Sowohl im Darmmikrobiom als auch immunologisch lassen sich laut Studien Vorhersagen zum Verlauf erkennen.
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Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms könnte dafür verantwortlich sein, ob eine vormals mit Sars-CoV-2 infizierte Person Long Covid entwickelt. Die Erstellung von Mikrobiom-Profilen könnte dazu beitragen, diejenigen zu identifizieren, die am anfälligsten für diese Weiterentwicklung einer Covid-19-Erkrankung sind. Das ist das Ergebnis einer chinesischen Studie, die im Fachblatt "Gut" erschienen ist. Zürcher Immunologen haben indessen Signaturen im Blut von Covid-19-Patienten entdeckt, die ebenso eine Long Covid-Erkrankung vorhersagen können. Den Risikos-Score dazu stellen sie im Fachblatt "Nature Communications" vor.
Das postakute Covid-19-Syndrom, kurz auch als "Long Covid" bezeichnet, ist durch Komplikationen oder lang anhaltende Symptome Wochen und Monate nach einer ersten Sars-CoV-2-Infektion gekennzeichnet. Müdigkeit, Muskelschwäche und Schlaflosigkeit sind die häufigsten Symptome, die genannt werden. Es kommt relativ häufig vor. Bis zu drei von vier Personen berichten sechs Monate nach der Genesung über mindestens ein Symptom.
Bakterien weniger vielfältig
Eine überschießende Reaktion des Immunsystems, Zellschäden oder die physiologischen Folgen einer Infektion können zur Entwicklung von Long Covid beitragen. Allerdings ist nicht klar, was genau die Ursache ist oder warum manche Menschen anfälliger sind, so die Gastroenterologin Siew Ng von der Chinese University of Hong Kong in der Publikation.
Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass das Darmmikrobiom - Billionen von Bakterien, Pilzen und anderen Mikroben, die den Verdauungstrakt bewohnen - an der Schwere von Covid-19 beteiligt sind. Und da der Darm eine wichtige Rolle bei der Immunität spielt, könnte eine gestörte Immunantwort auf eine Infektion, die durch die dort lebenden Mikroben ausgelöst wird, auch den Genesungsprozess beeinträchtigen. Die Forscher machten sich daher auf die Suche nach einem Zusammenhang mit der Entwicklung von Long Covid.
Sie verfolgten die Veränderungen im Darmmikrobiom von 106 Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad von Covid-19, die zwischen Februar und August 2020 in drei verschiedenen Krankenhäusern behandelt wurden. Sowie in einer Vergleichsgruppe von 68 Personen, die nicht erkrankt waren, über denselben Zeitraum. Die Wissenschafter analysierten die Stuhlproben der Teilnehmer in verschiedenen Zeitabständen. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 48 Jahre, etwas mehr als die Hälfte waren Frauen.
Während die anfängliche Viruslast bei der Erkrankung nicht mit Long Covid assoziiert war, unterschied sich allerdings das Darmmikrobiom von jenen Patienten, die keine Folgeerkrankung entwickelten oder erst gar nicht infiziert waren. Die Betroffenen hatten ein weniger vielfältiges und reichhaltiges Mikrobiom. Bei den Bakterienarten waren 28 reduziert und 14 angereichert. Nach sechs Monaten hatten Long-Covid-Patienten signifikant weniger "freundliche" Keime wie Faecalibacterium prausnitzii oder Blautia obeum und eine größere Menge an "unfreundlichen" Bakterien wie Ruminococcus gnavus oder Bacteroides vulgatus.
Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie decken sich mit denen anderer Untersuchungen, die ein gestörtes Darmmikrobiom mit einer Reihe von Langzeiterkrankungen in Verbindung bringen, betonen die Forscher. Eine Modulation der Mikrobiota könnte ihnen zufolge eine Genesung erleichtern.
Das Team um Onur Boyman von der Universität Zürich wiederum analysierte die Krankheitsgeschichte von 175 Personen, die in der ersten Welle positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. 40 Personen ohne nachweisbaren Kontakt mit Sars-CoV-2 dienten als Kontrollgruppe.
Signaturen im Immunsystem
Anhand der klinischen Daten kristallisierten sich verschiedene Faktoren heraus, die mit einem Risiko für Long Covid einhergehen. Dazu gehören Alter, Schwere der Erkrankung und allergisches Asthma so die Forscher in der Publikation. Zudem fanden sie Signaturen im Immunsystem: Ein niedrigerer Spiegel von zwei bestimmten Klassen von Antikörpern korrelierte mit einem höheren Risiko für Long Covid.
Bei den relevanten Antikörpern handelt es sich laut Studie zum einen um die Immunglobuline M, die besonders zu Beginn einer Infektion eine wichtige Rolle spielen. Zum anderen wiesen Long-Covid-Betroffene tiefere Konzentrationen der Immunglobuline G3 auf, die für die Bekämpfung von Viren wichtig sind.
Bei der entdeckten immunologischen Signatur handle es sich nicht um die spezifische Abwehr gegen Sars-CoV-2, sondern um Antikörper, die sich gegen verschiedene Krankheitserreger richten, betont Boyman.
Die Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass eine Ursache für Long Covid eine fehlgeleitete Immunantwort sein könne. "Dies eröffnet die Möglichkeiten für gezielte Behandlungen, etwa durch die Gabe bestimmter Immunglobuline oder immunmodulierender Medikamente", so der Forscher.
Die Erkenntnisse ließen die Wissenschafter in ein neues Modell fließen, mit dem sich das Risiko für Long Covid berechnen lässt. Sie verifizierten es bereits mit einer unabhängigen Studiengruppe von 395 positiv auf Sars-CoV-2 getesteten Personen. Zudem sei das Modell auf einer Webseite frei zugänglich. Das erlaube, die Anwendbarkeit des Risiko-Scores mit tausenden Menschen unterschiedlichen Alters, Ethnien und gesundheitlichen Vorgeschichten zu prüfen.