Zum Hauptinhalt springen

MAN Steyr: "Potenzial haben wir"

Von Anna Kindlmann

Wirtschaft

Auch wenn der Investor Wolf das Werk rettet: Teile der Belegschaft sind nach wie vor verunsichert - eine Reportage.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Blickt man auf dem Ennssteg in Steyr nach Nordosten, verschwimmen die Farben der historischen Innenstadt mit jenen des Enns- und Steyr-Flusses. Und im Hintergrund rauchen die Fabrikschlote. Über den Bahnhof führt ein Weg direkt zum Werksgelände, riesige Lkw mit der Aufschrift "MAN" queren das Blickfeld.

MAN - das ist für Steyr neben der BMW-Motorenfabrik einer der beiden Schlüsselbetriebe der oberösterreichischen Industriestadt. Als im vergangenen September Schließungspläne für das MAN-Werk angekündigt wurden, war das buchstäblich wie ein "Schlag ins Gesicht". Rund 2.300 Beschäftigte wären im Zuge eines konzernweiten Sparprogrammes der deutschen Mutter vom Zusperren betroffen gewesen.

Es folgten dann Monate der Unsicherheit, ehe MAN in München von seinen Plänen abrückte und schließlich dem österreichischen Investor Siegfried Wolf, einem von mehreren Interessenten, den Zuschlag für das Werk erteilte. Wolf, einst Chef des Autozulieferkonzerns Magna, einigte sich vor wenigen Wochen mit dem Betriebsrat auf ein verbessertes Angebot, Anfang April war er noch mit seinem ersten Übernahmeangebot bei der Belegschaft abgeblitzt.

"Stimmung ist nicht optimal"

Trotz der Einigung mit Wolf ist die Stimmung gegenüber ihn unter den Arbeitnehmern geteilt. In Eile, schon die Werkshalle vor Augen, laufen Früh- und Nachmittagsschichtler über die Parkplätze. Ihre Gesichter spiegeln Unterschiedliches wider. "Die Stimmung in der Belegschaft ist nicht optimal. Wir warten jetzt auf den Abschluss der Verträge", sagt ein Arbeiter. Ein anderer wiederum betont mit bedrückter Stimme: "Ich habe das Gefühl, hier wird ein Stück Geschichte zerschlagen."

Ganz unbegründet ist diese Einschätzung nicht. Denn die Entwicklung und Produktion von Nutzfahrzeugen in Steyr hat eine mehr als hundertjährige Tradition. Wenn man in Steyr von Autoindustrie spricht, kann man jedoch nicht ihre Vorgängerin, die Waffenindustrie, und auch deren Vorgängerin, die Eisenverarbeitung, unerwähnt lassen. 1916 übersiedelte die von Josef Werndl gegründete Waffenfabrik ÖWG auf die Plattnergründe im Osten Steyrs über dem Ennsdorf. Die von der Weite sichtbaren Schlote sind ein Wahrzeichen der Stadt geworden. Mit der Einstellung der Rüstungsproduktion musste auch das Personal reduziert werden. 1926 wurde die ÖWG zur Steyr-Werke AG und 1934 schließlich zur Steyr-Daimler-Puch AG. Bekannte Beispiele für damals hergestellte Autos sind der Steyr XII und der Typ 50/55, auch "Steyr Baby" genannt. Nach 1945 wurden die Steyr-Werke, die im Zweiten Weltkrieg wieder mit in der Rüstungsproduktion tätig waren, mit der Fertigung von Traktoren und Lkw zum Arbeitsplatz für Tausende. Ab 1987 wurden dann verschiedene Sparten des Unternehmens an internationale Konzerne verkauft. Die Lkw-Produktion übernahm MAN.

Am Produktionsstandort von heute sind die Wände der Bürogänge mit Fensterglas versehen, sie geben Blicke in die Werkshalle frei. Arbeits- und Verkehrsgeräusche wummern durch den Raum. Die Produktion in diesem Jahr läuft gut. Im Betriebsrat spricht man sogar davon, heuer noch weitere Mitarbeiter einzustellen, um dem Mutterkonzern in München beim Abarbeiten von Aufträgen auszuhelfen.

"Es wäre das Worst-Case-Szenario geworden, wenn der Deal mit Wolf gescheitert wäre - nicht nur für die Stadt, sondern für die gesamte Region", betont Steyrs Bürgermeister Gerald Hackl. Nach der Einigung mit Wolf sei ihm "ein Stein vom Herzen gefallen". Es sei ein guter Tag für Steyr und die gesamte Industrie-Region gewesen, so der Stadtchef.

Wer geht, wer bleibt?

Nichtsdestotrotz sieht Investor Wolf in seinen Plänen vor, nicht alle, sondern nur 1.250 Beschäftigte zu übernehmen - plus 150 für eine Forschungsstiftung. Für 600 Personen soll es einen Sozialplan geben. "Wenn es 600 Freiwillige gibt, dann haben wir ja kein Problem, dann geht sich das alles aus", erklärt Helmut Emler, Chef des Arbeiterbetriebsrates. "Was tun wir aber, wenn es nur 300 sind, die gehen möchten, oder wenn es 900 sind? - Dafür brauchen wir ein klares Regelwerk, um die Entscheidungen zu treffen. Daran arbeiten wir gerade."

Für die ältere Belegschaft biete sich ein Altersteilzeitmodell an, so Emler weiter. Für die Jüngeren gebe es das Modell der offenen Arbeitsstiftung. "Diese ermöglicht Fortbildung und Umqualifizierung", erklärt der Arbeitnehmervertreter. "Es gibt aber auch solche, die sagen, sie würden ohnehin gerne etwas anderes machen."

Im vergangenen Jahr stand oft der Vergleich von Steyrs Zukunft mit dem Schicksal der ehemaligen Autoindustriestadt Detroit im Raum. Detroit war früher einmal Sinnbild für den wirtschaftlichen Aufstieg durch die Autobranche, von deren Zusammenbruch hat sich die US-amerikanische Stadt bis heute nicht erholt. "Wenn MAN Steyr zugesperrt hätte, dann hätte man Steyr vielleicht wirklich mit Detroit vergleichen können", meint Thomas Kutsam, Chef des Angestelltenbetriebsrats. "Es gibt aber in Steyr genug Firmen, die ausbauen und auch Leute aufnehmen", sagt indes Emler.

In wenigen Wochen werden alle Betriebsvereinbarungen abgeschlossen sein, der Standort ist dann im Besitz von Wolf. Für MAN produziert werden soll aber noch bis Mai 2023. Mit Wolf kommen neue Produktionen - und die Option eines neuen Firmennamens.

"Das waren jetzt gute 30 Jahre MAN Steyr, und nun muss man schauen, wie sich die Zukunft entwickelt", sagt Kutsam. Die Mobilitätswende verlange sowieso Veränderung in der Autoindustrie. Elektrofahrzeuge seien am Standort Steyr bereits gebaut worden, deshalb bestehe auch das nötige Fachwissen für die Zukunft, so Kutsam. "Das macht auch den Standort Steyr so wichtig für die Industrie, weil sehr gut ausgebildete Fachkräfte da sind", ergänzt Emler.

Unterstützung erwartet

Zwar bringe das Werk unter Wolf viele Umstellungen, doch die könnten für die Stadt Steyr sogar besser sein als unter MAN, meint Emler. Ein Großkonzern wie MAN könne auf die heutigen Herausforderungen oft gar nicht so rasch reagieren. "Wir können als kleine Einheit wahrscheinlich viel besser Elektrofahrzeuge produzieren, weil die Entscheidungen in einem Großkonzern einfach durch viele Instanzen getroffen werden", sagt Kutsam. "In einem kleineren Betrieb geht das viel schneller." Von der Politik erwarte sich die Belegschaft jedenfalls volle Unterstützung. Schließlich gehe es nicht nur um die Jobs im Werk, sondern auch um dessen volkswirtschaftliche Bedeutung für die Region.

Beim Verlassen des Werksgeländes wird man wieder von Lastkraftwagen überholt. Der Geruch von Diesel liegt in der Luft. Ob und wie sich die Industrielandschaft in Steyr verändert, wird die Zukunft zeigen. "Potenzial haben wir", ist man sich im MAN-Werk einig.