Langsam, aber sicher, wird die Sache kompliziert. Die Spekulationen über die Zusammensetzung der nächsten Bundesregierung, liebster Zeitvertreib aller professionellen Polit-Beobachter, wachsen ins uferlose. Wirklich Substanzielles lässt sich darin allenfalls noch mit der Lupe finden.
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Bestes Beispiel: Die angeblichen Folgen der Kandidatur von Hans-Peter Martin für die koalitionären Farbenspiele. Die eine Hälfte der Polit-Auguren sieht mit diesem Schritt die große Koalition von Schwarz und Rot als beschlossene Sache an. Anders sei nämlich kein stabiler Staat zu machen. Und hier wiederum, so wird gemutmaßt, liege der wahre Grund für das leidenschaftliche Engagement Hans Dichands für den selbst ernannten EU-Rebellen Martin.
Dichand gilt als glühender Befürworter einer Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ - zumindest seit diese fast ewige österreichische Regierungsvariante im Februar 2000 das Zeitliche segnete. In den 14 Jahren davor ließ er allerdings kaum eine Möglichkeit aus, den damaligen Hecht im Karpfenteich der Großen, Jörg Haider, hochzuschreiben. Martin also als neuer Haider Dichands?
Die andere Hälfte der Polit-Auguren denkt in genau die umgekehrte Richtung. Martin solle lediglich eine neuerliche Mehrheit rechts der Mitte unterbinden. Mittel zu diesem Zweck ist das Wildern im üppigen Protestwähler-Reservoir von FPÖ und BZÖ. Und ohne konservative Mehrheit würden sich wiederum die Chancen der SPÖ auf den Kanzlersessel erheblich bessern. Mit ein bisschen Glück könnte sich dann sogar Rot-Grün ausgehen, etwa falls das BZÖ an der Vier-Prozent-Hürde scheitert. Rot-Grün plus Martin hätten dann aber auf jeden Fall eine Mehrheit - und ausschließen will natürlich auch ein Martin fast nichts.
Es gibt aber auch noch eine dritte, allerdings wesentlich kleinere Gruppe, die Martins Antreten als Intrige der ÖVP versteht. Dessen einziges Ziel sei es, der ohnehin arg gebeutelten SPÖ noch ein paar Prozentpunkte am dank Bawag-Affäre geschrumpften Wählerkuchen abzuknabbern. Und wer weiß: Sollten sich FPÖ, BZÖ und Martin tatsächlich allesamt selbst im Stimmenkampf aus dem Parlament kannibalisieren, könnte ja vielleicht doch noch der Traum von Nationalratspräsident Andreas Khol von einer "kleinen feinen Absoluten" für die ÖVP in Erfüllung gehen.
Zur Abschreckung allzu überschäumender Vorfreude bei der ÖVP seien dies aber noch kurz an die EU-Wahlen 2004 erinnert. Damals kandidierte der ehemalige SPÖ-Spitzenkandidat Martin mit einer eigenen Liste und gewann aus dem Stand 14 Prozent. Nummer eins wurde damals allerdings nicht die ÖVP, sondern die SPÖ.
Der Kanzler hat gerade erst gegenüber der "WZ" wieder einmal über die Sinnlosigkeit aller Koalitionsspekulationen vor einer Wahl räsoniert. Mit dem banalen Hinweis, dass nach einer Wahl immer alles anders sei als vorher. Wo er Recht hat, hat er Recht, der Kanzler.