Die Journalistin Marta S. Halpert, Chefredakteurin der Zeitschrift "Das Jüdische Echo", spricht über jüdischen Humor, den Umgang mit Tradition und Säkularität - und den wachsenden Antisemitismus in Ungarn.
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Wiener Zeitung: Frau Halpert, kennen Sie jüdische Witze? Marta S. Halpert: Ich kenne jüdische Witze, aber ich definiere mich nicht über sie. Einen jüdischen Witz würde ich einem nicht-jüdischen Publikum in Österreich nicht erzählen. Ein Witz setzt Vertrauen voraus, einen Personenkreis, in dem man sich sicher fühlt.
Ich frage Sie das deshalb, weil es in den vergangenen Jahren etliche Bücher und Filme gab, die sich auf unterhaltsame Art mit dem Judentum auseinandersetzten. Kann man über das Judentum überhaupt lachen?
Diese Tendenz finde ich okay. Der jüdische Humor ist oft wehmütig, weise und transportiert sehr viel, auch verstecktes Leid. Der Schweizer Regisseur Dani Levy hat in seiner Filmkomödie "Alles auf Zucker!" das säkulare und das traditionelle Judentum sehr treffend dargestellt, und zwar, wie man humorvoll und lebensnah damit umgehen kann. Wenn jüdische Menschen den richtigen Ton treffen, finde ich das sehr gut. Aber ich würde einen Witz nicht sozusagen als Visitenkarte wählen, um mich anzubiedern. So etwas hab ich oft bei Politikern erlebt, die ich interviewte, und das gleitet dann sehr schnell ins Schmierige ab.
Sie befassen sich seit längerer Zeit mit dem zeitgenössischen Judentum und haben bereits 1992 das Buch "Jüdisches Leben in Österreich" veröffentlicht. Wie sehen Sie das Judentum heute in Österreich?
Nach der Waldheim-Affäre ( 1986, Anm. ) hat sich vieles hierzulande positiv verändert. Es ist eine Generation von jungen Historikern nachgekommen. Aber auch die Zivilgesellschaft hat sich entwickelt. Nicht nur die Kinder der Kriegsgeneration, sondern auch die Enkel haben nachgefragt, was damals passiert ist. Der Zugang zum Judentum ist wesentlich unverkrampfter geworden. Man geht unbeschwerter und neugieriger damit um.
Woran liegt das?
Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Österreich durch seine EU-Mitgliedschaft offener geworden ist. Wenn jetzt viele österreichische Jugendliche dank Stipendien in andere europäische Länder kommen, bringen sie viel Positives nach Österreich zurück. Es gibt heute in Wien kaum ein Festival mit jüdischer Thematik, wo das Publikum nicht gut durchgemischt wäre. Viel von dem Mief ist verschwunden. Man sagt: "Okay, du arbeitest nicht am Sonntag, die Juden und Jüdinnen arbeiten nicht am Samstag, und Ahmet arbeitet nicht am Freitag".
Wie leben Sie Ihr Judentum im Alltag?
Ich habe zwei Mal großes Glück gehabt hinsichtlich der Art, wie ich die Religion praktiziere. Meine Eltern wollten mir eine Wissens- und Identitätsbasis schaffen und sagten zu mir: "Je mehr du über das Judentum weißt, umso mehr kannst du dir später davon etwas aussuchen". Von meiner Mutter habe ich die jüdische Tradition mitbekommen, von meinem Vater das Säkulare. Ich gehe in den Tempel, nicht regelmäßig, aber zu den Feiertagen.
Und Ihr zweites Glück?
Ich lebe mit einem nicht-jüdischen Partner, und ich führe einen traditionellen Haushalt. Ich kann also jüdische Gäste einladen, weil ich wirklich koscheres Essen servieren kann. Früher habe ich regelmäßig Heurigenabende für Freunde veranstaltet. Da gab es natürlich kein Schweinefleisch. Warum sollte ich so was anbieten. . .
. . . das wäre nicht authentisch.
Und ich glaube nicht an Assimilation. Das Judentum ist kein Club, aus dem man austreten kann. Da halte ich es mit Friedrich Torberg, der meinte, "wenn ich schon ein Jud bin, bin ich ein stolzer Jud". Nicht im nationalistischen Sinn stolz, sondern gefestigt und selbstbewusst. Ich stehe zu meinem Judentum, diese Haltung hatte ich auch beruflich immer, ungeachtet dessen, für welche internationale Medien ich auch gearbeit habe. Ich musste nicht erst nach einer antisemitischen Äußerung sagen, "hören Sie, wie reden Sie? Ich bin Jüdin!"
Das war schon am Gymnasium so. Weil meine Mitschüler neugierig nachfragten, sagte mein Vater, "lad´ sie ein". Dann haben sie bei uns zu Hause gesehen, wie wir essen und dass auch wir dem Herrn für das Brot danken. Damit war das Mystische weg.
Ist es nicht so, dass es nach wie vor eklatante Wissensmängel über das Judentum gibt?
Weder Wissen noch Unkenntnis schützen vor antisemitischen Ressentiments. Wir wissen auch viel über den Islam und sind nicht offen dafür. Man muss gefühlsmäßig für eine andere Religion offen sein. Schauen Sie doch einmal auf die Nebentische, ich glaube, wir sind hier in der Ecke der alleinstehenden Frauen gelandet, die im Kaffeehaus Mittag essen und alle den Tagesteller Schweinsbraten bestellen.
Schweinsbraten ist wohl nicht Ihre Leibspeise?
Nein ( lacht ). Sehen Sie, so kann man auch über das Judentum lachen.
Sie waren als Journalistin für internationale Medien tätig, unter anderem für die "Vogue", "Newsweek" und die "Neue Zürcher Zeitung", sind nach wie vor Korrespondentin des deutschen Nachrichtenmagazins "Focus". Haben Sie in Ihrer Arbeit jemals antisemitische Erfahrungen gemacht?
Nein. Ich habe Jörg Haider über Jahre hinweg interviewt und auch andere FPÖ-Politiker. Wenn ich sie für den "Focus" interviewte, haben sie mich auch immer als Vertreterin eines deutschen Mediums wahrgenommen. Sie waren nie persönlich anlassig. Ich lass mich nicht über andere definieren.
Das Jüdische hat eine große Bandbreite. Viele sagen, Juden seien immer zerstritten - stimmt das?
Wer sagt das? Wer definiert, wann eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen ein Streit ist - das ist auch so ein Klischee! In Österreich gibt es in der jüdischen Community mittlerweile mehrere Schulen, viele Juden aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sind zugewandert. Man kann die Bandbreite des Jüdischen verschieden interpretieren. Das Judentum ist nicht nur eine politische Entity . Die Juden sind ein Volk, das ob seiner Religion verfolgt wurde, man kann´s nicht auseinander reißen. Man darf das Jüdisch-Sein nicht nur über den Antisemitismus definieren. Mich regen ja manche linke Intellektuelle und Journalisten in Österreich so auf, wenn sie plötzlich ihr Judentum entdecken, weil sie 60 Jahre alt werden und jetzt behaupten, dass sie so viel gelitten hätten. Nein, man sollte grundsätzlich einen positiven Zugang haben. Nehmen Sie Bruno Kreisky, der war Agnostiker und bekannte sich zu seinen jüdischen Wurzeln. Und jemand, der nicht in den Tempel geht, bleibt trotzdem Jude oder Jüdin.
Also ist es ein Vorurteil, wenn man sagt, so viele Juden man fragt, so viele verschiedene Meinungen bekommt man?
Natürlich gibt es auch unter den Juden unterschiedliche Auffassungen, jeder darf den Grad seines Jüdisch-Seins selbst definieren. Soll man sich als Jude oder Jüdin assimilieren? Soll man koscher essen? Das Judentum trägt jeder in sich selbst.
In der jüdischen Community gab es jüngst Diskussionen darüber, dass die ORF-Moderatorin Danielle Spera mit Juli die Leitung des Jüdischen Museums in Wien übernimmt. Wie sehen Sie das?
Damit habe ich mich nicht beschäftigt, daher will ich auch nicht unqualifiziert Stellung dazu nehmen.
Für die Leitung des Jüdischen Museums gab es einige hochqualifizierte Kandidaten und Kandidatinnen, etwa die bisherige Chefkuratorin Felicitas Heimann-Jelinek; Hanno Loewy, der engagierte Leiter des Jüdischen Museums von Hohenems, soll der Favorit von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny gewesen sein. Danielle Spera hat angekündigt, sie wolle das Museum öffnen. Läuft man mit mehr Publicity nicht auch Gefahr, dass das Jüdische Museum ins Oberflächliche abgleitet?
Am Anfang kommen sicherlich viele Besucher Spera schauen. Man muss abwarten. Das Jüdische Museum in Wien ist mit dem Jüdischen Museum in Berlin ja nicht vergleichbar. Außerdem: Es kann einen nicht alles interessieren. Mich interessiert im Wien-Museum auch nicht alles.
Sie sind seit zwei Jahren Chefredakteurin des "Jüdischen Echo" und somit gleichsam in die Fußstapfen von Leon Zelman getreten . . .
. . . und die waren sehr groß! Ich habe Leon über viele Jahre gekannt und sehr bewundert, was er für den "Jewish Welcome Service Vienna" geleistet hat. "Das Jüdische Echo" war sein Herzensprojekt. Wir waren allerdings oft unterschiedlicher Meinung.
Worüber?
Zum Beispiel über das Konzert der Wiener Philharmoniker in Mauthausen, das im Jahr 2000 stattfand und das Leon initiiert hatte. Ich habe das in einem Kommentar im "Standard" kritisiert.
Sie schrieben von einer "geschmacklosen" Idee und: "Ein Schlachthof ist kein Konzertsaal". Warum fand Leon Zelman das Konzert im Steinbruch des KZ Mauthausen in Ordnung?
Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil er selbst dieses KZ überlebt hat.
"Das Jüdische Echo" ist eine renommierte Zeitschrift. Seit Sie es als Chefredakteurin leiten, hat es einen sanften Relaunch erfahren.
Wir haben das Layout etwas geändert. Inhaltlich möchte ich das "Echo" nicht parteipolitisch-österreichisch ausrichten, sondern stärker international fokussieren, und zwar mit renommierten Autorinnen und Autoren. Der Falter-Verlag vertreibt das Heft jetzt professionell, so dass es auch in Deutschland und der Schweiz erhältlich ist. Wir verstehen uns als jüdisches Echo für Europa, wir wollen ein Diskussionsforum für intellektuellen Austausch sei.
Die aktuelle Ausgabe steht ja auch unter dem Motto "Zu Hause in Europa".
Ja, und die nächste Ausgabe plane ich zum Thema Diaspora, und zwar nicht nur in Bezug auf Juden, sondern auch auf verschiedenste Ethnien und Minderheiten, die in allen Teilen der Welt verstreut leben.
Sie selbst leben ja gewissermaßen auch in der Diaspora, da sie in Ungarn geboren wurden und bereits als Kind mit Ihren Eltern nach Österreich kamen. Fühlen Sie sich als Ungarin, als Österreicherin oder als Europäerin?
Ich bin eine österreichische Jüdin in Europa - und habe eine starke europäische Identität.
Wie beurteilen Sie die politischen Vorgänge in Ungarn?
Die sind besorgniserregend. Die ungarischen Juden haben sich immer stark assimiliert. Aber jetzt sind die Leute viel ängstlicher geworden. Ich habe in Budapest eine 35-jährige Frau interviewt, die zwei Kinder hat und mit einem jungen Stadtrabbiner verheiratet ist. Der setzt seine Kippa nicht mehr auf, sondern geht nur mehr mit einer Baseballkappe außer Haus. Israelis trauen sich in der Metro nicht mehr eine hebräische Zeitung zu lesen. Problematisch sind sowohl die rechtskonservative Partei Fidesz und Viktor Orbán, als auch die faschistische Jobbik. Die Rechtsextremen fühlen sich durch die Nationalisierung des Landes besonders stark und sicher. Juden so offen zu attackieren war in Österreich immer eher tabuisiert. Das hat man sich hier nicht getraut.
Nächstes Jahr wird Ungarn den EU-Vorsitz übernehmen. Da drängt sich die Frage auf: Wie viel Antisemitismus und Faschismus verträgt Europa?
Meiner Meinung nach überhaupt keinen. Es gibt jetzt schon viel zu viel davon. Die Latte des Erträglichen ist in ganz Europa schon viel zu weit nach unten verschoben worden.
Zur Person
Marta S. Halpert wurde in Budapest geboren. Ihre Eltern flüchteten mit ihr vor den Kommunisten nach Österreich. Nach einem Sprachenstudium in London und Genf begann Halpert ihre journalistische Laufbahn. Sie war Korrespondentin für Mittel- und Osteuropa und schrieb u. a. für "Jerusalem Post", "Newsweek", "Weltwoche", "trend", "Vogue" und "Haaretz". Für das deutsche Magazin "Focus" berichtet sie seit dessen Gründung 1993 als Korrespondentin aus Österreich. Von 1997 bis 2001 leitete sie das Wiener Büro der "Anti-Defamation League". Ihr Buch "Gegangen und geblieben" (2006) über den Ungarnaufstand 1956 wurde mit dem Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis für das politische Buch ausgezeichnet. Weitere Buchveröffentlichungen: "Jüdisches Leben in Österreich" (1992) und, gemeinsam mit ihrem Mann Reinhard Engel, "Luxus. Shopping. Guide. Wien." (2003).
"Das Jüdische Echo" ist eine Jahreszeitschrift, die 1951 von der Jüdischen Hochschülerschaft in Wien gegründet wurde. Sie versteht sich als "Europäisches Forum für Kultur und Politik". Mitbegründer Leon Zelman leitete "Das Jüdische Echo" bis zu seinem Tod 2007. Danach übernahm Marta S. Halpert die Chefredaktion. Vertrieben wird "Das Jüdische Echo" vom Falter Verlag; dort, sowie in gut sortierten Buchhandlungen oder im Internet kann die einmal pro Jahr erscheinende Zeitschrift bestellt werden.
www.juedischesecho.at
Heike Hausensteiner war von 1996 bis 2005 Politikredakteurin der "Wiener Zeitung", danach arbeitete sie als Chefredakteurin des Magazins "european - was uns verbindet" und war Autorin des Länderberichts für Österreich der Eurobarometer-Umfragen. Als freie Journalistin schreibt sie nun für mehrere österreichische Printmedien.