Der Dominkanerpater Najeeb Michaeel hat im Irak zentrale Quellen des Christentums vor der Zerstörung durch den IS gerettet.
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Wien. Najeeb Michaeel riskiert sein Leben für Kulturerbe, das er mit Identität gleichsetzt. "Ich bin dem Tod viele Male begegnet. Doch Gott hat uns vor den Fundamentalisten beschützt. Wir leben nur einmal, also sollten wir etwas Gutes tun. Natürlich gehen wir ein Risiko ein. Aber eine Kultur, die ihrer Vergangenheit beraubt wird, hat keine Zukunft", sagt er.
Der Dominikanerpater hat im Irak kostbarste Dokumente des spätantiken bis neuzeitlichten Christentums vor der Zerstörung durch die dschihadistische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gerettet. 8000 illustrierte Bibelhandschriften und theologische Dokumente, sowie medizinische, astronomische und sprachwissenschaftliche Aufzeichnungen und ethnografische Fotos konnten er und sein Team digitalisieren und auf Festplatten speichern. Die Dokumente erzählen christliche Geschichte in arabischer Sprache. Najeeb Michaeel referierte jüngst bei einer Tagung des Internationalen Zentrums für Archivforschung (Icarus) in St. Pölten und sprach an deren Rande mit der "Wiener Zeitung".
Zum Hintergrund: Der IS vernichtet systematisch nicht-muslimische Kulturstätten. Raubgrabungen, Massenplünderungen und illegaler Handel mit Kulturgut sind neben Öl eine seiner wichtigsten Einkommensquellen. Seiner Ideologie zufolge soll nicht-muslimisches Kulturerbe entweder Geld bringen oder verschwinden. Neben antiken Städten und Kunstobjekten sind das auch die Aufzeichnungen anderer Religionen und Kulturen.
Der Irak, ursprünglich Mesopotamien, ist eine der ältesten Kulturlandschaften des Christentums. Schon in der frühchristlichen Zeit im ersten Jahrhundert fasste die Religion Wurzeln im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. "In der Antike hatte Mesopotamien eine wechselnde politische Zugehörigkeit zwischen römisch und persisch. Um nicht vom persischen Großkönig und seinen Behörden als Kolonne der Römer betrachtet zu werden, mussten sich die Christen unter persischer Herrschaft von Rom absetzen. Daraus entwickelte sich die Apostolische Kirche des Ostens" erklärt Erich Leitenberger, Sprecher der Gesellschaft zur Erforschung der ökumenischen Beziehungen, Pro Oriente.
Im Zuge einer Islamisierungswelle im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Apostolische Kirche des Ostens verdrängt. Ein Teil erkannte ab dem 16. Jahrhundert den Papst als Oberhaupt an und formierte sich zur chaldäisch-katholische Kirche, der Pater Najeeb Michaeel angehört. Die Dominikaner kamen ab dem 16. Jahrhundert, um ihren chaldäischen Glaubensbrüdern in ihrer theologischen Entwicklung zu helfen. Im Zuge der arabischen Erneuerungsbewegung machten sie die arabische Sprache für die Moderne tauglich.
Pater Najeeb begann zwischen Erstem und Zweitem Golfkrieg 1990, diese historischen Schriftstücke elektronisch zu erfassen, damit ihr Inhalt Kriegszerstörungen überdauern könnte. Er gründete ein Zentrum, das Centre Numérique des Manuscrits Orientaux en Irak (CNMO) in der nordirakischen Stadt Mosul. Ab 2006 wurden Christen von fundamentalistischen Gruppierungen bedroht. 2007 flüchtete der Geistliche mit dem Archiv in die Christen-Hochburg Karakosch nahe Mosul.
Im Juni 2014 wurde Mosul von IS-Kämpfern erobert. "Die Terrormiliz stellt uns, die Christen, als Buchreligion vor die Wahl, zum Islam überzutreten, dem IS für die Ausübung unseres Glaubens eine Kopfsteuer zu zahlen, oder alles zurückzulassen und binnen 24 Stunden zu verschwinden", berichtet Pater Najeeb. Einer Eingebung folgend, packte er am 25. Juli 809 Originale und alle Festplatten in einen Lastwagen und fuhr in die Autonome Region Kurdistan, wo er heute lebt: "Wir verließen Karakosch drei Stunden, bevor die IS-Kämpfer da waren. Sie folgten uns, doch die Peschmerga ließen uns durch." So hat der mutige Mann die Überlieferung der chaldäischen Kirche in Sicherheit gebracht.
"Es sind die zentralen, historischen Quellen des Christentums in dieser Region", erklärt Icarus-Präsident Thomas Aigner, dessen Verein den Pater beim Infrastruktur-Aufbau und der Restaurierung des Archivs unterstützt. "Dieser Bestand ist kaum erforscht, weil man bisher dazu immer in den Irak fahren musste", so Aigner.
Neuer Blick auf das Buch Mose
Unter den Dokumenten sind Schätze. Auf einem Pergamentstück steht etwa ein Auszug aus einer Predigt aus dem 8. Jahrhundert, deren Inhalte zum Buch Mose deutlich von der Bibel abweichen Die Autorenschaft wird einem Johannes Mediocris, Bischof von Neapel, zugeschrieben. "Die Manuskripte nehmen auch auf den Islam Bezug und geben den Austausch mit Europa wieder. Sie zeigen die intensive Verflechtung des Orients mit dem Abendland, deren Geschichten engstens zusammenhängen. Ein Verlust dieser Dokumente wäre auch ein Verlust unserer Geschichte in Österreich", betont Aigner.
"Es findet ein Genozid statt", warnt Pater Najeeb Michaeel. "Der IS will uns nicht nur töten, sondern auch unsere Geschichte ausradieren und uns sagen: Vor dem Islam gab es nichts. Er will die Zukunft der Region sein und hat die Mission, Europa zu destabilisieren. Wenn Europa etwas anderes glaubt, ignoriert die Realität", sagt er. Und: "Wir müssen auf den Menschenrechten beharren und verstehen, worauf Zukunft begründet ist. Und wir müssen jenen helfen, die wirklich auf der Flucht sind, damit sie sich nicht von Terroristen beeinflussen lassen. Diese Bevölkerung benötigt eine neue Ausbildung auf der Basis der Menschenrechte."