Katmandu - In Nepal haben maoistische Rebellen ihr Operationsgebiet ausgeweitet. Nachdem sie seit ihrem Auftauchen fünf Jahre lang nur in ländlichen Gebieten aktiv waren, greifen sie nun die Städte an. Was als Aufstand in entlegenen Regionen begann, droht sich zum Bürgerkrieg auszuweiten.
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Anfang Juli gelang es den Rebellen trotz erhöhter Sicherheitsvorkehrungen, einen Sprengsatz vor den Residenzen von Ministerpräsident Girija Prasad Koirala und dem Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes Keshav Prasad Upadhyay in Katmandu zu platzieren.
Auf die Explosion vom 4. Juli folgten am darauffolgenden Tag Sprengstoffanschläge an einem Dutzend Orten im Katmandu-Tal, darunter in den Städten Patan und Bhaktapur. Am 6. Juli wurden mehrere Bomben in einem Wohnviertel der nepalischen Hauptstadt entdeckt.
Zwar wurde bislang niemand durch die Bombenexplosionen verletzt oder gar getötet. Aber dennoch macht sich nun in Katmandu lähmende Furcht breit. "Es ist kaum noch möglich, spät auszugehen, mit all der Rebellenaktivität und den Polizeiaktionen", so die Studentin Kalpana Sijapati. "Wer will da schon ein Risiko eingehen."
Auf Anordnung des nepalischen Innenministers Ram Chandra Paudel wurden inzwischen die Patrouillen der bewaffneten Polizei verstärkt. Stichproben-Kontrollen auf offener Straße, vor allem bei Nacht, werden vermehrt durchgeführt.
Königsmord als Anstoß
Für die maoistischen Rebellen war offenbar das Massaker im nepalischen Königspalast vom 1. Juni der Startschuss für die Ausweitung ihrer Aktivitäten. Noch immer steht das Land unter dem Schock des Amoklaufs von Kronprinz Dipendra, der die gesamte königliche Familie einschließlich seines Vaters König Birendra tötete.
Der doppelte Effekt von Palastmassaker und Rebellenattacke droht jetzt Nepals Wirtschaft einen schweren Schlag zu versetzen. Vor allem die Tourismusbranche, die zu den Hauptdevisenbringern des Landes zählt und letztes Jahr 135 Mill. US-Dollar erwirtschaftete, ist angeschlagen. Offizielle Zahlen zeigen einen Rückgang der Touristenankünfte seit Anfang Juni um 56 Prozent.
Seit dem Massaker sind Hotels, Bars und Restaurants im Stadtviertel Thamel, dem Haupttouristenviertel, wie ausgestorben. Bei einer Ausweitung der Angriffe maoistischer Rebellen sehen die Geschäftsleute von Thamel schwarz. "Der letzte Monat war besonders schlecht", so der Restaurantbesitzer Shyam Ghale. "Wenn das auch nur noch einen Monat weiter geht, kann ich dicht machen und woanders hinziehen."
Aber genau dies könnte es sein, was die Rebellen wollen. Ihre Terroranschläge so kurz nach dem Palast-Massaker treffen das Land am Nerv. Die Ausweitung ihres sogenannten 'Volkskampfes' auf die Städte ist dabei eine neue Qualität. Seit ihrem Auftauchen 1996 führten sie ihren Kampf ausschließlich in abgelegenen Gegenden und mieden die Städte.
Strategie nach Mao
Allerdings hatte der Anführer der rätselhaften Guerilla, der sich selbst 'Genosse Prachanda' nennt, diese Entwicklung mehrfach angekündigt. Seine Truppe, so erklärte er bei verschiedenen Gelegenheiten, folge eng dem Vorbild von Mao Tsetung, zuerst die Dörfer zu 'befreien', dann um die Hauptstadt herum Zonen 'befreiter' Dörfer zu schaffen und schließlich den finalen Angriff zu starten.
Sind die Maoisten denn schon so stark, dass ihr Aufstand tatsächlich in die Schlussphase getreten ist, ohne dass es jemand bemerkt hätte, fragen sich nun viele Nepalesen. Tatsächlich weiß niemand, über wie viele Kämpfer die Maoisten verfügen. Auch wie groß ihre Unterstützung in ländlichen Gebieten wirklich ist, bleibt im Dunkeln. Über ihr Programm ist lediglich bekannt, dass sie eine kommunistische Räterepublik errichten wollen.
Vor allem die ungeheure Armut in den ländlichen Regionen Nepals treibt den Maoisten die Kämpfer zu. Nepal gehört mit einem Pro- Kopf-Einkommen von 210 US-Dollar zu den 50 ärmsten Ländern der Welt. Die durchschnittliche Analphabetenrate bei Männern liegt bei 43 Prozent, bei Frauen erreicht sie sogar 78 Prozent. Völlig mittellosen jungen Männern und Frauen, die jede Perspektive verloren haben, bieten die Maoisten eine neue Heimat.
Bitter rächt sich nun auch, dass Nepals Regierung die Rebellen von Anfang an unterschätzt hat. Nach ihrem Auftauchen quasi aus dem Nichts behandelte die Regierung die Rebellen als reines Problem der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Statt Militär zu schicken, wurden Polizisten entsandt, die, schlecht bezahlt und ausgebildet, von den Rebellen als Zielscheiben benutzt wurden. Die Bewaffnung der Maoisten besteht hauptsächlich aus Beutestücken von Überfällen auf Polizeipatrouillen und Polizeiposten.
Nachdem zwei Versuche gescheitert sind, mit den Rebellen in einen Dialog zu treten, setzt die Regierung nun auch die Armee ein und baut derzeit eine paramilitärische Sondereinheit zur Guerillabekämpfung auf. Entwicklungsprojekte in den Armutsgebieten sollen der Guerilla nun die Basis entziehen.