EU will Fluchtursachen bekämpfen und mehr Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
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Brüssel/Berlin. Nur ein paar Stunden lagen zwischen dem Auftritt in Brüssel und jenem in Berlin. Und die Botschaft war eine ähnliche: Es sei mehr Geld zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nötig. Das stellte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sowohl nach einem Treffen mit ihren Amtskollegen aus der EU als auch in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag klar. Die finanzielle Hilfe für die deutschen Regionen stand denn auch kurze Zeit später im Mittelpunkt eines Bund-Länder-Treffens. Die Regierung in Berlin hatte den Ländern eine Unterstützung in Höhe von vier Milliarden Euro heuer und im kommenden Jahr in Aussicht gestellt; den Vertretern der Kommunen scheint dies nicht ausreichend. Wahrscheinlich ist nun die Bereitstellung von zwei Milliarden Euro zusätzlich.
Mehr Mittel soll es aber auch für Entwicklungshilfe geben, kündigte Merkel an. Außerdem gilt es, die Aufstockung der Finanzhilfe für die Nachbarländer Syriens zu bewerkstelligen.
Dies war einer der Punkte auf der Agenda des Sondergipfels der Staats- und Regierungschefs der EU, der sich bis in die Nacht auf gestern, Donnerstag, zog. Die "außenpolitische Dimension" der Flüchtlingskrise stand dabei im Zentrum. Den Andrang der Schutzsuchenden will die Union nun mit Milliarden-Euro-Beträgen eindämmen, die in die Herkunfts- und Transitländer fließen sollen.
So soll die Türkei, die allein rund zwei Millionen syrische Schutzsuchende beherbergt, mit einer Milliarde Euro unterstützt werden. Serbien und Mazedonien, über die fast täglich tausende Menschen einreisen, sollen 17 Millionen Euro erhalten. Für das UN-Welternährungsprogramm soll es heuer 200 Millionen Euro mehr geben und für humanitäre Hilfe im kommenden Jahr 300 Millionen Euro zusätzlich. Doch auch einige EU-Staaten können mit verstärktem finanziellen Engagement der Gemeinschaft rechnen. Die Budgetmittel für die Länder, die mit den meisten Asylanträgen konfrontiert sind, sollen um hundert Millionen Euro aufgestockt werden. EU-Agenturen wie Frontex oder Europol sollen ebenfalls besser finanziell ausgestattet werden. Die Summe der Ausgaben beziffert die EU-Kommission mit 9,2 Milliarden Euro.
Suche nach Finanzmitteln
Den Europäern ist klar, dass sie Geld vor allem in anderen Regionen investieren müssen, wenn sie nicht mehr für Flüchtlingshilfe in der EU ausgeben wollen. Doch wirft das Vorhaben etliche Fragen auf. Woher sollen die Mittel kommen? Werden die Ausgaben bei der Berechnung des Budgetdefizits berücksichtigt oder ausgeklammert? Noch fehlen konkrete Antworten darauf. Die Kommission soll nun Vorschläge liefern, wie Mittel aus dem gemeinsamen Budget - etwa durch Umschichtungen - zur Verfügung gestellt werden und auf welche Weise die Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten könnten.
Offen sind aber auch noch weitere Details der Vereinbarungen der EU-Politiker. So ist noch nicht eindeutig, wie die sogenannten Hotspots funktionieren sollen. Diese Erstaufnahme- und Registrierungszentren, die laut EU-Kommission keine Flüchtlingslager darstellen sollen, werden in Italien und Griechenland eingerichtet. In Ungarn waren sie zwar auch vorgesehen, doch stieß das auf Ablehnung der Regierung in Budapest. Athen hingegen hat angekündigt, über die Schaffung eines Hotspots in der Hafenstadt Piräus hinauszugehen. Auf den Inseln Lesbos, Kos und Leros soll es ebenfalls solche Zentren geben.
Gemeinsame Abschiebungen?
Dort sollen die Ankommenden "identifiziert und registriert" werden, indem ihre Daten auf- und Fingerabdrücke abgenommen werden. Von dort aus sollen sie dann umgesiedelt werden, etwa in andere EU-Staaten - oder abgeschoben, wenn sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Wie diese Rückführungen, die wohl zigtausende Menschen betreffen würden, aussehen sollen, ist aber ebenfalls noch nicht klar. Unter Umständen werden Griechenland und Italien dabei von anderen Ländern oder EU-Institutionen unterstützt. Die Hotspots selbst sollen jedenfalls bis November eingerichtet sein.
Die Entscheidung darüber, wessen Asylansuchen angenommen oder abgelehnt wird, soll den Behörden eine Liste sicherer Herkunftsländer erleichtern. Diese will die Kommission um Staaten wie Albanien, Montenegro, Mazedonien oder die Türkei erweitern. Bürger dieser Länder haben zwar weiterhin das Recht darauf, einen Antrag auf Asyl zu stellen, doch müssen sie mit einem schnelleren und meist negativen Bescheid rechnen. Bisher hatte jeder Mitgliedstaat eine eigene Liste, sie soll nun vereinheitlicht werden. Darüber beraten die Innenminister der EU Anfang Oktober.
Im deutschen Bundestag führte die Bundeskanzlerin all die Maßnahmen zusammen. Zur Bewältigung der Krise müssten alle Ebenen ineinander greifen: die nationalen, die EU- und die weltweiten Programme. Fluchtursachen wie Krieg, Armut und Klimawandel müssten auch global bekämpft werden, erklärte Merkel. Für Europa jedenfalls wünscht sie sich, dass der Kontinent "diese gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und moralische Bewährungsprobe besteht".