Zum Hauptinhalt springen

Manfred Weber kritisiert Macrons EU-Schelte

Von Walter Hämmerle

Politik

Im Interview spricht EVP-Fraktionschef Manfred Weber über Macrons Europa, das Vorbild Kurz und die "Feinde" von der AfD.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Spitzen der Europäischen Volkspartei (EVP) treffen sich am Mittwoch und am Donnerstag in Zagreb, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Einziger Kandidat für die Nachfolge des Franzosen Joseph Daul ist der Pole Donald Tusk, der scheidende EU-Ratspräsident. Kein Thema wird die Frage eines Ausschlusses der derzeit suspendierten ungarischen Regierungspartei Fidesz sein. Eine Kommission, der unter anderem auch Österreichs Alt-Kanzler Wolfgang Schüssel angehört, hat ihren Bericht noch nicht abgeschlossen.

In Zagreb mit dabei ist auch Manfred Weber. Die "Wiener Zeitung" traf den einflussreichen EVP-Fraktionschef im EU-Parlament in Brüssel zum Interview.

"Wiener Zeitung": Herr Weber, wann wird die neue EU-Kommission mit Ursula von der Leyen an der Spitze endlich ihr Amt antreten?Manfred Weber: Mit 1. Dezember; ich bin sehr zuversichtlich, dass es klappen wird.

Was macht Sie so sicher?

Die Debatten der vergangenen Tage. Es ist ein breiter Wille da, dass wir zu arbeiten beginnen. Das erwarten auch die Menschen von uns.

Dass London sich weigert, einen britischen Kommissar zu nominieren, ist für Sie keine unüberwindliche rechtliche Hürde?

Großbritannien ist in einer Sonderrolle. Ich verstehe, dass jemand, der austreten will, jetzt nicht noch einen neuen Kommissar bestellt. Und dieses Problem lässt sich rechtlich lösen. Am einfachsten wäre, wenn der Rat mit einem Sonderbeschluss die Möglichkeiten des Lissabonner Vertrags nutzt, sodass die Kommission auch mit einem Kommissar weniger starten kann.

Europa stehe am Abgrund, hat Frankreichs Präsident Macron der EU attestiert. Teilen Sie diese Diagnose?

Wenn man von einem Abgrund spricht, erzeugt das vor allem Angst. Ich dagegen schöpfe Kraft und Zuversicht aus dem großen Demokratie-Fest im Mai, als über 200 Millionen Bürgerinnen und Bürger an der EU-Wahl teilgenommen haben. Ich finde diesen negativen Ton nicht gut, mir wäre lieber, wenn wir Lust auf Zukunft machen würden. Wo Emmanuel Macron recht hat, ist, dass wir Europäer vor großen Aufgaben stehen: Wir müssen unsere Industrien zukunftsfest machen, den Klimawandel bekämpfen und die Migrationsströme kontrollieren. Was wir aber vor allem benötigen, ist ein europäisches Bewusstsein. Die Menschen müssen wissen, dass wir einen "European Way of Life" und von dem abgeleitete gemeinsame Werte haben, die es auch zu verteidigen gilt.

Gemeinsame Werte beschwört man meistens dann, wenn diese besonders umkämpft sind. Was fällt für Sie unter diese "europäischen Werte"?Ich hatte in den vergangenen zwölf Monaten das Privileg, als Spitzenkandidat meiner Partei quer durch die Union zu reisen. Da bekommt man ein Gefühl, was den Menschen wichtig ist, und zwar allen. Und alle Europäer, im Süden wie im Norden, im Westen wie im Osten, wollen zum Beispiel eine Krankenversicherung und soziale Marktwirtschaft; in den USA wird immer noch wegen Obama-Care gestritten. Auch das Verbot der Todesstrafe ist für uns selbstverständlich; wir haben Demokratie und Rechtsstaat, die Gleichberechtigung von Mann und Frau; und wir halten die Freiheit der Meinungen und der Presse hoch. Diese Kombination von Werten gibt es so nicht noch einmal auf der Welt.

Macron begnügt sich nicht mit seinem Amt als französischer Präsident, er will für die gesamte EU sprechen und so inszeniert er sich auch. Ist er auch für Sie die tragende Stimme Europas?

Macron ist als Person ein überzeugter Europäer; es ist gut, dass so eine Persönlichkeit im Pariser Elysee-Palast sitzt und die EU voranbringen will. Die Herausforderung für ihn besteht darin, das Miteinander in der Union zu suchen. Es gibt nicht nur einen Weg, die EU voranzubringen, sondern auch andere. Ich würde mir von Macron wünschen, dass er noch stärker den Dialog ins Zentrum rückt, denn der Wille von allen Partnern ist da. Das gilt vor allem für die europäische Volkspartei. Wir sind mit den Sozialdemokraten die Gründungspartei der Europäischen Integration und wir wollen mit allen neuen Kräften ihre Zukunft gestalten. Aber das geht eben nur miteinander.

Noch-Ratspräsident Donald Tusk soll in Zagreb zum Nachfolger Joseph Dauls als EVP-Chef gewählt werden. Daul kennen nur Insider, mit Tusk übernimmt ein profilierter Politiker. Was ist die Rolle des EVP-Präsidenten?

Joseph Daul hat in einer für die EVP extrem schwierigen Phase im Hintergrund die Fäden gezogen, indem er in einer Schwächephase der großen Volksparteien die EVP stabilisiert und zusammengehalten hat. Auf Donald Tusk wartet jetzt die Herausforderung, die Partei gegen den Angriff der Rechtspopulisten und Extremisten beherzt anzupacken. Als überzeugter Christdemokrat und Europäer, der zweimal zum polnischen Premier gewählt wurde und seit 2014 ein erfolgreicher Ratspräsident ist, hat er die besten Voraussetzungen für diese Aufgabe. Es geht darum, die Menschen für die demokratische Mitte zurückzugewinnen. Europa braucht jetzt das, was im September auch in Österreich Sebastian Kurz mit seiner Volkspartei gelungen ist, indem die politische Mitte Stimmen von Rechtsaußen wieder ins Zentrum zurückgeholt hat.

Ist Kurz also ein europäisches Vorbild?

Sebastian Kurz ist ein erfolgreicher EVP-Politiker, und die neue ÖVP hat aufgezeigt, wie ein erfolgreicher Weg für die EVP aussehen kann. Entscheidend ist dafür die klare Abgrenzung zu den Extremisten, gerade was Antisemitismus und Europa angeht. Deshalb halte ich seinen Beitrag auch für zentral. Kurz ist es gelungen, mit einem klaren Profil die Menschen wiederzugewinnen.

Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen, hätte Kurz nicht eine umstrittene Koalition mit der FPÖ gebildet. Ist eine solche taktische Allianz mit den Rechtspopulisten also ein legitimes Mittel zum Zweck für die EVP?Die Grundlagen müssen klar sein, und in der Koalitionsvereinbarung von 2017 zwischen ÖVP und FPÖ waren sie klar. Aber hier hat jedes Land und jede Region eigenen Bedingungen und Traditionen. In Österreich hat ja auch die SPÖ mit der FPÖ koaliert, und tut das regional noch immer. Die rote Linie für die EVP ist die Einhaltung der Grundwerte.

Solange die roten Linien halten, müsste dann auch die AfD ein potenzieller Partner für die CDU/CSU sein.

Nein.

Warum nicht?

Die AfD ist im Kern eine rechtsradikale Partei, das ist offensichtlich, deshalb wird sie auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Hier gibt es keine Zusammenarbeit. Wer bei Neonazis und Pegida-Märschen mitmacht, der stellt sich selbst außerhalb der demokratischen Grundordnung. Solche Kräfte sind für die CDU und CSU nicht nur Gegner, sondern Feinde, und die AfD steht für mich klar außerhalb des Grundgesetzes.

Ist eine Koalition mit den Grünen für die Christdemokratie ein zukunftsweisendes politisches Projekt?

Diese Option kann durchaus eine Aufgabe erfüllen, die Politik immer hat: nämlich Wunden in einer Gesellschaft zu schließen und Gegensätze zu versöhnen. Etwa die Frage der Produktion von Lebensmitteln mit dem Tierwohl und moderne Mobilität mit dem Ziel, den Industriestandort zu erhalten. Es ist Aufgabe von Politik, solche verschiedenen Lager zusammenzubringen und, wenn möglich, zu versöhnen; Schwarz-Grün bietet hierfür durchaus interessante Denkansätze, um eine auseinanderstrebende Gesellschaft zusammenzuhalten. Klar ist aber auch, die Grünen haben nicht die besten Antworten. Sie sind ein Mitbewerber. Unser Weg zur CO2-Reduktion führt nicht über Verbote und Steuererhöhungen, sondern über Anreize und Innovationen.

In der CDU ist der Streit um die Nachfolge von Kanzlerin Merkel wieder ausgebrochen. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer wird, kaum ein Jahr im Amt, wieder in Frage gestellt.

Mein Eindruck ist, dass die Debatte der letzten Wochen einen heilsamen Schock in der CDU bewirkt haben. Allen ist bewusst geworden, dass wenn das so weitergeht, dann wird die Union als Ganzes schwer beschädigt. Deshalb sehe ich jetzt den Willen, zu den Themen zurückzukehren. Annegret Kramp-Karrenbauer wurde vor einem Jahr zur CDU-Chefin gewählt und weitere Personalentscheidungen stehen jetzt nicht an.

In der deutschen Koalition von Union und SPD knirscht es. Zu Jahresende steht die bisherige Bilanz auf dem Prüfstand. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SPD, die derzeit eine neue Führung sucht, den Absprung sucht.

Im Moment sehe ich wieder viele stabilisierende Kräfte: Die Einigung auf die Grundrente, die Entscheidungen zum Klimapaket und einige andere Weichenstellungen zeigen, dass die Regierung handlungsfähig ist. Wenn die beiden Parteitage dann auch noch Stabilität für CDU und SPD bringen, ist auch ein neuer Aufbruch für die Koalition möglich. Ich bin überzeugt, dass die Bürger dies auch wollen; die haben genug von Person- und Strategiedebatten, die wollen, dass gearbeitet wird. Das gilt für Europa, für Österreich und auch für Deutschland.