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Marx, Engels, Dominikaner und ein Würfel

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Berlin ist eine Stadt, die immer wird und niemals ist. Jetzt entsteht eine neue Kunsthalle im offenen Herzen der Republik. Doch schon in zwei Jahren soll sie wieder abgerissen werden.


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Der wichtigste Platz Deutschlands ist derzeit nicht mehr als eine peinlich nackte Brache: Mit den hässlichen Stahlskeletten des DDR-Palastes wird der Ort, von dem aus die Hohenzollern einst das Deutsche Reich regierten, wohl noch eine Weile leben müssen.

Berlins Mitte war einst geplant als Dreieck von Geist, Glaube und Staat, manifestiert in den Kulturgebäuden wie Oper und Universität, Museumsinsel, dem monumentalen Berliner Dom und dem Stadtschloss. Dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker schwebte für seine Hauptstadt der DDR hingegen ein Aufmarschgelände à la Roter Platz in Moskau vor, weshalb er das Barockschloss sprengen und den Palast hochziehen ließ. Der Traditionsname "Schlossplatz" musste den Ikonen der Kommunisten, Marx und Engels, weichen.

Nach der Wiedervereinigung und einem quälend langen Streit wurde der Platz wieder rückbenannt und der Abriss des "Palazzo Protzi" beschlossen. Der Rückbau des asbestverseuchten Klotzes dauert nun schon länger als seine Errichtung. Archäologen buddelten die Fundamente des alten Schlosses aus und stießen dabei auf die Reste eines 500 Jahre alten Dominikanerklosters. Ein geschichtsträchtiger Platz also; aber der Genius Loci beschränkt sich derzeit eher auf Weihnachts- und Jahrmarkt-Rummel.

Doch seit gestern soll sich das ändern. Da erfolgte nämlich der erste Spatenstich für den "White Cube", eine temporäre Kunsthalle, wie sie Wiener noch vom Karlsplatz her kennen - nur in Rein-Weiß. Übrigens vom gleichen Architekten, dem 62-jährigen Wiener Professor Adolf Krischanitz. Das Weiß der Außenhülle eignet sich als Projektionsgrund für künstlerische Gestaltungen. Alle vier Fassaden werden zu weithin sichtbaren Ausstellungsflächen, das Gebäude verwandelt sich in ein Kunstobjekt im öffentlichen Raum.

Und das beflügelt die Phantasie: Acht in Berlin lebende Maler lieferten spontan Visionen für die Außenbespielung der Kunsthalle. Valérie Favre etwa will ein Autokino auf dem Dach eröffnen, und Anselm Reyle schwebt vor , den eckigen Block in Spektralfarben schimmern zu lassen.

"Der Entwurf von Krischanitz konzentriert sich auf das Wesentliche, ist flexibel und betreibt keinen falschen Aufwand", schwärmt Beiratsmitglied Julian Heynen vom K21 in Düsseldorf. Die Kunst sendet hier das Signal, nicht die Architektur. Und zwar ausschließlich die Bildende Kunst und nicht der cross-over, wie er heute allerorts gang und gäbe ist.

Die Euro-Million für den weißen Kubus kommt von der privaten Stiftung "Zukunft Berlin" um den ehemaligen Kultursenator Wilfried Hassemer. Mit einer Gesamtfläche von 1250 Quadratmeter wird der "White Cube" von einem Café, dem Museumsshop und Nutzräumen umrahmt. Die Außenwände bestehen aus wetterfesten Gewebemembranen. Auf- und Abbau sollen jeweils nur einen Monat dauern. Nach der Zwischennutzung bis zur Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses ("Humboldt-Forum") hofft man auf eine permanente Nachnutzung.

Der Teil des Platzes, auf dem der Kubus ab August stehen soll, hat den klingenden Namen "Schlossfreiheit". Aber auch die anderen Teile sollen bis August ansehnlich gemacht werden. Hölzerne Stege führen bereits an den Grabungen vorbei, man kann also den Archäologen über die Schulter schauen.

Das neue Berlin hat sich dafür entschieden, die Kultur in den Mittelpunkt zu rücken. Mars hat das Szepter endgültig an Apoll übergeben.