauf nehmen. Sie werden dann dort hingehen, wo es keine Reisewarnung gibt, oder zu Hause bleiben. Das bedeutet eine starke Fokussierung auf bestimmte Gebiete und erhebliche finanzielle Verluste für jene Regionen, die als Risikogebiete eingestuft werden. Dann ist die Frage, ob sich bei niedriger Auslastung für die Hotels das Öffnen überhaupt lohnt.
Im Sommer gab es in Österreich den dringenden Appell, Urlaub im eigenen Land zu machen. Wie ist das in Deutschland, zumal im Winter?
Wenn das Ziel ist, Skiurlaub zu machen, dann bieten sich innerhalb Deutschlands rein qualitativ nicht so viele Alternativen an. Die meisten Deutschen machen Skiurlaub im Ausland. Die deutschen Skigebiete könnten wohl auch gar nicht alle inländischen Skiurlauber aufnehmen. Jene, die normalerweise nach Österreich fahren, würden vielleicht auf Südtirol oder die Schweiz ausweichen, sofern es dort keine Reisewarnung gibt, wobei die Schweiz grundsätzlich teurer ist. Viele dürften einfach zuhause bleiben, wenn Österreich nicht geht. Die Winterferien sind auch nicht unbedingt eine Zeit, um sich Städte anzuschauen, ins deutsche Mittelgebirge oder an die Nord- oder Ostsee zu fahren. Und wenn gleichzeitig Flugreisen schwierig sind beziehungsweise die potenziellen Winterflugreisegebiete - kanarische Inseln oder Ägypten - als Risikogebiete gelten, dann wird das Geld gespart und auf eine Reise verzichtet.
Das ist natürlich alles hypothetisch, bisher sind ja Vorarlberg und Tirol mit Reisewarnungen belegt. Das kann sich noch ändern, aber ich kann mir vorstellen, dass einige Skiurlauber auch aus der Erfahrung des vergangenen Winters diesmal einfach kein Risiko eingehen wollen: das Schlangestehen am Lift, das gemeinsame Sitzen in der Gondel - auch wenn die Skigebiete ihr Möglichstes tun und Schutzkonzepte erarbeiten. Einen Teil der Gäste werden umgekehrt die Gastgeberländer vielleicht gar nicht hineinlassen, wenn im Herkunftsland die Infektionszahlen zu hoch sind. Auch dadurch sinkt die Auslastung. Wenn dann noch ein wichtiges Herkunftsland wie Deutschland eine Reisewarnung verhängt, wird es ganz schwierig.
Im Kleinwalsertal, das ja nur von Deutschland aus zugänglich ist und mit dem Infektionsgeschehen in Österreich also wenig zu tun hat, war das schön zu sehen: Da kamen, als eine Reisewarnung verhängt wurde, sofort die Stornierungen rein - und als sie aufgehoben wurde, wurde sofort wieder gebucht. Die Leute schauen sich also schon genau die Situation an.
Die kann sich natürlich bis Weihnachten noch ändern.
Natürlich. Ich glaube, die wenigsten, die jetzt verreisen wollen, haben Angst vor einer Infektion. Wer verreisen will, schätzt das Risiko, im Ausland zu erkranken, nicht höher ein als daheim bei einer Fahrt im ÖPNV oder beim Einkaufen. Aber der größte Teil wird auf die Reisewarnungen achten, weil der Aufwand, der damit einhergeht - Quarantäne und Corona-Test -, zu groß ist. Wenn diese Regelung beibehalten wird, wird ein großer Teil der Touristen nicht in die betroffenen Gebiete reisen.
Gibt es innerhalb Deutschlands Alternativen wie etwa Thermenurlaub?
Das ist eher eine tageweise Geschichte für diejenigen, die nicht verreisen wollen. Da fährt man kaum eine ganze Woche mit der Familie in ein Thermenhotel. Die Deutschen sind schon Wellnessgänger, und Sauna gehört zum Winterurlaub dazu, aber auch dort gibt es ja Kapazitätsbeschränkungen. Und auch dort haben manche Angst vor Infektionen.
Wie schätzen Sie da die Disziplin der Deutschen ein?
Zwar wird die Maskenpflicht grundsätzlich eingehalten. Aber es gibt offenbar teilweise auch eine gewisse Sorglosigkeit. Das zeigt sich daran, wo es viele Infektionen gibt: In Berlin und anderen Großstädten haben sie sicher mit dem Nachtleben zu tun. Wenn man von Lokal zu Lokal zieht, vielleicht auch die entsprechenden Standards mit erhöhtem Alkoholkonsum nicht so gut eingehalten werden, dann führt das zu erhöhten Infektionszahlen. Das sind vor allem jüngere Leute, die sich in diesem Umfeld infizieren. In Deutschland hat zum Beispiel eine Hochzeit ausgereicht, um einen ganzen Landkreis tagelang über der Obergenze zu halten. Das zeigt, wie schnell man über dieser Obergrenze liegen kann.
Es ist auch weniger die Frage, wo man sich aufhält, sondern wie man sich verhält. Wenn die Zugangsregelung zu den Liften gut gelöst ist, dann kann man auch ohne Angst Ski fahren. Ich werde mit meiner Familie auch auf Skiurlaub nach Österreich oder Südtirol fahren, sofern es keine Reisewarnung gibt. Aber wir können unsere Kinder nicht nach dem Urlaub eine Woche in Quarantäne daheim lassen. Bei einer Reisewarnung mit anschließender Quarantänepflicht würden wir also nicht fahren.
Wie ließe sich die Wintersaison retten?
Eine Hoffnung, die ich für den Skiwinter habe, ist, dass man wie im Falle des Kleinwalsertals regional noch stärker differenziert. Wenn zum Beispiel Tirol insgesamt über der Obergrenze liegt, aber tatsächlich zum Beispiel nur Innsbruck betroffen ist und das Stubaital, das Ötztal oder andere Skigebiete nicht, dass man dann noch etwas differenzierter hinschaut. Dazu bedarf es aber noch politischer Gespräche aller Beteiligten. Momentan werden noch alle über einen Kamm geschoren. Ich dürfte zum Beispiel nach Berlin, das über der Obergrenze liegt, ohne anschließende Quarantäne fahren, aber nicht nach Tirol.
Ich war übrigens selbst gerade in Südtirol auf Wanderurlaub. Dort sind die meisten aktiven Fälle in Bozen, Brixen und Meran - aber wir waren in einem Seitental, wo es einen einzigen Fall gab. Da hatte ich null Angst vor einer Infektion. Da ist die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion in der Frankfurter S-Bahn wohl größer. Deshalb könnte eine differenzierte Betrachtung eine Lösung sein. Dazu braucht es freilich den entsprechenden politischen Willen auf deutscher Seite, aber auch einer entsprechenden Dokumentation und eines Austausches seitens der Reiseziele.
Die Lösung lautet also Differenzierung?
Ja. Regionale Differenzierung gepaart mit mehr Tests. Gerade der Skiurlaub ist traditionell ortsgebunden, da ist man nur innerhalb des Skigebiets unterwegs, wo die entsprechenden Hygienemaßnahmen ohnehin eingehalten werden müssen. Natürlich bringen die hereinkommenden Touristen auch ein erhöhtes Infektionsrisiko mit. Aber es ist immer eine Abwägung zwischen faktischen Einschränkungen von Reisefreiheit und wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf der einen Seite sowie dem jeweiligen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Risiko auf der anderen Seite. Und wenn ein Tal Corona-frei ist, könnte man dort Leute mit einem negativen Test hineinlassen, auch wenn das Bundesland Tirol insgesamt als Risikogebiet gilt. Natürlich ist das auch aufwendig und schreckt vielleicht auch wieder Leute ab, aber es ist alles besser als zu sagen: Lassen wir es dieses Jahr komplett ausfallen.
Letztlich muss man sich vergegenwärtigen, dass am Tourismus viel Geld dranhängt. Für diejenigen, die keinen Urlaub machen können, ist es zwar ärgerlich, aber die Welt geht davon nicht unter, und sie sparen sich die Ausgaben. Aber für die jeweiligen aufnehmenden Regionen wäre es gerade in den betroffenen Tälern, wo der Tourismus 50, 60 Prozent oder noch mehr der gesamten Wirtschaft ausmacht, eine Katastrophe, wenn die Saison ausfiele. Man kann, wenn man darüber nachdenkt, Lösungen finden, dass man sagt: Wir sind zwar formal ein Risikogebiet, aber es gibt eine Unterscheidung innerhalb des Bundeslandes. Und wir wollen das Risiko, dass uns die Touristen das Virus bringen, reduzieren. Man könnte auch Schnelltests bei der Abreise anbieten, sodass Reisende nicht in Quarantäne gehen müssten. Aber auch dazu bedarf es des politischen Willens.
Welche Auswirkungen haben Reisewarnungen für Österreich auf die deutsche Wirtschaft?
Im Winter tun die so gut wie niemandem weh. Es wird sogar mehr Geld daheim ausgegeben, wenn man nicht verreist. Die meisten Skiurlaube werden ja auch klassischerweise nicht über Reiseveranstalter gebucht. Man fährt zudem mit dem Auto hin, weshalb es auch bei der Bahn oder im Luftverkehr keine negativen Effekte gäbe. Es kauft sich auch kaum jemand jedes Jahr neue Ski und Ausrüstung. In Summe wäre die Wertschöpfung in Deutschland also wenig betroffen. Reisewarnungen sind dann eher für Unternehmen ein Problem, die regelmäßig Mitarbeiter ins Ausland schicken, etwa um dort Maschinen zu warten.
Wer profitiert davon in Deutschland?
Die deutschen Skigebiete sind in der Hauptsaison ohnehin gut gebucht und haben bei guter Schneelage in der Regel kein Auslastungsproblem. Grundsätzlich kann man nur dann ein Umsatzplus generieren, wenn man überhaupt freie Kapazitäten hat. Das hat man im heurigen Sommer gesehen. Die Küstenregionen und die Hotspots in den Bergen in Deutschland sind in der Hochsaison ohnehin an der Kapazitätsgrenze. Mehr Urlauber können dann kaum aufgenommen werden. Ein Umsatzplus lässt sich dann zwar über höhere Preise erzielen, aber damit vergrault man die Stammkundschaft. Außerhalb der Tourismuswirtschaft können manche Sektoren profitieren. Es kann natürlich sein, dass man, wenn man ohnehin Urlaub nehmen muss, vielleicht einmal mehr nett essen geht und sich etwas gönnt. Die Fahrräder waren heuer in Deutschland weitgehend ausverkauft, auch der Absatz von Fitnessgeräte ging nach oben. Da wurde der eine oder andere nicht im Urlaub ausgegebene Euro anderweitig ausgegeben. Das sieht man auch im deutschen Einzelhandel, der 2020 im Corona-Jahr ein Plus verzeichnen wird - weil eben auch Millionen Menschen ihr Geld daheim ausgegeben haben. Eventuell haben auch Destinationen in Nischen vom Ausfall der Hauptreiseziele profitiert: Reiseziele, die nicht so im Rampenlicht stehen und die man in "normalen Zeiten" nicht besucht hätte, aber sich heuer einmal angeschaut hat. Und wenn es dort schön war, dann fährt man vielleicht später noch einmal dorthin.
Also verlieren insgesamt mehr Leute, als gewinnen.
Im Sommer ja. Da kann man die Beschäftigten in Tourismusbetrieben in Deutschland gegenüber den Beschäftigten bei den Reiseveranstaltern aufwiegen. Jedenfalls sind die Reiseveranstalter stärker von Ausfällen betroffen, als der innerdeutsche Tourismus Umsatzzuwächse verbuchen konnte. Und es kommt ja auch im Winter keine Entlastung dazu. Und was den Sommer 2021 betrifft, halten sich auch noch viele potenzielle Urlauber zurück. Das führt zu hohen Unsicherheiten und auch zu hohen Kosten auf Veranstalterseite, wenn man nicht weiß, wie viele Flüge und Hotels man für die nächste Saison einplanen kann.
Was machen die deutschen Saisonniers in Österreich, wenn die Saison ausfällt?
Sie suchen nach Alternativen. Wenn die ohne die Arbeit in Österreich wären und keinen Job in anderen Bereichen finden, dann werden sie vom deutschen Sozialsystem aufgefangen. Letztlich wird es aber bei den Betroffenen einiges an persönlichen finanziellen Einbußen geben.