Forscher untersuchten den Arbeitsprozess der Gene in beiden Geschlechtern.
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Cambridge/Wien. Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken - ein Buchtitel, der auf seine ganz eigene Art wohl mehr als deutlich zum Ausdruck bringt, dass Geschlechterunterschiede die Realität sind. Schon lange weiß die Wissenschaft, dass die Differenzen nicht nur im Aussehen und Verhalten zu finden sind, sondern auch in gesundheitlichen Belangen. Medikamente wirken bei Männern und Frauen unterschiedlich, Krankheiten manifestieren sich geschlechtsspezifisch. So erleiden etwa Männer häufiger einen Herzinfarkt, Frauen sterben allerdings öfter daran. Wiederum sind Frauen häufiger von depressiven Erkrankungen betroffen, Männer verüben jedoch öfter Suizid. US-Forscher haben nun herausgefunden, dass sich sogar die Genexpression in den einzelnen Organen unterscheidet - also wie die genetische Information umgesetzt und schließlich für die Zelle nutzbar gemacht wird.
Nackte Realität wird ignoriert
"Wir arbeiten mit einer Art Unisex-Blick auf die menschliche Biologie und ich denke, damit ignorieren wir die nackte Realität", erklärt der Genetiker David Page, Direktor des Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge. Und wenn Wissenschafter versuchen, den erkennbaren Unterschieden auf den Grund zu gehen, erfolge dies nahezu ausschließlich mit dem Fokus auf eine Krankheit gerichtet. Doch um molekulare Differenzen ausfindig machen zu können, müsse der Blick viel tiefer gerichtet werden - nämlich bis in die Arbeit der Gene in einzelnen Organen, skizziert Page.
Sein Student Sahin Naqvi hat sich daher auf Spurensuche begeben und die Genexpression in insgesamt zwölf Organen von fünf verschiedenen Säugetierspezies - nämlich Mensch, Affe, Maus, Ratte und Hund - untersucht, berichtet der Wissenschafter im Fachblatt "Science".
Die Gruppierungen spannen einen breiten Bogen über die Evolution der Säugetiere. Sie haben immerhin einen gemeinsamen Vorfahren, der vor 80 bis 100 Millionen Jahren lebte. "Ein Blick auf diese Arten erlaubt uns, zu verstehen, ob die Geschlechterunterschiede schon vor langer Zeit oder erst im Primaten und Mensch entstanden sind", erklärt der Genetiker. Letzteres ist den Wissenschaftern zufolge der Fall. Zudem würden sich die Differenzen tatsächlich in jedem Organ, in jeder Zelle zeigen.
Der nächste große Schritt der Forscher war, herauszufinden, ob diese Unterschiede in der Genexpression zwischen den Geschlechtern auch von Bedeutung sind. Die Größe eines Menschen gilt als besonders markante Eigenschaft und wurde daher als Beispiel herangezogen. Bei der Durchschnittsgröße von Mann und Frau zeige sich immerhin ein Unterschied von nahezu zwölf Prozent, was etwa 13 Zentimeter ausmacht.
Obacht bei Studienmodellen
Die Entdeckung zeigt, dass eine unterschiedliche Genexpression unterschiedliche Eigenschaften hervorbringen kann. "Das ist wichtig, weil es bestätigt die funktionelle Bedeutung mit all ihren Konsequenzen", so Page.
Die Resultate legen ebenso offen, dass die unterschiedliche Genexpression, evolutionär gesehen, erst jüngst entstanden ist und sich nicht durch alle Säugetiergruppierungen zieht. Die Forscher appellieren, dies in Studien mit nichtmenschlichen Exemplaren zu berücksichtigen.