Impfgegner und "alternative Medizin" sind nicht harmlos. | Ihre Thesen sind fast stets bei Rudolf Steiner zu finden. | Wien. Wer hätte so etwas noch für möglich gehalten? - Fußballfans, die im Sommer zur Europameisterschaft in die Schweiz reisen wollen, sollten sich gegen Masern impfen lassen. Das empfahl vor kurzem das Schweizer Bundesamt für Gesundheit, da die Schweiz derzeit den größten Masernausbruch seit rund zehn Jahren erlebt. Seit Beginn der Epidemie sind mehr als 1700 Menschen erkrankt, allein seit Jahresbeginn mehr als 600.
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Acht Prozent der Erkrankten mussten demnach im Krankenhaus behandelt werden. 90 Prozent der betroffen seien nicht oder nur ein Mal gegen Masern geimpft worden. In der Schweiz und in Deutschland wird ebenso wie in Österreich die zweimalige Impfung empfohlen. Wenn zur Euro 08 aus ganz Europa Menschen mit unzureichendem Impfschutz die Schweiz besuchten, seien weitere Ausbrüche programmiert, warnen Experten im deutschen "Impfbrief". Bereits jetzt stünden Masernfälle in Karlsruhe, dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald und Lörrach mit dem Ausbruch in der Schweiz in Verbindung.
Jetzt, da sich in Salzburg ebenfalls eine Masernepidemie ausbreitet, mit deren Eindämmung so bald nicht gerechnet werden kann, muss diese Warnung auch für Reisende nach Österreich gegeben werden. Die Behörden rechnen trotz der Schulsprengel mit einer weiteren Ausbreitung.
Keine Impfpflicht
Wie kommt es, dass die hoch ansteckende Viruserkrankung, gegen die es keine spezifische Therapie gibt und die nicht selten zu lebensgefährlichen Komplikationen wie Lungen- und Hirnhautentzündung führt, in Europa immer noch in Epidemien ausartet, während sie in den USA faktisch ausgerottet ist (zuletzt 19 Krankheitsfälle 2005)?
Weder in Deutschland, noch in der Schweiz oder in Österreich herrscht Impfpflicht. Und die bisher gute Durchimpfungsrate wird durch eine Reihe von Faktoren konterkariert: Einerseits werden Masern oft fälschlich als harmlose Kinderkrankheit angesehen - womöglich unterstützt durch den Irrtum, das "Durchmachen" stärke das Immunsystem -, andererseits wird gern auf die zweite Immunisierung "vergessen" und schließlich sind es die immer stärker agierenden Gruppen der Impfgegner, die solche Epidemien auslösen und damit die Allgemeinheit gefährden.
Explizit gilt das für die seit Jahren boomenden Waldorf-Schulen und -Kindergärten, in denen die Glaubensinhalte des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner mit Pädagogik und Medizin vermischt werden. Anthroposophisch orientierte Ärzte lassen Impfungen nur in Ausnahmefällen zu, da etwa Kinderkrankheiten laut Steiner "Ergebnisse eines vorgeburtlichen Entschlusses" sind und dem Menschen die Chance geben, "sein Wesensgliedergefüge neu zu ordnen" und zu bewältigen, "was noch aus einem früheren Leben als unbewältigt zurückgeblieben ist".
Diese "Chancen" bekamen allein in Coburg 1140 Menschen, die 2002 an Masern erkrankten - Ausbreitungsarten war, wie auch in anderen dokumentierten Fällen, stets eine Waldorf-Schule. Die "Chancen", daneben an lebensbedrohenden Komplikationen (zum Teil mit lebenslangen Folgen) zu erkranken, stehen mit rund 20 Prozent ebenfalls recht gut - wobei diese bei Erwachsenen oft dramatisch verlaufen - und aktuelle Statistiken verweisen auf ein Todesopfer pro 500 Fällen von Masern.
Mangelhaft informiert
Auf ähnliche Widerstände, wenn auch überwiegend aus anderen Gründen, stößt auch die Impfung gegen Hepatitis der Virenstämme A und B, zuletzt aktualisiert durch eine Serie von Fällen in Salzburg. Obwohl auch diese Erkrankung hoch ansteckend und oft mit zum Teil lebenslangen, gefährlichen Folgen verbunden ist, beträgt die Durchimpfungsrate hier nur rund 46 Prozent. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Österreicher überraschend schlecht informiert sind. "Nur jeweils fünf Prozent halten das Risiko einer Infektion im Ausland für sehr hoch, noch geringer wird dieses in Österreich eingeschätzt. Auch bei den Übertragungswegen herrscht ein hohes Informationsdefizit", sagt Univ.-Prof. Herwig Kollaritsch von der Gruppenpraxis für Reisemedizin in Wien.
Impfgegner führen hierzu gerne ins Treffen, dass es gegen den gefährlichsten Hepatitisstamm C ohnehin keine Impfung gebe - ganz, als wären die anderen Leberentzündungen harmlos.
Tatsächlich ist Hepatitis B hundert Mal ansteckender als das HI-Virus (Aids) und, wie eine neue Studie vermuten lässt, sogar durch Schweiß in offene Wunden übertragbar. Selma Berket-Yücel von der Celal-Bayar-Universität in Izmir untersuchte 70 Sportler, die an der türkischen Meisterschaft im Olympischen Ringen teilnahmen und diagnostizierte bei neun von ihnen eine verborgene Form der Hepatitis B-Infektion im Schweiß. Sportmediziner verlangen nun eine verpflichtende Schutzimpfung vor allem für Kampfsportler. - Weltweit sind mehr als 350 Millionen Menschen chronisch mit dem Virus infiziert, gegen das man sich schützen kann.