Vor einem Jahr ist Hassan der II., König von Marokko, gestorben. Nachfolger wurde sein Sohn Mohammed VI. Was hat dieser bis jetzt unternommen, um die Situation seines Landes zu verbessern? Ein marokkanischer Student blickt ein Jahr zurück.
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"Er ist nicht ich und ich bin nicht er", so beantwortete Hassan II vor einigen Jahren die Frage eines Journalisten nach seiner Nachfolge - er sprach von seinem ältesten Sohn. Einhundert Tage, nachdem dieser dann als Mohammed VI. den Thron bestiegen hatte, drückte er klar sein Vorhaben aus, anders zu herrschen und zu regieren als sein Vorgänger und Vater.
Am 9. November 1999 hatte der junge König die Macht dann wirklich übernommen. Die Entlassung von Driss Basri, dem treuesten Diener seines Vaters, der seit mehr als zwanzig Jahren - zuletzt als Innenminister - die rechte Hand des Königs war, kündigte eine neue Gangart an. Offiziell wurde die Entlassung aber als ein freiwilliger Rücktritt präsentiert.
Neuer Herrschaftsstil
In der Umgebung des Königs spricht man heute von einem neuen Begriff der Macht, mit dem die MarokkanerInnen auf der Suche nach Lösungen vertraut gemacht werden müssen. Es wird dabei von einer modernisierten Monarchie gesprochen. Man kann nicht von einem Bruch mit der Vergangenheit sprechen, ohne die politische Lage unter Abdallah II. und Mohammed IV. zu vergleichen.
Es gibt selbstverständlich weiterhin den Stil, nach früheren Gewohnheiten zu entscheiden. Mohammed VI. hat aber das komplizierte königliche Protokoll vereinfacht. Er wohnt nicht im Palast und fährt selbst sein Auto. Man weiß, dass er ein begeisterter Sportler und Fan von Jet-Ski ist. Aber die Modernität drückt sich auch durch eine neue Führungsart in der Staatsverwaltung aus. Der junge Herrscher spricht von der "Verringerung des Grabens, der zwischen dem Geist und dem Wortlaut der Gesetze existiert." Er kündigt an, dass die Verwaltung wieder im Dienst der Bürger stehen solle, indem er die "bürokratische Lethargie" kritisiert.
Andere Schwerpunkte seiner Reformarbeit waren es, eine größere Teilnahme der Bevölkerung an Beschlussfassungsverfahren, besonders auf lokaler Ebene, einzuräumen, und zu mehr Solidarität zwischen Reichen und Armen zu aufzurufen. Im Grunde genommen ändern die Zeiten nur langsam und mühsam die marokkanischen Gesellschaft und das politischen Leben. Immer noch hat die Monarchie in Marokko stark theologische Züge-so regiert Mohammed weiterhin "nach dem Willen Gottes". Beispiel dieser mühsamen Veränderung ist der sogenannte "Plan d´intégration de la femme au developpement" (Plan zur Integration und Förderung von Frauen). Dieser Plan ist ein Regierungsvorschlag, um den Marokkanerinnen in sozialen, wirtschaftlichen und bürgerlichen Bereichen mehr Rechte einzuräumen. Unter dem Druck der Islamisten, die tausende Demonstranten gegen diesen Plan mobilisiert hatten, und auf Grund einer Drohung seitens mehrerer Regierungsmitglieder, die Koalition zu verlassen, ist der Reformentwurf der sogenannten Moudawana ("Gesetzbuch des persönlichen Status der Frau") fast wieder in Vergessenheit geraten. Ein Fortschritt wäre erst möglich, wenn die verschiedenen Parteien ein Konsens finden würden. Als Anführer der Gläubigen wird aber der König das letzte Wort haben.
Aber man soll sich nicht irren. Mohammed VI. ist weder der Abt Pierre noch Juan Carlos. Er hat vor, seine Vorrechte im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Monarchie auszuüben. Er hat unmittelbar oder wenigstens indirekt die Entscheidung getroffen, Innenminister Basri zu entlassen und hat auch seinen Nachfolger ernannt. Ahmed Midaoui, der der ehemalige Direktor des nationalen Sicherheitsdienstes war und schon früher von Basri abgelehnt wurde, wurde zum Innenminister ernannt. Aber Mohammed VI. stellte ihm seinen eigenen Kabinettchef Fouad Ali al-Himma zur Seite.
Das Vertrauen, das zwischen den beiden herrscht,wird besser verständlich, wenn man weiß, dass Ahmed Midaoui so alt wie der Monarch ist und sein ganzes Studium im königlichen Kollegium mit dem jungen Erbprinz Sidi Mohammed verbracht hat. Das Innenministerium bleibt also der reservierten Kompetenzkernbereich des Monarchen, wie es schon unter Hassan II der Fall war.
Kampf gegen Armut
Eine weitere Priorität des jungen Herrschers ist der Kampf gegen Ausgrenzung und Armut: "Die Entwicklung des Königreiches ist unmöglich, wenn einige von uns marginalisiert werden" stellte er vor ein paar Monaten vor Persönlichkeiten fest, die zum Startschuss der von ihm initiierten zweiten Kampfkampagne gegen die Armut anwesend waren. Wahrscheinlich war schon am Anfang dieser Initiative die Idee da, den Islamisten im Bereich der Wohltätigkeit Konkurrenz zu machen und sie zu überflügeln.
Aber die sozialen Sorgen von Mohammed VI., zumindest sein Mitleid für die Unglücklichsten, scheinen aufrichtig zu sein. Das Elend im Land ist jedenfalls kein Tabuthema mehr und wird auch im Fernsehen gebracht, wo eine Reihe von Spots die durch die königliche Famille gestartete Kampagne ergänzen: Die Armut ist nicht das Schicksal Afrikas, insbesondere Marokkos, heißt es immer wieder in den Aussendungen. Nimmt man den letzten Bericht der Weltbank über die soziale Situation in Marokko zur Kenntnis, so wird man über das Tempo, in dem die Armut in Marokko zunimmt, erschrocken sein. Dieses von unabhängigen Experten der World Bank ausgearbeitete Papier wird von der heutigen Regierung ernst genommen. Nach marokkanischer Anschauung ist die Armut überhaupt kein Schicksal, das gleichsam "durch den heiligen Geist" auf die Bevölkerung "herabgesandt" wird; Sie ist eher das logische Ergebnis einer Verwaltungsgebarung, die keinesfalls das geforderte Redlichkeitsniveau gegenüber den eigenen Mitbürgern (einschließend der im Ausland lebenden Mitbürger) einhält; Logisches Ergebnis auch der von Regierungen seit der Unabhängigkeit 1956 beschlossenen und durchgeführten politischen Wahlen, die sich in den betroffenen Angelegenheiten nicht voneinander unterschieden haben; Ergebnis auch von unsozialen politischen Orientierungen wie allen Arten von Missbrauch und von unmoralischem Verhalten, die dazu geführt haben, die soziale Schere nicht nur innerhalb der Landbevölkerung, sondern auch in den Städten auseinanderklaffen zu lassen.
Die manchmal vorsätzliche Langsamkeit der marokkanischen Bürokratie und die Korruption, die alle Staatsbehörden bis hin zum kleinsten lokalen Beamten betrifft, haben bisher die Entwicklung des Staates dramatisch verhindert.
Regierungsumbildung
Dazu eine aktuelle Meldung aus Marokko: Die Verhandlungen im Hinblick auf eine Regierungsumbildung werden bald beginnen. Alle Parteien sind am Abwarten. Es geht um die Frage der Teilnahme der Islamisten der PJD (Partei der Justiz und Entwicklung). Die Antwort von einem ihrer Parteileader: "Alles, worum wir diese Regierungsmitglieder bitten ist, dass sie ehrlich gegen die Verderbtheit kämpfen, sei es auf Verwaltungsebene oder auf der Ebene der Justiz. (...) Wir werden, obwohl wir in dem nächsten Wahlkampf positive Ergebnisse erreichen wollen, ungerechte Reaktionen vermeiden. Deshalb wird, für uns gegebenenfalls, eine beschränkte Teilnahme ausreichend und befriedigend sein."
Die Zukunft, entweder dieser Regierungsumbildung oder der Wahlkampf 2002, wird uns zeigen, ob der Islam (nach der marokkanischen Spielart) und Politik im Sinne von Demokratie zusammenleben können.
Mag. Samir Battis studiert Völkerrecht und internationale Beziehungen in Wien.