Der "Große Vorsitzende" stützt 30 Jahre nach seinem Tod die Macht der Partei. | Peking. (dpa) Am Ende litt Mao Tsetung unter fortgeschrittener Muskellähmung. Der 82-Jährige lag in einem nur "202" genannten, schlichten Gebäude im Machtzentrum Zhongnanhai im Herzen Pekings. Er konnte nicht mehr richtig essen und reden. "Ich fühle mich sehr schlecht. Ruft die Ärzte", will seine Pflegerin noch verstanden haben, bevor Mao endgültig das Bewusstsein verlor.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zehn Minuten nach Mitternacht - genau vor 30 Jahren am 9. September 1976 - starb der Diktator, der so viele Millionen Menschen auf dem Gewissen hat, dass er als einer der grausamsten Tyrannen des 20. Jahrhunderts gelten muss. Doch als "großer Steuermann" idealisiert, hängt sein Porträt drei Jahrzehnte später weiter überlebensgroß am Eingang zum Kaiserpalast.
Sein Kopf schmückt die neuen Geldscheine des Wirtschaftswunderlandes, das seine radikalen Ideen längst begraben hat und dem Kapitalismus frönt. Lange Schlangen stehen weiter vor dem Mausoleum auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Zig-Millionen Menschen sind bis heute an seiner einbalsamierten Leiche in dem gläsernen Sarkophag vorbei gepilgert. Mao-Amulette am Rückspiegel Pekinger Taxis sollen Fahrer wie Insassen vor Unfällen beschützen.
Der Mythos lebt, egal, wie viele Menschen unter Mao getötet, verfolgt, gefoltert, verhungert oder eingesperrt worden sind. Auch die jüngste Abrechnung in der neuen Mao-Biographie der Autoren Jung Chang und Jon Halliday, die im Westen eine heiße Debatte ausgelöst hat, scheint in China nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen. "Wir führen das Buch nicht, weil es nicht verkauft werden darf - aber wir können ihnen ein Exemplar aus Hongkong bestellen", bietet eine freundliche Buchhändlerin an.
Das Autorenpaar schätzt, dass Mao für den Tod von 70 Millionen Menschen verantwortlich ist - schlicht ein Massenmörder. Nicht kommunistische Ideologie, sondern grenzenloser Machthunger habe ihn angetrieben.
Chinas Führung will keine Aufarbeitung der Verbrechen des "Großen Vorsitzenden". Die KP braucht Mao noch. Er gibt dem neuen China bis heute Identität. "70 Prozent gut, 30 Prozent schlecht", lautete 1980 das pragmatische Urteil seines Nachfolgers Deng Xiaoping. Eine "Entmaoisierung" würde die Macht der Partei erschüttern.
So bleibt es bei dem verklärten Blick auf die eigene leidvolle Geschichte. Der frühere Sekretär Maos, der 87-jährige Li Rui, versuchte vergeblich, das Tabu zu brechen. "Mao konnte keinen Widerspruch aushalten. Er hatte die abergläubische Überzeugung, immer und absolut Recht zu haben", so Rui. Seine Kritik ist nur im Ausland zu lesen.