Eine Zeitung bezeichnete ihn als den meistgehassten Mann Nigerias. Grund: Bisi Alimi ist schwul. Nach seiner Flucht nach England wurde er durch Blogs und Artikel zu einer Ikone der Bewegung für die Rechte Homosexueller.
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Abuja. Homosexualität ist in Nigeria illegal. Leben Lesben und Schwule ihre Sexualität, bestraft dies das westafrikanische Land mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 14 Jahren. Derzeit wird sogar eine noch schärfere Gesetzgebung angestrebt. Betätigungen in nicht-staatlichen oder zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für homosexuelle Gleichberechtigung oder für die Bekämpfung von HIV einsetzen, sollen zudem mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Das macht die Bekämpfung der Ausbreitung des Aids-Virus in dem Land extrem schwierig - erst vergangenen Samstag wurden 40 nigerianische Männer bei einer privaten Party in einem Hotel in Lagos festgenommen. Sie sollten dort die Möglichkeit erhalten, sich auf HIV testen und beraten zu lassen. "Diese Männer haben versucht, ihr Leben zu retten und ihr Land zu verbessern, indem die Ausbreitung von HIV verhindert wird", sagt der Aktivist für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT), Bisi Alimi. Nigeria hat die höchste HIV-Infektionsrate in West-und Zentralafrika: Ein Mensch von 30 ist laut Daten des UN-Programms "Unaids" mit dem Virus infiziert - das sind 3,5 Millionen Nigerianer.
"Wiener Zeitung": Nach sieben Jahren im Exil sind Sie vor kurzem wieder in Nigeria gewesen. Konnten Sie den Aufenthalt denn genießen?Bisi Alimi: Ich war zu einem Literatur-Festival eingeladen. Aber mein Name durfte vorher nirgendwo aufscheinen. Als ich ankam, hatte ich gleich Sicherheitspersonal um mich, niemand durfte mich fotografieren. Ich konnte mich auch nicht frei bewegen oder einfach Leute treffen. Als ich wieder abreiste, trug ein Artikel über mich in einer der führenden Zeitungen den Titel "Der meistgehasste Mann Nigerias!". Also viel Spaß hatte ich nicht.
Gab es Gelegenheit, sich mit Ihrer Familie zu treffen, die Sie nach Ihrem Outing in einer TV-Show verstoßen hat?
Ich hatte inzwischen schon wieder Kontakt zu meiner Mutter und wollte sie diesmal mit nach England nehmen, um ihr zu zeigen, wie ich lebe und was aus mir geworden ist. Aber das hat nicht funktioniert; seitdem ist die Verbindung wieder abgerissen.
Seit 2014 gilt in Nigeria der sogenannte "Same-Sex-Marriage-Prohibition-Act". Der Titel des Gesetzes klingt nicht so dramatisch; heiraten dürfen homosexuelle Menschen in vielen Ländern nicht.
Das Gesetz sieht aber zehn Jahre Haft für jeden vor, der homosexuelle Menschen auf irgendeine Weise unterstützt. Wobei das im Gesetz so allgemein formuliert ist, dass auch jemand eingesperrt werden könnte, der einem schwulen Mann Arbeit gibt. Die HIV-Infektionsrate unter Schwulen beträgt in Nigeria 24 Prozent, und für diese Menschen gibt es keine richtige Versorgung - im Gegenteil: Die Leute werden körperlich attackiert, sie werden eingesperrt und leben in großer Angst.
In Uganda wurde ungefähr zur selben Zeit ein Gesetz gegen Homosexuelle vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Ist das die Richtung, in die afrikanische Staaten tendieren oder wird sich der nigerianische Weg durchsetzen?
Ich teile die Euphorie um das Urteil in Uganda nicht. Die USA und Europa haben Geld in die Hand genommen, um die Aktivisten in Uganda zu unterstützen, und sie waren erfolgreich damit. Allerdings ist es nicht so, dass Uganda jetzt eine liberale Gesetzgebung hat. Sondern es wurde lediglich ein Gesetz gegen Homosexuelle wie in Nigeria verhindert. Und weil es nur wegen eines Formfehlers annulliert wurde, könnte es bald wieder am Tapet sein. Hätte der Westen nur zehn Prozent seiner Zeit und Ressourcen in Nigeria investiert, dann wäre Uganda erst gar nicht passiert. Nigeria hat seit 2006 an seinem Gesetz gearbeitet, und seitdem hätte der Westen versuchen können, die strafrechtliche Verfolgung von Schwulen und Lesben zu verhindern. Nigeria hat aber eine starke Wirtschaft, und so ein Land will man nicht gerne beleidigen. Das wäre allerdings ein Signal für andere afrikanische Staaten gewesen.
Nun ist Homophobie kein Phänomen, das auf bestimmte Länder oder Kontinente beschränkt ist. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Ablehnung gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen auf der ganzen Welt so verwurzelt ist?
Die Auslegung der Bibel im Speziellen spielt da sicher eine Rolle, aber eine Tendenz zur Homophobie gibt es wohl in allen Religionen. In Europa kam mit der stärkste Widerstand gegen die "Ehe für alle" aus den Kirchen. In Afrika rufen die Kirchen dazu auf, nur Politiker zu wählen, die Homosexualität bekämpfen. Ein anderer Punkt betrifft die Fortpflanzung. Homosexuellen Menschen wird leicht der Vorwurf gemacht, sie seien schädlich für das eigene Volk, weil sie keine Kinder zeugen.
Die Bibel wurde ja ausschließlich von Männern geschrieben. Könnte man Homophobie insgesamt als Ausdruck einer männlichen Sicht auf ein bestimmtes Bild von Männlichkeit sehen?
Gut möglich. Als Mann sollst du dominant sein, und wenn zwei Männer zusammen sind, fragen sich alle, wer von den beiden dominant ist und wer sich angeblich unterwirft. Genau diese Frage ist es, warum manche Männer so aggressiv auf Homosexualität reagieren. Hier wird ihre Macht in Frage gestellt. Bei einer Mann-Frau-Beziehung ist klar, wer die Kontrolle haben soll.
In einem Artikel haben Sie einmal geschrieben, dass Kinder nicht verpflichtet sind, ihre Eltern zu versorgen - außer, wenn sie mit ihnen zusammenleben. Für die nigerianische Gesellschaft war das wohl ein zweiter schwerer Schock, den Sie ihr zugemutet haben.
Einige Leute haben gemeint, man sollte mich dafür töten. Aber man muss diese Aussage in einem bestimmten Zusammenhang sehen: Ich arbeite hart, schicke Geld nach Nigeria, damit es meinen Eltern gut geht. Vor einigen Jahren hatte ich finanzielle Schwierigkeiten, deshalb lieh ich Geld von Freunden, um es meiner Familie zu schicken. Hätte ich dieser gesagt, dass ich meinen Job verloren habe, hätte sie mich als Versager betrachtet. Das ist schon eine Menge Druck, die auf einem lastet.
Die meisten afrikanischen Eltern haben deshalb so viele Kinder, weil sie hoffen, dass zumindest eines davon zu Geld kommt und sie dann versorgt. Sie haben diese Tradition aufgrund Ihrer persönlichen Lage in Frage gestellt?
Es war ein Angriff auf das System. Wenn es das System nicht schafft, meinen Eltern eine Pension zu gewähren, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben, dann stimmt etwas nicht. Und das ist auch einer der Gründe, warum Afrikaner arm sind. Wenn eine Person in der Familie Geld hat, muss sie sich auch um die anderen zehn Familienmitglieder und um die Eltern kümmern statt um die eigenen Kinder.
Wie ist die Geschichte mit Ihren Eltern ausgegangen?
Sie haben mich am Ende des Monats angerufen und gesagt: Schicke uns mehr Geld, damit wir etwas zu essen kaufen können. Ich habe dann gesagt: Nein, es ist nicht meine Pflicht, euch dauernd Geld zu schicken.
Laut Prognosen wird sich die Bevölkerung in Afrika in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Und zwar von einer Milliarde auf zwei Milliarden Menschen. So ein Wachstum könnte die beste Wirtschaft nicht auffangen. Sehen Sie eine Lösung?
Die Bildung der Frau ist entscheidend, denn die Frauen wollen gar nicht so viele Kinder. Also muss man ihnen die Mittel dafür in die Hand geben. Die Politik würde das auch unterstützen, aber die beiden großen Religionen Islam und Christentum sind gegen Verhütung. Das ist wirklich verhängnisvoll. Nicht zu vergessen, dass Männer leicht gewalttätig werden, wenn sie mitkriegen, dass ihre Frauen verhüten. Ein Mann, der wenige Kinder hat, ist schlecht angesehen, er will also viele Kinder. Eine effektive Aufklärung über Familienplanung müsste bei den Männern ansetzen.