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Maria hilf! - Eine alte Straße verabschiedet sich

Von Ina Weber

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Ina Weber.

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Wir schreiben das Jahr 2030. Die Mariahilfer Straße ist verkehrsberuhigt. Viele junge Menschen bevölkern die Straße. Jemand putzt sein Fahrrad, ein anderer liegt auf einer Matte und macht Yoga. Die Jugendlichen, die am Straßenrand an den Geschäften vorbeiziehen, sind fast alle gleich gekleidet. In ihren Händen volle Säcke aus Baumwolle, die allesamt dasselbe rot glitzernde oder grün leuchtende Logo tragen, denn zwei große Gewand-Ketten prägen die Einkaufsstraße.

An einem Eck steht eine alte Frau. Sie winkt uns heran und deutet mit ihrer alten, gelebten Hand auf ein Schild, das neben einer Einfahrt am Straßenrand liegt. Es ist verrostet, die Schrift aber noch erkennbar: Mariahilfer Straße steht dort geschrieben. So hieß sie also damals, die heutige Fetzentandlerstraße. Die Augen der alten Dame beginnen zu leuchten und sie erinnert sich: an ihre ersten Schulhefte, ihre ersten Schuhe mit Stöckel, die weiße Kommode, die sie sich für ihre erste Wohnung gekauft hatte, die vielen Nippes in den Glasregalen als sie sich ihr Hochzeitsgeschirr aussuchen durfte, den ersten Kinderwagen, das Babycafé, das Büro von ihrem Vater, das Stilmöbelgeschäft, wo sie gern einmal hineinschaute, sich aber nichts leisten konnte - alles war an einer Straße, wo man die Porzellanschüssel für die Oma, den Spinat fürs Abendessen und den coolen Rock fürs Konzert in einem Aufwasch besorgen konnte. Ein lautes Presslufthämmern verschreckt die Frau. Sie verstummt und wendet sich langsam ab. Sie hat sich verabschiedet - die gute alte Mariahilfer Straße.