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Manipulationen bei Türkei-Wahl befürchtet

Von Martyna Czarnowska aus Ankara

Politik

Gesetzesänderungen, ungleiche Berichterstattung, aufgeheizte Atmosphäre: Beim Votum am Sonntag sind Beobachter in Alarmbereitschaft.


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Im Ausland sind die Stimmen abgegeben. Mehr als drei Millionen Türken waren dort aufgerufen, über den Präsidenten und das Parlament in ihrem Heimatland zu votieren; gestern, Dienstag, ist die Frist dafür abgelaufen. In der Türkei selbst findet der Urnengang am Sonntag statt - und das in einer aufgeheizten Atmosphäre.

Recep Tayyip Erdogan kämpft nach gut 20 Jahren an der Regierungs- und Staatsspitze darum, als Präsident bestätigt zu werden. Doch in Umfragen ist ihm Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu auf den Fersen. Schon wird darüber spekuliert, ob eine mögliche Machtübergabe reibungslos funktioniert oder ob es zu Ausschreitungen kommen könnte. Vorsicht ist laut Beobachtern aber auch schon davor geboten. Es gibt nämlich Befürchtungen zu eventuellen Wahlmanipulationen. Zum einen sind Erdogan und seine Regierungspartei AKP in der medialen Berichterstattung im Vorteil. Das öffentliche Fernsehen ist unter politischer Kontrolle, unabhängige Zeitungen wurden teils eingestellt, etliche Journalisten verhaftet.

Zum anderen sind hunderttausende Wähler von den knapp 61 Millionen Berechtigten nicht registriert. Nach den Erdbeben im Februar sind hunderttausende Menschen obdachlos geworden; an die drei Millionen Personen haben die betroffenen Regionen verlassen. Wollten sie woanders wählen, hätten sie sich dort registrieren müssen - getan haben das aber nicht einmal 150.000 Wähler. Ob all die anderen für das Votum in ihre Provinzen zurückkehren, ist unklar - und ob mit ihren Stimmen nicht Missbrauch getrieben werden könnte, ebenso.

Für Osman Isci ist das ein klares Verschulden des Staates. "Es läge in der Verantwortung der Behörden, sich darum zu kümmern, dass sich die Menschen registrieren - oder diesen den Transport in ihre Städte zu organisieren", sagt das Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation IHD (Insan Haklari Dernegi). Die prangert nicht nur Menschenrechtsverletzungen an und versucht, politisch Verfolgten, Opfern von Folter und staatlicher Unterdrückung zu helfen, sondern beobachtet nun auch den Wahlprozess.

Dabei hat Isci massive Einwände. Nicht nur das Wahlsystem und die Zusammensetzung der obersten Wahlbehörde wurden geändert, was die Möglichkeiten politischer Einflussnahme erhöhe. Ebenso wurden Medien aus der Verpflichtung entlassen, proportional über alle zur Wahl antretenden Parteien zu berichten. Hinzu komme die aufgeheizte Stimmung.

Knapper Ausgang erwartet

"Die aggressiver werdende Atmosphäre, die Gesetzesänderungen, die mediale Präsenz oder Nicht-Präsenz: All das erhöht das Risiko, dass es zu Wahlmanipulationen kommen könnte", meint Isci. "Daher werden wir beobachten, Leute mobilisieren und Missstände dokumentieren."

Neben inländischen Wahlbeobachtern, zu denen auch die Organisation Oy ve Ötesi zählt, werden auch ausländische anwesend sein. Dagegen, dass die Türkei Einfluss auf die Zusammenstellung der Delegationen nehmen will, protestierte zuletzt die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Denn die Regierung in Ankara hat zwei skandinavischen Beobachtern die Einreise verboten. Mit Schweden liefert sie sich Scharmützel um die Auslieferung von Personen, denen sie Terrorunterstützung vorwirft.

Selbst wenn mögliche Unsicherheiten einige hunderttausende Stimmen betreffen, können diese bei einem knappen Wahlausgang entscheidend sein. Ebenso wie es die Stimmen der Auslandstürken sein können. Deren Wahlbeteiligung überstieg immerhin 50 Prozent. In Österreich wurde eine Rekordbeteiligung von über 56 Prozent gemeldet.