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Märtyrer, Moderate und Mitläufer

Von Heiner Boberski

Politik

Das "Gedankenjahr 2005" ist natürlich auch ein Anlass, die Rolle der größten Glaubensgemeinschaft in Österreich, der römisch-katholischen Kirche, zwischen 1938 und 1955 zu beleuchten. Der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann nennt wichtige Tatsachen, derer man heuer gedenken sollte.


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Für Maximilian Liebmann gab die Kirche im Frühjahr 1938 kein gutes Bild ab: "Nicht gerade positiv waren zum Beispiel die Märzaufrufe, bei der Volksabstimmung mit Ja zu stimmen. Das war aber sicher kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus, das wird immer übertrieben. Man muss bedenken, dass auch Karl Renner öffentlich für den Anschluss eintrat."

Höhere Amtsträger vermieden jedenfalls gegenüber dem NS-Staat jede offene Konfrontation. "Es ist eine Tatsache, dass die Hierarchie nie jemanden ermuntert hat, aktiven Widerstand zu leisten. Wer gegen das Regime auftrat, ob als Laie oder Kleriker, tat das aus eigener Verantwortung."

Liebmann kann zum Teil verstehen, dass sich die Bischöfe nicht exponierten, weil sie sonst größere Repressalien für die Kirche befürchteten, nur eines versteht er nicht: "Warum hat die Kirche auch nach 1945 jene, die Widerstand geleistet haben, kaum gewürdigt? Warum wurde kein Priester dafür ausgezeichnet?" Er kenne zur Zeit nur zwei Fälle, in denen ein verbannter Pfarrer bei der Heimkehr aus dem KZ in seine Gemeinde in allen Ehren empfangen wurde.

Einige Märtyrer unter dem NS-Regime habe der Papst gewürdigt und sogar selig gesprochen, sagt Liebmann. "Aber man sollte auch viele andere nicht vergessen. Im Jahr 2000 haben wir einem alten Priester, der im Widerstand war, seitens der Theologischen Fakultät der Universität Graz deshalb den Goldenen Ehrenring verliehen. Der Mann ist in Tränen ausgebrochen, weil er das noch erleben durfte. Hier hat die Kirche etwas nachzuholen. 2005 bietet dazu Gelegenheit."

Hatte die Kirchenführung zunächst eine "Appeasement-Politik" versucht, so kam es im Oktober 1938 zur Konfrontation. Der Wiener Erzbischof, Kardinal Theodor Innitzer, der sich im Frühjahr durch einen an die NS-Verwaltung anbiedernden, mit "Heil Hitler" unterschriebenen Brief diskreditiert hatte, stand am 7. Oktober im Zentrum einer Jugendfeier im Wiener Stephansdom. Nach seinem Satz "Christus ist unser Führer" (Liebmann: "Das war im Jahr 1938, als es nur einen Führer gab, mutig und eine Art Kampfansage") jubelten die Jugendlichen dem Kardinal zu. Die Folge: Am nächsten Tag stürmte und verwüstete die Hitler-Jugend unter Duldung der Behörden das Erzbischöfliche Palais.

Liebmann weiß von zahlreichen Katholiken aus Österreich, die im NS-Staat verfolgt und hingerichtet wurden. Einige gehörten Widerstandsgruppen an wie die beiden Franziskanerpatres Angelus Steinwender und Kapistran Pieller, die noch am 15. April 1945 in Stein bei Krems erschossen wurden. Der Oberösterreicher Franz Jägerstätter wurde zum Tode verurteilt, weil er den Militärdienst verweigerte. Ein Pfarrer wurde zum NS-Opfer, weil er einer Lehrerin gesagt hatte, ihr Mann solle sich nicht in NS-Funktionen engagieren, der Krieg sei schon verloren.

Neben Klerikern, die Widerstand leisteten oder einen modus vivendi suchten, kennt Liebmann aber auch Mitläufer und Sympathisanten: "Einer davon war Johannes Ude, der an der römischen Gregoriana-Universität die beste theologische Ausbildung erhielt, die es damals gab." Ude, vierfach promoviert, Universitätsprofessor in Graz, schrieb 1933, er habe "Mein Kampf" gelesen, die NS-Ideologie studiert und nichts gefunden, was dem Christentum widerspreche.

Ude ist für Liebmann auch das Paradebeispiel einer Bekehrung: "Es kam zur so genannten Reichskristallnacht. Da erlebte er, wie ein SA-Mann einen Juden zusammenschlug, und war geheilt. Er hat einen zwei Seiten langen Protestbrief an den Gauleiter Siegfried Uiberreuter in Graz geschrieben. Bei Auschwitz kann man sagen, das hat man nicht gewusst. Aber die ,Reichskristallnacht' haben alle erlebt. So einen Brief wie den von Ude hat es aber sonst im ganzen Großdeutschen Reich nicht gegeben. Alle haben geschwiegen, die Bischöfe, die Pastoren."

Ein "Sonderproblem" war in den Augen Liebmanns der aus Graz stammende, später an der Nationalstiftung Santa Maria dell' Anima in Rom wirkende Bischof Alois Hudal: "Er war von dem Gedanken einer Verchristlichung des Nationalsozialismus beseelt und wollte sogar Bundeskanzler Engelbert Dollfuß überreden, in Österreich eine christliche nationalsozialistische Partei zu gründen." Nach dem Krieg rühmte sich Hudal, Nazis auf der Flucht nach Lateinamerika geholfen zu haben.

Die NS-Zeit hat in Österreich über 1945 hinaus Spuren hinterlassen. Dazu gehört der mit 1. Mai 1939 eingeführte Kirchenbeitrag: "Im Urkonzept war das eine Kirchensteuer, wie es sie in Deutschland schon seit der Weimarer Republik gab. Aber als das Gesetz Hitler vorgelegt wurde, sagte er, für Österreich gelte nicht das deutsche Reichskonkordat, in Österreich sei die Kirche ein privater Verein und dürfe nur Mitgliedsbeiträge einheben. Der Kirchenbeitrag wurde unter großem Protest eingeführt, er sollte die Kirche aushungern. Zuerst schien die Methode zu wirken, in kürzester Zeit waren ca. 300.000 ausgetreten. Aber das hörte bald auf, und insbesondere nach Stalingrad setzte vermehrt die Rückwanderung ein. Der Kirchenbeitrag erwies sich als Möglichkeit zu zeigen, dass man mit dem Nationalsozialismus nicht einverstanden ist. Dazu kam, dass der Kirchenbeitrag die Chance zu Kontakten mit den Gläubigen und Hausbesuchen bot. Nach 1945 wollten zwar einige auf das deutsche Modell umsteigen, aber die Pastoralämter wollten dabei bleiben, weil es pastoral so vorzüglich ins Konzept passte."

Die Ehe war ein klassisches Streitthema im Kulturkampf gewesen. Für die Bischöfe war die staatlich-obligatorische Ehe nicht akzeptabel. Liebmann: "Adolf Hitler kommt und führt mit 1. August 1938 das deutsche Eherecht ein. Der Protest der Bischöfe nützte nichts, und nach 1945 erfolgten nur verhaltene Versuche, das alte System wiedereinzuführen. Die Kirche hatte dazugelernt in diesen sieben Jahren: Eigentlich brauchen wir manches nicht. Das kirchliche Leben versandet nicht, die Leute sind sogar gläubiger geworden. Man will nicht mehr die alten Ehegesetze, die alte Kirchenfinanzierung."

Das anlässlich des Österreichischen Katholikentages im Mai 1952 proklamierte "Mariazeller Manifest" mit dem Motto "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" sieht Liebmann mehr oder minder "als das Ja zu den Entwicklungen, die stattgefunden haben".

Ein großer Unterschied gegenüber der Ersten Republik war, dass Priester sich nicht mehr um politische Ämter bewarben. Liebmann: "Mit dem Konkordat 1933/34 brauchte man sie nicht mehr in der politischen Arena." Dass die Kirche der ÖVP näher stand als anderen Parteien, lag auch daran, dass sich nur die ÖVP für die staatliche Gültigkeit des unter Kanzler Engelbert Dollfuß abgeschlossenen Konkordates einsetzte. Mit Kardinal Theodor Innitzer, der am 9. Oktober 1955 starb, hatte die Sozialdemokratie keine Gesprächsbasis, um über das Konkordat zu reden. Mit seinem Nachfolger Franz König brach eine neue Ära an.