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Marktl feiert "seinen" Papst

Von Marcel Burkhardt

Politik

Um 18.45 Uhr ist es aus mit der Ruhe für Hubert Gschwendtner. "Dominum Josephum" dröhnt es aus dem TV-Gerät. "Josephum - er ist es", ruft Gschwendtner laut, springt vom heimischen Sofa auf und ballt die linke Faust. "Ja, riesig, unser Joseph!"


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Dann beginnen im Haus des Bürgermeisters von Marktl am Inn, dem Geburtsort Ratzingers, nahezu zeitgleich alle Telefone zu läuten. Ein japanischer TV-Sender, der SWR, Antenne Bayern, NBC - alle möchten wissen, was Gschwendtner fühlt: "Ich bin sehr stolz, dass ein gebürtiger Marktler der neue Papst ist", wiederholt er. Nur in einem von zehn Telefonaten binnen zehn Minuten sagt Gschwendtner etwas anderes: "Nein, Theo, die Gemeinderatssitzung fällt heute aus." Dann rennt der ehrenamtliche Bürgermeister aus dem Haus, fährt zum Ortskern. Er lächelt und sagt glücklich: "Der neue Papst ist einer von uns, ein Oberbayer."

Es schüttet aus aschgrauen Wolken. Vor dem Geburtshaus Joseph Ratzingers haben sich trotzdem 300 Menschen versammelt. Im Minutentakt werden es mehr. Gschwendtner bahnt sich den Weg. "Herzlichen Glückwunsch, Hubert", rufen ihm die Leute euphorisch zu und klopfen ihm auf die Schulter. Der 16-jährige Oberministrant Christoph Gaßner bringt auf den Punkt, was die meisten Leute hier so oder so ähnlich fühlen: "Es ist hammerhart, dass der neue Papst aus unserem kleinen Kaff kommt!" Jugendliche singen: "Benedikt aus Bayern, wir wollen mit dir feiern."

Der im Gemeinderat ausgearbeitete Plan für den heimlich erhofften "Tag X" greift. Alle sind da: die Freiwillige Feuerwehr, Vertreter der 30 Vereine der 2.700-Seelen-Gemeinde, alle Ministranten, die Böllerschützen, Blasmusiker. Alte Menschen, junge, sogar Kleinkinder. Die Kirchenglocken läuten. Gschwendtner hält eine viel beklatschte Rede, verspricht trotz leerer Kassen "Freibier für alle".

Während der Messe zu Ehren des neuen Papstes Benedikt XVI. ist die Marktler Kirche überfüllt.

Ein bisschen Angst vor Verwirrung teilen Pfarrer und Bürgermeister zurzeit. Sie sind mit zu vielen Fragen auf einmal konfrontiert. Beide hetzen von einem Mikrofon zum nächsten: "Ich komm' gar nicht mehr zum Schnaufen", klagt der 55-jährige Pfarrer.

Gute Werbung hat Marktl nötig. Die Gemeinde ist arm. Auf jeden Bürger kommen 1.100 Euro Schulden. Gschwendtner glaubt, dass sich das jetzt zum Positiven ändert. "Wir hoffen sehr auf Touristen und Pilger." Ein Papst-Museum kommt nicht in Betracht. Ratzinger hat nur seine ersten beiden Lebensjahre in Marktl verbracht und es gibt daher keine Erinnerungsstücke.