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Mario Draghis geldpolitischer Voetbal Totaal

Von Carsten Brzeski

Gastkommentare
Carsten Brzeski ist seit März 2013 Chef-Volkswirt der ING-DiBa. Er war lange Jahre Europa- und Deutschland-Experte der ING Gruppe. Davor arbeitete er im niederländischen Finanzministerium und bei der Europäischen Kommission.

Der EZB-Chef scheint überzeugt vom Angriffsfußball. Daher wird es im Juni wohl eine altherkömmliche Leitzinssenkung geben.


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Mit Mann und Maus in den Angriff, um endlich das entscheidende Tor gegen Krise, Rezession und Deflation zu schießen. So kurz vor Beginn der Fußball-WM hat EZB-Präsident Mario Draghi sich für ein für Italiener untypisches Offensivspiel entschieden. Eine Art geldpolitisches Voetbal Totaal.

Anfang Mai gab Mario Draghi sein geldpolitisches Catenaccio auf. Der Satz, dass die EZB "komfortabel" war mit neuen Maßnahmen im Juni, hat seitdem die Fantasien von Marktteilnehmern beflügelt. Aber was kann die EZB eigentlich liefern? Viel und gleichzeitig wenig. Eigentlich bestehen fast alle theoretischen Instrumente nicht den Praxistest. So riefen angelsächsische Analysten sofort nach "quantitative easing", dem Aufkaufen von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und anderen Wertpapieren. So wie die Notenbanken der USA und Großbritanniens es schon vorgemacht haben.

Vergessen wird dabei allerdings, dass die Höhe von Renditen auf Staatsanleihen schon länger kein Problem mehr ist. Zugleich ist es nur schwer vorstellbar, dass die EZB etwa ein französisches Abweichen von Sparzielen mit dem Aufkaufen von Staatsanleihen belohnen würde. Ganz zu schweigen von den Schlangen, die sich in Deutschland vor dem Bundesverfassungsgericht bilden würden. Zudem können sich Unternehmen, die selber Anleihen ausgeben, vor Nachfrage gar nicht retten und brauchen wirklich keine zusätzliche Unterstützung der EZB. Bliebe nur ein Programm zum Ankurbeln der Mittelstandskredite. Die EZB überlegt daher, diesem brachliegenden Markt neues Leben einzuhauchen. Nicht einfach in Zeiten von Bankenstresstests.

Ein letztes, häufig genanntes Instrument sind negative Einlagenzinsen. Normalerweise verzinst die EZB Geld, das Geschäftsbanken kurzfristig bei ihr parken, mit dem Einlagenzins. Ein negativer Einlagenzins würde Banken beim Geldparken eine Gebühr aufbrummen. Es gibt zwei theoretische Argumentationen dahinter: Einerseits soll so eine Parkgebühr Banken dazu anregen, die Kreditvergabe wieder anzukurbeln. Anderseits könnte sie auch ausländische Investoren abschrecken und so den Wechselkurs des Euro etwas abschwächen.

Wie so häufig überzeugt die Theorie allerdings nicht in der Praxis. Einige kleinere Länder experimentierten in den vergangenen Jahrzehnten mit negativen Einlagenzinsen, zuletzt zum Beispiel Dänemark. Während die Kreditvergabe fast gar nicht reagierte, sah man wenigstens einen kleinen Einfluss auf den Wechselkurs. Ob das auch im Euroraum funktioniert, ist aber mehr als fraglich. Ausländische Investoren, die zuletzt wieder vermehrt südeuropäische Staatsanleihen kauften, tangieren negative Zinsen überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Weiterer EZB-Aktionismus könnte das Vertrauen in den Euroraum weiter stärken und sogar zu einer Aufwertung des Euro führen.

Draghi scheint überzeugt vom Angriffsfußball. Daher wird es im Juni wohl eine altherkömmliche Leitzinssenkung geben, garniert mit Elementen nach dem Motto "nützt es nicht, so schadet es auch nicht" wie dem negativen Einlagenzins und mehr Liquidität. Vielleicht hätte jemand Draghi sagen sollen, dass der niederländische Voetbal Totaal zwar die Herzen der Fans, jedoch nie einen WM-Titel gewonnen hat.