Sie bezeichnet sie gerne als politische Gegner und als verlängerten Arm des Systems. Und doch, ohne Medien wäre Marine Le Pen nicht da, wo sie heute ist.
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Paris. Sie wirkt entspannt. Kein Anflug von Wut oder Entrüstung, wie man das sonst von ihren Medienauftritten kennt. Freundlich und ruhig steht sie dem Journalisten des französischen Staatssenders France 2 am Sonntag in ihrem Wahlkampfbüro Rede und Antwort. Es ist eines der letzten Interviews Marine Le Pens vor der Stichwahl am kommenden Sonntag. Sie spricht von der Liebe für ihr Land, von ihren Gegnern, dem System, den Eliten. Zu diesen zählt Le Pen auch die Medien. Seit Beginn des Wahlkampfes lässt sie keine Gelegenheit aus, um sich als Opfer der Journalisten darzustellen. Doch weiß sie genau: Sie braucht die Medien, um die Franzosen für sich zu gewinnen.
Imagewandel kommt gut an bei Medien
Schon ihr Vater Jean-Marie erkannte früh, dass er seine Partei ohne Medien nicht voranbringen würde. Als er 1972 den Vorsitz des neugegründeten Front National pour l’Unité Française einnahm, war dieser ein Grüppchen am rechten Rand - Neofaschisten, radikale Katholiken, Verteidiger des Vichy-Regimes. Bis in die 1990er Jahre boykottierten zahlreiche Medien die Partei. Erst 1984 nahm Le Pen zum ersten Mal an einer großen politischen Talkshow teil und konnte so seine Anhängerzahl erweitern. Seine Tochter hob den Front National rund 20 Jahre später auf eine ganz neue Ebene. 2011 löste sie ihren Vater an der Parteispitze ab, distanzierte sich von dessen antisemitischen Parolen und begann ihre Strategie der "Entdiabolisierung". Mit dem Bemühen, das Image des Front National zu ändern, änderte sich auch der journalistische Zugang zur Partei.
"Früher attackierten manche Journalisten den Front National ohne große Sorgfalt ", sagt Olivier Faye. Der 29-jährige Journalist ist bei der Tageszeitung Le Monde für den Front National zuständig. Er hält es für kontraproduktiv, den Lesern eine Meinung über die Rechtspopulisten vorzuschreiben. Bei Le Monde gilt: Über die Partei wird berichtet wie über jede andere, "selbst wenn sie keine Partei wie jede andere ist ". Eine Ausnahme macht das Leitmedium aber doch: Es enthält dem Front National, im Gegensatz zu anderen Parteien, das Recht vor, Parteikolumnen zu veröffentlichen. Haben Parteimitglieder etwas an seiner Berichterstattung auszusetzen, lassen sie das Faye schnell wissen, durch aufgebrachte Anrufe oder SMS.
Nicht selten ruft Marine Le Pen persönlich an. Besonders ein Moment bleibt Faye in Erinnerung. Anfang September lud Le Monde Marine Le Pen zu einem inoffiziellen Mittagessen ein, um den anstehenden Wahlkampf zu besprechen. Bevor die Journalisten ihre Fragen stellen konnten, legte Le Pens Medienberater einen Stapel Papier auf den Tisch: die letzten 20 Artikel, die Faye über die Politikerin geschrieben hatte. "Davon befasst sich einer mit echten Inhalten, die anderen 19 haben nichts mit Politik zu tun ", warf sie dem Journalisten an den Kopf. Mit Rotstift hatte die Politikerin Ausdrücke unterstrichen, die sie als unangebracht oder herablassend empfand.
In ihrer Selbstdarstellung als Opfer der Medien zögert Marine Le Pen auch nicht, deren Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen. Im Februar war die Präsidentschaftskandidatin Gast im Studio des Fernsehsenders TF1, wo sie der leitende Wirtschaftsredakteur zu den Folgen eines Austritts Frankreichs aus der Eurozone befragen sollte. Er berief sich dabei auf eine Studie des Thinktanks Institut Montaigne. "Schade ist, dass sie uns nicht sagen, was das Institut Montaigne wirklich ist", holte Le Pen zum Gegenschlag aus. Den Vorsitz des Instituts hätten bis vor Kurzem ein Verbündeter ihres Konkurrenten François Fillon und ein Unterstützer von Emmanuel Macron inne gehabt.
"Der Front National nützt jede Gelegenheit, um uns als politische Gegner darzustellen", sagt Eric Farel von der Lokalzeitung Var Matin im südfranzösischen Fréjus. Seit 2014 ist Marine Le Pens Wahlkampfleiter David Rachline dort Bürgermeister. Im Juni 2016 eskalierte das Verhältnis zwischen dem Front National und der Presse. Den Ausschlag gab eine Serie von Artikeln über ein Konzert des Popstars Johnny Hallyday, wegen dem einige Bäume gefällt werden sollten. Rachline hatte Angst, der Musiker könnte das Konzert absagen, gestand er Farel Monate später. Die Folge: Stadträte, stellvertretende Bürgermeister und selbst das Standesamt reagierten nicht mehr auf Anrufe von Journalisten. Bei Gemeinderatssitzungen durften sie nicht mehr in den Pressebereich.
Kein Zugang für investigative Medien
Für Farel ist Fréjus ein Beispiel dafür, was ganz Frankreich bevorstehen könnte. Bereits jetzt werden Vertreter des Fernsehmagazins Quotidien oder des investigativen Onlinemediums Mediapart bei Meetings von Marine Le Pen nicht zugelassen. Bei einem Wahlkampfauftritt wurden einige Journalisten daran gehindert, Veranstaltungsteilnehmer zu befragen. Faye postete auf Twitter ein Foto: "Die Sicht vom Pressetisch aus, den Journalisten nicht verlassen dürfen, ohne ihre Akkreditierung zu verlieren".
Sollte Le Pen am Sonntag doch zur Präsidentin gewählt werden, fürchten Journalisten weitere Einschränkungen. Ein Mitglied des Front National sagte der Nachrichtenagentur AFP, er wünsche sich eine Aufsichtsbehörde, um schlechte Praktiken der Medien zu bestrafen. Die Parteispitze distanzierte sich davon, doch ihr Vorgehen lässt darauf schließen, dass ihr Medien schnell lästig werden könnten, wenn diese einmal ihren Zweck erfüllt haben.