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"Man will alles schnell und sofort - auch Veränderung"

Von Petra Tempfer

Politik

Warum Sebastian Kurz mit dem Versprechen einer Veränderung gerade jetzt punkten konnte.


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Wien. "Zeit für Neues": Mit diesem Slogan ist ÖVP-Chef Sebastian Kurz in den Wahlkampf gezogen. Schon die Erstellung der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" im Mai, der Farbwechsel vom tristen Schwarz zum hippen Türkis sollten Veränderung versprechen. Der allgemeine Wunsch nach etwas Neuem, nach dem Aufbrechen alter Muster dürfte Kurz schließlich bei der Nationalratswahl am vergangenen Sonntag mit zum Sieg verholfen haben. Die ÖVP erreichte laut vorläufigem Ergebnis 31,5 Prozent. Warum dieser Wunsch gerade jetzt derart groß zu sein scheint und man daher mit aggressiver Politik einfacher vorankomme als mit konstruktiver, erklärt die Kommunikationswissenschafterin Katharine Sarikakis, die sich mit politischer Philosophie beschäftigt, im Interview mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Seit 1945 stellte die SPÖ in 16 von 29 Bundesregierungen den Bundeskanzler - Christian Kern dürfte nach dem zweiten Platz der SPÖ (vorläufiges Ergebnis: 26,9 Prozent) bei der Nationalratswahl als kürzestdienender Kanzler der Zweiten Republik in die Geschichte eingehen. Warum konnte Kurz mit seinem Versprechen von Veränderung so erfolgreich punkten?

Katharine Sarikakis: Wenn eine Abmachung nicht wie erwartet funktioniert, will man Veränderung. Diese Abmachung schafft man grundsätzlich durch jede Wahl, mit ihr schließen Bürger und Staat einen Sozialvertrag ab: Ich gebe Dir die Macht, und Du verhilfst mir zu Wohlstand.

Wenn dieses Versprechen ins Wanken gerät und derjenige, der an der Macht ist, keine sofortige Lösung parat hat, dann schlittert eine Gesellschaft in die Krise. Aktuell ist das vor allem durch das Flüchtlingsthema passiert.

Dadurch wurde die Angst vor Terror geschürt, die Angst, die Identität und das Land zu verlieren, man befürchtete eine Invasion. Kern setzte dabei auf langfristige Programme, um das Problem in den Griff zu bekommen, während Kurz mit der Schließung der Mittelmeerroute eine harte Linie in der Migrationsfrage propagierte. Teil zwei seines Wahlprogramms, in dem er sich unter anderem für einen Wechsel von der Schulpflicht zur Bildungspflicht und Deutschklassen aussprach, hieß "Aufbruch und Wohlstand".

Es ist immer einfacher, aggressiv in der Politik voranzukommen als konstruktiv, weil die Wähler dabei weniger denken müssen. Die ÖVP hat genauso wie die FPÖ und auch die Neos versucht, eine negative Wahlkampagne zu führen: Also aufzuzeigen, was alles schlecht und unfair ist, und damit zu punkten. Diese Strategie ist eigentlich uralt.

Hätte es Kern in der Opposition dadurch leichter?

Die Opposition hat es immer leichter, weil sie bei der Umsetzung ihrer Themen nicht auf die Probe gestellt wird. Mit der Opposition sympathisiert man und solidarisiert man sich viel schneller. Vielleicht will die FPÖ daher (vorläufiges Ergebnis: 26 Prozent, Anm.) ja gar nicht in die Regierung.

Dieser Wunsch nach Veränderung, das unzufrieden Sein mit der aktuellen Politik: Ist das nicht ein Wesenszug, der der Gesellschaft grundsätzlich anhaftet - egal, welche Parteien gerade in der Regierung sitzen?

Heute sehe ich diesen Wunsch deutlicher als früher, weil er viel mit Werten zu tun hat. Früher hat man eher ältere Menschen mit Erfahrung gewählt. Unsere heutige Gesellschaft mit Social Media und Internet wird immer schnelllebiger, sie ist aufs Neue, Junge fokussiert. Man will alles schnell und sofort. Auch die Veränderung.

Haben die Menschen tatsächlich Veränderung gewählt?

Grundsätzlich sieht man in ganz Europa die Tendenz, dass junge Männer die "alten Dinosaurier" ersetzen. In Frankreich Emmanuel Macron (der 39-Jährige ist seit 14. Mai 2017 Staatspräsident Frankreichs, Anm.) und in Österreich der 31-jährige Sebastian Kurz. Deren Politik ist aber nur scheinbar progressiv. Es sind alte Ideen mit frischen Gesichtern.

Macron bekommt den Widerstand bereits zu spüren, Hunderttausende protestierten gegen seine Arbeitsmarktreform. Und die Wahlkampf-Themen der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei", zu denen zum Beispiel eine Lohnsteuersenkung und "Mindestsicherung light" gehörten, ähnelten ebenfalls jenen der "alten" ÖVP.

War die Nationalratswahl in Österreich eine Protestwahl?

Das würde ich so nicht sagen. Die SPÖ hat ihre stabile Basis von mehr als 25 Prozent der Wählerstimmen gehalten. Die ÖVP und die FPÖ haben das Flüchtlingsthema genutzt. Daraus resultiert, dass die SPÖ nicht mehr da ist, wo sie einmal war.

Katharine Sarikakis ist seit 2011 an der Universität Wien als Universitätsprofessorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft tätig. Die Arbeit der gebürtigen Griechin ist geprägt von der politischen Philosophie. Ihr Fokus liegt auf der Analyse politischer Prozesse sowie den politisch-ökonomischen Dimensionen nationaler und globaler Media Governance.